Es ist Mittag, als ich mit der Syrerin Hamsa (Name geändert) im Flüchtlingscamp Moria spreche. Zwischen uns der Zaun, oben kringelt sich der Stacheldraht. Kein Flüchtling kommt hier heraus.
Es ist ein altes Gefängnis, das zu einem neuen wurde: Hier werden auf Lesbos all jene Flüchtlinge untergebracht, die nach dem 20. März von der Türkei aus auf die Insel geflohen sind. Eine illegale Flucht. Ihnen allen droht die Abschiebung in die Türkei. Hamsa ist gut informiert, doch sie kann wie die meisten Flüchtlinge hier kaum glauben, dass sie wirklich zurück in die Türkei soll. Das Land, das laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen systematisch Syrer und auch Afghanen wieder ins Kriegsgebiet zurück schickt und damit gegen Völkerrecht verstößt.
Hamsa hat den Schleppern 1100 Dollar gezahlt, um in einem Schlauchboot mit 45 anderen etwa 40 Kilometer von der türkischen Küste entfernt an der griechischen zu stranden. Ihr Leben hat sie riskiert. All ihre Hoffnung, doch noch Nordeuropa zu gelangen, wo auch ihr Freund wohnt, stirbt nun langsam auch.
"Ich bin Christin, ich werde hier im Camp bedroht, ich kann nicht bleiben! Das Essen wird knapp, Wasser gibt es auch kaum noch, die Menschen schlafen teilweise in den Toiletten, weil es keinen Platz für sie gibt. Decken für die kalten Nächte sowieso nicht", erzählt sie mir und zeigt Bilder auf ihrem Smartphone. Dann muss sie unterbrechen. Eine Freundin aus dem Camp neben ihr bricht in Tränen aus. Sie tröstet. Niemand hier will zurück in die Türkei, alle haben Angst davor. So wie Hamsa. Wir tauschen Nummern aus, Facebook, wollen in Kontakt bleiben.
"Was habe ich falsch gemacht?"
Am späten Nachmittag ihr Anruf: Sie ist aus dem Camp geflohen, zusammen mit einem Freund, ebenfalls Syrer, dessen Frau in Berlin lebt. Es ist das erste Mal, dass so eine Flucht bekannt wird. Das erste Mal, dass Journalisten davon erfahren.
Wir treffen uns, ohne Zaun dazwischen. Doch nun mit einer neuen Angst, dass die Polizei sie jederzeit verhaften kann. "Ich habe einem Wachmann 50 Euro gegeben", erzählt sie, "dann hat er uns aus dem Camp gelotst." Viele Fragen bleiben offen, ihr Englisch versagt immer wieder, sie zittert, bekommt Panikattacken, das Atmen fällt ihr schwer. Eine Nummer habe sie, von einem Mann, der auf Lesbos Pässe fälscht. So einen will sie sich besorgen, morgen gleich. Und dann am liebsten in ein Flugzeug nach Athen und von dort weiter. Wenn sie entdeckt wird, droht ihr Gefängnis, dem Freund Muhamed (Name geändert) ebenso.
Wo sie nachts schlafen können, wissen beide nicht. Die Stunden vergehen, sie telefoniert und wird immer ratloser. Doch zurück ins Camp? Nein, dann landet sie am Ende in der Türkei. Keine Lösung, kein Weg, sie sitzt da und weiß nicht weiter, wird immer verzweifelter. "Warum darf ich mich nicht frei bewegen wie du", fragt sie, "was habe ich falsch gemacht, warum werde ich dafür bestraft, dass in meinem Land Krieg herrscht?"
Als wir uns verabschieden, ist nicht klar, was sie machen wird, wo sie schlafen kann. Nur eins ist klar: Flüchtlinge finden ihren Weg heraus, auch aus dem umzäunten Moria.
Quelle: n-tv.de
Flucht aus dem Flüchtlingsknast
Die meisten Geflohenen im Lager Moria auf Lesbos wollen es nicht wahrhaben: Ihnen droht die Abschiebung. Bei zwei jungen Syrern wird die Verzweiflung zu groß. Sie flüchten - aus dem Camp, vor den Folgen des EU-Türkei-Deals.