Vertreibung aus dem Hippie-Paradies

  29 März 2016    Gelesen: 7152
Vertreibung aus dem Hippie-Paradies
Mietfrei wohnen, kiffen, freie Liebe - für kalifornische Blumenkinder war die Hawaii-Insel Kauai ab 1969 ein Sehnsuchtsort. Nach acht Jahren war es vorbei, ihre Baumhäuser gingen in Flammen auf.
Eine Mischung aus Barmherzigkeit und Rache bewog Howard Taylor 1969, dem örtlichen Polizeichef dieses Angebot zu machen: Die langhaarigen, bunt gekleideten Gestalten, die gerade im Inselknast saßen, könnten doch bei ihm auf dem Land zelten und das weitläufige Grundstück pflegen. Damit wären die juristischen Auflagen erfüllt - und die Hippies versorgt.

Die Blumenkinder waren von einem Gericht auf der Hawaiianischen Insel Kauai zu 90 Tagen Haft und gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Die 13-köpfige Truppe aus dem kalifornischen Berkeley, wo zu dieser Zeit Studentenunruhen tobten, hatte nach Ärger mit der Polizei wegen Drogenbesitzes und anderer Delikte Zuflucht auf dem Tropen-Eiland gesucht. Prompt bekamen sie auch hier Ärger - keine gültige Campingerlaubnis, Landstreicherei. Im Gefängnis allerdings konnten sie nicht bleiben, zumal zu ihnen auch Kinder und eine Schwangere gehörten.
Der Künstler Howard Taylor, Bruder der Schauspielerin Elisabeth, nahm die jungen Leute auf - nicht ohne Hintergedanken. Mit seiner Familie war er gerade erst nach Kauai gezogen und hatte sogleich schlechte Erfahrungen mit den Behörden gemacht. Die Familie wollte auf einem wunderschönen Stück Land an der Nordküste ihr Traumhaus errichten. Daraus sollte nichts werden: Taylor erfuhr, dass die Regierung eine Verstaatlichung des Geländes zugunsten eines Naturparks plante. Eine Baugenehmigung bekam er nicht.

Taylors Revanche: "Jetzt sind es eure Hippies"

Einen leibhaftigen Hippie hatte man im provinziellen Kauai bis zum Eintreffen der 13 Kalifornier noch nie gesehen. Für die gerade einmal rund 25.000 Menschen muss es ein Schock gewesen sein. Seit auf Kauai mit der Ananas- und Zuckerproduktion wegen billigerer Konkurrenz kein Geld mehr zu verdienen war, hatten viele die Plantagen und die Insel verlassen. Dort lebte man überwiegend traditionell, unter den Dorfgemeinschaften waren die Ressourcen klar verteilt, wer wo fischen, jagen, surfen durfte. Ungeschriebene Gesetze, von denen die Neulinge nichts ahnten.


Taylor machte den Fremden auf seinem Grundstück keine Vorschriften. Er störte sich nicht daran, dass sie Freunde und Bekannte nachholten. Oder dass immer neue Surfer, Sinnsucher, Kriegsdienstverweiger, Vietnamveteranen und sonstigen Zivilisationsflüchtlinge kamen - als die ursprünglichen Bewohner längst weitergezogen waren. Taylor sagte auch dann nichts, als die neuen Mitbewohner sesshaft wurden, Baumhäuser errichteten, eine Siedlung gründeten. Er ließ sich einfach nicht mehr blicken.

Sein Streit mit den Behörden über die Flächennutzung dauerte Jahre. Erst 1974 einigte man sich über den Verkauf. Regierungsvertreter präsentierten Taylor einen Scheck und forderten ihn zugleich auf, "seine Hippies von dem Land" zu nehmen. Taylor antwortete, mutmaßlich voller innerer Genugtuung: "Es ist jetzt euer Land - und jetzt sind es eure Hippies."

Hanfanbau konnten sie

Die neue Lebensgemeinschaft hatte keineswegs die Absicht, ihr grünes Paradies mit feinsten Sandstränden und Korallenriffen aufzugeben. Anders als zu Hause ließ es sich hier friedlich, billig und mietfrei leben, bei angenehmen Temperaturen in spektakulärer Landschaft. Das "Taylor Camp", wie es mittlerweile hieß, war zu einer Dorfgemeinschaft mit zeitweise mehr als 300 Bewohnern gewachsen. Sie trugen lange Haare und selten Kleidung, sie kifften, züchteten Gemüse und Marihuana, tanzten, surften und beteten - und mischten mit ihrem unkonventionellen Lebensstil die ganze Insel auf.

Einigen gelang es durchaus, sich mit den Einheimischen zu arrangieren. Erfolgreiche Kooperationen entstanden insbesondere beim Hanfanbau, seit die lokalen Bauern feststellen mussten, dass die Fremden über ertragreichere Sorten verfügten.

Das Misstrauen indes blieb. Die immer neuen Ankömmlinge wurden als Bedrohung empfunden. Statt in love and peace auf der Insel zu leben, holten Konflikte und Gewalt sie ein. So waren denn wohl auch viele Einheimische erleichtert, als sich die Behörden an die Vertreibung der Hippies aus dem Paradies machten. Drei Jahre nach der Räumungsaufforderung hielten noch die letzten 30 Camper auf Kauai aus. 1977 ließ die Polizei das Quartier endgültig räumen, riss die Baumhäuser mit Bulldozern nieder und steckte die Reste in Brand. Das einstige Camper-Paradies ging in Flammen auf.

Wie die Geschichte überlebte

Auf Kauai setzte bald darauf der Immobilienboom ein, Hotelanlagen brachten den Massentourismus auf das Eiland, dessen Bevölkerung sich inzwischen mehr als verdoppelt hat. Dass die kurze Episode des Taylor Camps in Erinnerung blieb, liegt an bemerkenswerten Fotos. 1969 war der Literatur- und Fotografie-Dozent John Wehrheim auf die Insel gekommen. Nicht als Camper - der damals 23-jährige Absolvent der Eliteuniversität Notre Dame war ein Bekannter der Taylors. Als Lehrer an einer Hawaiianischen Mädchenschule war er gerade gefeuert worden. Also kam er zum Ausspannen mit Surfbrett, Rucksack und Freundin nach Kauai.


Mit seiner Kamera streifte Wehrheim eines Tages durch das Camp - ihn faszinierten die "jungen, schönen, athletischen Surfer". Doch als er sie porträtieren wollte, so erzählt Wehrheim, waren sie plötzlich verschwunden. Wie er später erfuhr, hatten sie ihn für einen Perversen gehalten.
Zwei Schwestern ließen ihn schließlich ein. Als er Tage später mit den Abzügen zurückkehrte, so Wehrheim, habe er sich vor Einladungen kaum retten können. Die Porträts der Camp-Bewohner wirken ausgesprochen entspannt, was auch am Drogenkonsum gelegen haben mag, aber vor allem an der Selbstverständlichkeit, mit der sich der Fotograf fortan im Camp bewegen konnte.

Als ihn 1976 die Staatliche Kunst- und Kulturstiftung Hawaiis und die Historische Gesellschaft von Kauai mit der Dokumentation historischer Bauten beauftragte, wollte Wehrheim auch die liebevoll zusammengezimmerten Baumhäuser aufnehmen. Seinen Auftraggebern missfiel die Idee, am Taylor Camp hatten sie kein Interesse.

"Hattest Du was mit Irene?"

So erschienen die Fotos erst Jahre später in einem Bildband und einer Filmdokumentation. Im digitalen Gästebuch zu Wehrheims Veröffentlichung meldeten sich danach unzählige ehemalige Bewohner des Camps. Sie suchten nach alten Bekannten und schwärmten "von den besten Tagen" ihres Lebens. Darin gibt es auch den Eintrag einer Aleeya, die über das Camp schreibt:
"Ich bin hier `76 geboren. Meine Mutter war Irene. Sie hat lange blonde Haare, und mein Vater war Michael. Er war dünn, mit langen schwarzen Haaren... Seine Schwestern, meine Tanten, kamen zu Besuch... Wenn ihr über die Freie Liebe redet - ihr könntet sie meinen. Ich mag es, davon zu hören. Wenn Du 75/76 etwas mit Irene hattest, würde ich mich freuen, davon zu hören. Es könnte sein, dass Du mein Vater bist… Aleeya anybody"

Er versuche nicht, sagt Wehrheim, das Taylor Camp zu romantisieren. "Wer das Buch liest oder den Film sieht, wird eine Geschichte finden, in der es um Sucht, Krankheit, Alkoholismus, Gewalt und sexuellen Missbrauch geht: die gleichen Dinge, die es in jeder anderen Gemeinde gibt. Nur war dies 1969, in einem seltsamen Baumhaus-Dorf, in einem unberührten Wald auf einem weißen Sandstrand am Ende der Straße von Kauai."

Für die Fotografie sei das Licht perfekt gewesen, "das beste Naturlicht-Studio, in dem ich je gearbeitet habe. Es war leicht, schöne Fotos zu machen".

Quelle : spiegel.de

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