Es bleibt nur verzweifeltes Hoffen
Es ist tatsächlich eine Enthüllung von noch gänzlich unbekanntem Ausmaß. Dutzende Medien veröffentlichen zeitgleich in rund 100 Ländern Informationen aus einem Datenbestand von 2,6 Terrabyte. Es geht um Kunden der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca. Sie haben gemeinsam: Mit Hilfe von über 200.000 Briefkastenfirmen in dem mittelamerikanischen Land haben sie gigantische Vermögen verschleiert, am Fiskus vorbeigeschleust und damit sowohl Unsummen gespart als auch ihre Mitbürger um selbige betrogen.
Die Enthüllungen sind gerade einmal zwei Stunden alt, als sich Linksparteiveteran Gregor Gysi, Finanzstaatssekretär Michael Meister, Steueranwältin Simone Kämpfer, Ex-Banker und Whistleblower Rudolf Elmer und natürlich Enthüllungsjournalist Georg Mascolo im Studio treffen. Was sie zu sagen haben, kann naturgemäß nur bei letzterem halbwegs fundiert sein. Wenn der Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" nicht blufft, dann erwarten viele Reiche, Prominente und Mächtige turbulente Zeiten. "Sie finden in den vergangenen Jahren keinen Skandal, zu dem es keine Verbindung in den Panama Papers gibt", sagt er. Und auf Nachfrage von Moderatorin Will fällt ihm mit Ausnahme der Sparkasse keine deutsche Bank ein, die in der Vergangenheit beim Verschleiern von Finanzströmen nicht mitgeholfen hat. Wir werden in den kommenden Tagen vermutlich noch ein bisschen Spaß mit den Nachwirkungen haben.
Verboten ist verboten, legal ist legal
Von den übrigen Gästen kommt das Erwartete: Gysi ist selbstverständlich ausreichend empört über die Zustände, sieht aber eine Mitschuld bei jenen, die das System zugelassen haben. Schon vor langer Zeit hätten westliche Staaten wie Großbritannien mit den Britischen Jungferninseln etwa Steueroasen geschaffen, um der Oberschicht Ausweichmöglichkeiten für konsequentere Steuererhebungspraktiken zu bieten. "Das geht einfach nicht. Arbeitnehmern werden Steuern gleich abgebucht und die Reichen tricksen sich weltweit durch. Das muss aufhören."
Soweit dürfte sich Gysis Haltung mit jener des CDU-Politikers Meister decken – zumal sich sein Ministerium den Kampf gegen die internationale Steuerflucht in den vergangenen Jahren besonders auf die Fahnen geschrieben hat. Daher freut auch er sich über die Transparenz, die die Panama Papers schaffen. So werde der Druck auf solche Länder erhöht: "Panama soll hoffentlich mit uns zusammenarbeiten, das zu beenden", so seine kühne Annahme. Allein, der Glaube daran, dass der Reputationsverlust den Staat zum Einlenken bringt, mag sich nicht recht einstellen.
Das mag auch daran liegen, dass Juristin Kämpfer ein beeindruckendes Bild davon zeichnet, wie Menschen denken, die Steueroasen nutzen. Sie argumentiert rein formal: Was verboten ist, muss bestraft werden. Was erlaubt ist, eben nicht. Ob etwas moralisch fragwürdig ist, ist in diesem Gedankensystem irrelevant. Dies zu vermischen "stört sie", denn würde das so gehandhabt, "würden wir willkürlich handeln", so ihre Auffassung. Sie und ihre Kanzlei raten freilich niemals Mandanten dazu, ihr Geld offshore zu parken. "Ich berate Mandanten, wenn sie in den Fokus der Justiz geraten." Immerhin: Noch hat keiner von ihnen an diesem Abend wegen der Panama Papers angerufen.
Ist eine Steueroase stillgelegt, freut sich die nächste
Der geläuterte Banker Elmer könnte dagegen vielleicht noch den einen oder andere kennen, der jetzt nervös wird. Er hat bis 2008 für die Bank Julius Bär auf den Kaiman-Inseln gearbeitet, dann aber Kundendaten von Steuerhinterziehern an Wikileaks weitergegeben. Er sei nicht überrascht von dem Ausmaß des Skandals. Er findet: "Das Gute sind nicht unbedingt die Namen, sondern wir sehen nun das internationale System." Das sei ein gewaltiges politisches Problem, das international gelöst werden müsse. "Dass ein Herr Hoeneß ins Gefängnis muss, und der Schweizer Banker, der das zugelassen hat, nicht, ist nicht zu ertragen."
Und prompt befindet sich der einzige Mann mit Regierungsgewalt, Unionspolitiker Meister, in der Verteidigungshaltung. Der Südhesse beginnt, die Verdienste seines Hauses aufzuzählen: Er erwähnt, dass sich immer mehr Staaten dem internationalen Bankdatenaustauschsystem angeschlossen hätten, er hebt die gemeinsame Erklärung der G20 und der OECD zur Behebung von Steuerhinterziehungslücken hervor. Doch es wirkt eher verzweifelt. Denn Journalist Mascolo trifft es wohl auf den Punkt: Es gibt einen "Wettbewerb nach unten", also um die attraktivsten Konditionen. Wenn bei internationalen Verhandlungen auch nur zwei oder drei Länder nicht mitmachen, ist der Versuch gescheitert.
Gregor Gysi will deswegen neben mehr Druck auf Steuerschurkenstaaten auch nationale Maßnahmen durchsetzen: So soll es per Gesetz verboten werden, Geld in Steueroasen anzulegen – und der Laie wundert sich ein wenig, dass das überhaupt erlaubt ist. Zudem fordert er: Steuern bezahlen soll an die Staatsbürgerschaft gebunden werden. Das heißt: Wer als Deutscher sein Geld mit einer Briefkastenfirma auf Samoa verdient, soll trotzdem hier besteuert werden. Nur: Ist nicht der Sinn einer solchen Briefkastenfirma, dass der deutsche Fiskus davon nichts weiß?
Vermutlich ist die einzige Hoffnung, die bleibt – und sie ist wirklich mehr als vage -, dass sich eine Kultur der Ehrlichkeit durchsetzt. Gysi: "Ich denke, dass es aufhören wird. Wenn Du früher reich warst und Steuern bezahlt hast, warst du doof." Das ändere sich langsam. Auch Mascolo setzt genau darauf: "Sie müssen befürchten, dass morgen Ihr Name bekannt wird." Nur so geht es nach Ansicht des Journalisten. Der Ankauf von Steuer-CDs und Erkenntnisse von Whistleblowern seien die einzigen Mittel, mit denen ein solches Klima der Unsicherheit für Steuersünder erzeugt werden kann. Bloß ob das Despoten, Drogenhändler und Superreiche wirklich beeindruckt? Es ist schwer vorstellbar.