Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat viele Ökonomen mit der Idee eines Öl-Nachfragekartells überrascht. Mitgliedsstaaten sollen quasi ein Gegengewicht zur Opec bilden, dem mächtigen Verbund erdölproduzierender Länder. Damit könnten Preisobergrenzen gesetzt werden und die russischen Kriegseinnahmen sinken. Ist das eine gute Idee?
Justus Haucap: Was Herr Habeck damit genau meint, hat er ja noch nicht konkretisiert. Prinzipiell ist die Idee aber nicht schlecht. Das ist eine gängige Reaktion, die wir auf Märkten mit Angebotsmacht vorschlagen. Wenn man die Angebotsmacht wie hier nicht unterbinden kann, ist es das Beste, eine Art Gegenmacht zu bilden.
Kann man diese Angebotsmacht wirklich nicht unterbinden? Wäre es nicht ökonomisch der erste Reflex, die Opec zu schwächen, anstatt ein eigenes Kartell aufzubauen?
Das ist natürlich die erste Überlegung und wäre auf dem Papier auch sicher die beste Lösung. Da die Opec aber ein Zusammenschluss mehrerer Staaten ist, kann man das Kartell nicht einfach zerlegen. Wenn die Opec aus Unternehmen bestehen würde, würden sie dem Kartellrecht unterliegen. Sie besteht aber nun mal aus Staaten, und das ist das realpolitische Dilemma hier. Man muss also Alternativen suchen und ein Standardvorschlag lautet, Gegenmacht zu bilden.
Gibt es Beispiele, wo das funktioniert?
Ein klassisches Beispiel ist der Arbeitsmarkt. Dort gibt es Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände. Auch auf anderen Märkten ist das nicht unüblich, wenn man zum Beispiel an Einkaufsgemeinschaften denkt, die gegenüber großen Herstellern auftreten. Von daher liegt es auch nahe, zu sagen: Warum tun sich nicht die erdölimportierenden Länder zusammen und treten geschlossen in Verhandlungen mit der Opec auf? Als reine Preisnehmer spielen sie aktuell überhaupt keine Gegenmacht aus.
Wie baut man denn so ein Kartell?
Der Teufel steckt natürlich im Detail. Ganz wichtig ist aber, dass man hinreichend viele Länder zusammenkriegt. Sicherlich wäre es gut, wenn hier mindestens die EU geschlossen auftritt. Meine naive Erwartung wäre, dass das klappt, weil wir im Großen und Ganzen importierende Länder sind.
Ungarn stellt sich doch schon quer…
Ja, das dürften aber wohl strategische Gründe sein. Wahrscheinlich wollen sie irgendeine Forderung durchsetzen.
… angeblich geht es um 25 Milliarden Euro Entschädigung für ein Öl-Embargo gegen Russland …
Ja, aber wenn man Ungarn jetzt sagt: Passt mal auf, wir gründen hier ein Gegengewicht zur Opec und das soll dafür sorgen, dass unser Öl billiger wird - dann fehlt mir die Fantasie zu glauben, dass Ungarn das nicht will. Auch Viktor Orbán hat nichts von hohen Ölpreisen.
Wer würde ein solches Kartell denn anführen?
Das müsste vernünftigerweise von den Staaten geführt werden, so wie die Opec ja auch von den Staaten geführt wird. Bei den Details müsste man sich dann überlegen: Siedelt man das Thema innerhalb der EU an, zum Beispiel im Bereich der Handelspolitik? Oder baut man eine eigenständige Organisation, wie etwa die Opec, an die sich dann auch weitere Staaten anschließen könnten. Das würde die Organisation natürlich noch schlagkräftiger machen.
Wie schlagkräftig wäre denn so eine Organisation gegenüber der Opec?
Das ist nicht so leicht zu beantworten. Wir sehen zum Beispiel, dass auch die Opec nur so halb stabil ist. Die Organisationsstruktur gibt es, die ist stabil. Aber erstens sind nicht alle erdölexportierenden Länder in der Opec, und zweitens gibt es dort Kartellaußenseiter. Ein Kartell ist immer auch politisch, die politische Lage in Saudi-Arabien ist zum Beispiel ganz anders als in Venezuela. Konkret heißt das: Wenn Venezuela zum Beispiel gerade Geld braucht, dann haben sie in dem Moment ein ganz anderes Interesse als der restliche Verbund. Das sehen wir in der Realität häufig, wenn sich mal wieder ein Land nicht an die vereinbarte Fördermenge hält. Bei der Vielfalt der Mitgliedsstaaten sind solche Absprachen aber auch nicht trivial.
Heißt das, ein Nachfragekartell sollte nur aus möglichst homogenen Ländern bestehen?
Wenn die Interessen verschieden sind, erschwert das natürlich die Verhandlungen und schwächt die Organisation. Aber die Frage, wie stellen wir so etwas auf, ist genau richtig. Ich glaube, wir sollten uns das gründlich überlegen und nicht irgendwas auf die Schnelle hochziehen.
Ergibt es denn überhaupt Sinn, eine solche Organisation ohne wichtige Importländer wie China oder Indien zu bilden? Die ökonomische Lehre prophezeit doch, dass Indien und China dann mehr zahlen und zuerst bedient werden. Das würde den Angebotsengpass für das Kartell verschärfen…
Man muss schon eine gewisse Masse hinter sich versammeln, sonst ist das witzlos. Nur Deutschland und Frankreich zusammen wären beispielsweise zu klein für den gesamten Ölmarkt. Wenn man es aber schafft, die gesamte EU hinter sich zu versammeln, wäre das was anderes. Europa ist für den Ölimport schon wichtig genug, dass man einen Einfluss auf die Preise nehmen könnte - auch ohne China und Indien. Es naheliegend, dass die EU hier einen Startpunkt bildet und die Organisation dann offen gestaltet.
Die USA haben sich auch schon offen für die Idee gezeigt…
Ja, die USA sind aber auch relativ autark und könnten sich selbst mit Öl versorgen. Dass die anderen Länder gerade die Ölpreise nach oben treiben, ist ohnehin nicht im Interesse der USA. Wenn die Ölpreise hoch sind, bremst das die Weltwirtschaft und damit das US-Wachstum. Von daher wundern mich die Aussagen nicht.
Und trotzdem: Wenn China und Indien nicht dabei sind, dürfte das die Organisation doch wesentlich schwächen, oder?
Das ist so. Es wird dann immer eine Option für die Opec sein: Verkaufen wir lieber an Indien oder China? Aber, und das darf man nicht vergessen: Die Chinesen haben kein Interesse daran, mehr für Öl zu bezahlen als das Kartell. Also werden sie sich an diesen Preisen orientieren. Da sprechen wir dann in der Ökonomie von Preisschirmeffekten. Auch die, die nicht am Kartell beteiligt sind, profitieren davon. Richtig bleibt trotzdem, dass ein Kartell umso effektiver ist, je mehr Länder mitmachen.
Angenommen, die Staaten haben sich auf ein solches Kartell verständigt. Wie läuft das dann operativ?
Zunächst einmal müssten die Staaten überregionale Vereinbarungen treffen, die die Zuständigkeiten klären. Dann könnte das Kartell in Verhandlungen mit der Opec treten und beispielsweise Fördermengen zu bestimmten Preisschemata durchsetzen. Ab hier wäre mein Vorschlag, dass es läuft wie bisher - dass also die direkte Geschäftsabwicklung von den Unternehmen gemacht wird. Wir haben auch andere Märkte, auf denen es Handelsbeschränkungen gibt. Das heißt aber nicht, dass der Staat hier selbst als Einkäufer fungiert.
Was müssten Mineralölkonzerne beachten?
Eigentlich ändert sich nicht viel für die Unternehmen. Sie kaufen die Mengen ganz normal beim Produzenten ein, nur zu den ausgehandelten Konditionen. Das ist ein bisschen wie auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände verhandeln die Tarifverträge. Den Arbeitsvertrag schließt aber das Unternehmen mit seinen Arbeitnehmern. Die Geschäftsabwicklung ist in dem Sinne Sache der Unternehmen.
Robert Habeck will ja gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er will die Preise an den deutschen Tankstellen senken und gleichzeitig, durch den niedrigeren Weltmarktpreis für Öl, die russischen Einnahmen schmälern. Kann das funktionieren?
Die ärmeren Länder werden natürlich stark auf die Kosten gucken. Wenn sie Öl in Russland weiter günstiger kriegen, dann werden sie auch weiter dort kaufen. Aber: Die Logik von Robert Habeck ist deswegen nicht falsch. Wenn der Weltmarktpreis durch ein Nachfragekartell sinken sollte, dann muss auch Russland einen größeren Abschlag gewähren. Dann sinkt auch deren Preis, was die Einnahmen wiederum schmälert. Insofern ist der Ansatz richtig.
Mit Justus Haucap sprach Jannik Tillar.
Quelle: ntv.de
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