Für Russlands Wirtschaft sieht es düster aus

  05 Juni 2022    Gelesen: 697
  Für Russlands Wirtschaft sieht es düster aus

Russland scheint die vom Westen verhängten Sanktionen recht gut wegzustecken. Doch das Land steht vor einer heftigen Rezession. Und das ist erst der Anfang.

Während der Westen ein Sanktionspaket nach dem anderen gegen Russland verhängt, gibt sich Wladimir Putin entspannt. Der "wirtschaftliche Blitzkrieg" gegen sein Land sei gescheitert, stellt der russische Präsident fest. Tatsächlich hält Russland dem ökonomischen Druck bisher stand.

Das hat vor allem zwei Gründe: Die Einnahmen aus den Rohstoffverkäufen sprudeln weiter. Russland hat einen enormen Leistungsbilanz-Überschuss - in den ersten vier Monaten des Jahres lag er bei umgerechnet knapp 96 Milliarden Dollar. Das ist mehr als das Dreifache als ein Jahr zuvor. Das füllt die Kriegskasse des Kremls und ermöglicht der russischen Regierung, die Folgen der Sanktionen für die eigene Bevölkerung abzufedern.

Zum anderen sind die Sanktionen eben kein "Blitzkrieg", sondern entfalten ihre Wirkung nur langsam. Hinter den riesigen Überschüssen verbirgt sich ein immenses Problem für Putin: Sie sind auch deshalb so nach oben geschossen, weil Russland weniger importiert - darunter westliche Technologie, von Ersatzteilen über Maschinen bis zu Mikrochips. "Es braucht Zeit, bis sich der Effekt voll zeigt", sagt Russland-Kenner und "Capital"-Kolumnist Bernd Ziesemer im Podcast "Die Stunde Null". "Wenn man sich vor Ort umhört, außerhalb von Moskau oder St. Petersburg in den Industriestädten im Ural, erfährt man, dass die Sanktionen die Firmen genau und hart treffen."

Die Sanktionen wirken. Doch wenn ein Energie-Exporteur weiterhin den Großteil der Energie exportieren kann, schränkt das ihre Wirkung ein. Der zunächst abgestürzte Rubel kostet mittlerweile deshalb wieder so viel wie vor dem Krieg, der von der russischen Zentralbank nach der ersten Sanktionssalve in die Höhe geschraubte Leitzins wurde bereits in mehreren Schritten kräftig gesenkt und dürfte im nächsten Monat wieder auf dem Niveau von vor dem Angriff liegen.

Ökonom sagt "Implosion" voraus

Doch Russland steht eine schwere Rezession bevor. Zentralbankchefin Elvira Nabiullina rechnet derzeit für dieses Jahr mit einem Einbruch in Höhe von 10 Prozent. Doch es gibt auch sehr viel heftigere Vorhersagen - die allerdings schwierig sind, weil die russische Regierung die Veröffentlichung von Handelsdaten eingestellt hat. Das Institute of International Finance, eine weltweite Vereinigung von Finanzinstituten, erwartet einen Einbruch des russischen Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 30 Prozent. Er gehe davon aus, dass die russische Wirtschaft "implodieren" werde, twitterte Chefökonom Robin Brooks. Er hatte sich die Exporte von 20 Ländern nach Russland im April angesehen. Sie waren im Vergleich zum Vorjahresmonat um die Hälfte zurückgegangen.

Selbst wenn diese Vorhersage übertrieben sein sollte und die Wirtschaftsleistung eher in der von der Zentralbankchefin in Aussicht gestellte Größenordnung schrumpft: Damit würde das Wachstum der letzten zehn Jahre ausradiert.

Außerdem dürfte die Arbeitslosigkeit spürbar steigen. Verstärkt wird diese Entwicklung, weil zahlreiche Firmen sich aus Russland zurückgezogen oder ihre Geschäfte zurückgefahren haben. Derzeit sind es bereits mehr als 1000, wie aus einer Liste hervorgeht, die der Ökonom Jeffrey Sonnenfeld von der Universität Yale zusammengestellt hat.

Bisher spüren die meisten Russen die Sanktionen aber vor allem anhand der Inflation. Vor dem Überfall auf die Ukraine lag sie bei 9 Prozent, mittlerweile ist sie auf 18 Prozent nach oben geschossen – das ist das höchste Niveau seit rund 20 Jahren.

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Rubel stabil ist. Die Preise steigen trotzdem für fast alle Güter – egal, ob für Gemüse, Zucker oder Smartphones. Zunächst wurde die Inflation durch Hamsterkäufe angeheizt. Mittlerweile sind Importe aus dem Westen weggebrochen. Das heizt nicht nur die Preise an, sondern sorgt für gestörte Lieferketten und bremst die Produktion. So fehlen beispielsweise Ersatzteile.

"Probleme können selbst bei einer Produktion mit hohem Lokalisierungsgrad auftreten", sagt Notenbank-Chefin Nabiullina. So stelle Russland beispielsweise Papier her, sei dabei aber auf importiertes Bleichmittel angewiesen. Auch brauche Russland für heimisch produzierte Lebensmittel im Ausland hergestellte Verpackungsmaterialien. Russland will diese Abhängigkeiten beenden – doch die Umstellung wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Zeit drängt: "Der Zeitraum, in dem die Wirtschaft von den Reserven leben kann, ist endlich", sagt Nabiullina. Bisher hätten die Sanktionen vor allem den Finanzmarkt getroffen. "Jetzt werden sie sich immer mehr auch auf die Wirtschaft auswirken", sagt sie.

Armut nimmt zu

Putin reagierte auf die sich beschleunigende Inflation, indem er anordnete, Renten und Mindestlöhne um zehn Prozent zu erhöhen. Nach Einschätzung der russischen VEB-Bank wird die Erhöhung der Sozialleistungen den Rückgang der Realeinkommen, Löhne und Renten zwar bremsen, aber nicht verhindern. Die Bank geht davon aus, dass bald 13 Prozent der Russen in Armut leben.

Der befürchtete Einbruch der Wirtschaftsleistung könnte also nur der Beginn einer langen Phase mit mauer Konjunktur sein. Selbst bei einem Waffenstillstand in der Ukraine und einem Friedensschluss am Verhandlungstisch ist es wahrscheinlich, dass zumindest ein Großteil der Sanktionen in Kraft bleiben wird und Russland weiterhin westliche Technologie verwehrt wird. Sie kann nicht komplett durch chinesische Produkte ersetzt werden. Der Westen wird sich außerdem dauerhaft von russischen Energieimporten verabschieden.

Der in Paris lehrende russische Ökonom Sergej Gurijew ist davon überzeugt, dass das neue auf EU-Ebene beschlossene Sanktionspaket Russland wirtschaftlich hart treffen wird. "Das wird dem russischen Haushalt einen sehr heftigen Schlag versetzen", sagte er der "FAZ". Öl ersatzweise nach China und Indien umzuleiten, werde für Russland nicht einfach werden, da die EU höchstwahrscheinlich in den nächsten Monaten weitere Maßnahmen verhängen werde, gegen russische Tanker, gegen den Transport von russischem Öl mit Schiffen anderer Länder und gegen die Versicherung solcher Transporte. In einem halben Jahr werde Putin vor der Wahl stehen, wem er die Gehälter kürze – Soldaten, Beamten oder Polizisten.

Dem Ökonomen Branko Milanovic zufolge ist Russland auf dem Weg zu einer Re-Sowjetisierung. Das Land sei völlig abhängig von westlicher Technologie, schreibt der Ökonom in seinem Blog. Er war viele Jahre der Chef-Ökonom der Forschungsabteilung der Weltbank. Russland habe die Industrie, das Rückgrat von wirtschaftlicher Entwicklung, über Jahrzehnte vernachlässigt und sich auf Rohstoffe und Nahrungsmittelproduktion beschränkt, so Milanovic. Das Land müsse seine Industrie auf Grundlage einer Infrastruktur wiederbeleben, die "seit 30 Jahren vor sich hin rostet".

Quelle: ntv.de


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