Damals versprach Ägyptens politische Führung eine rasche und lückenlose Aufklärung des Falles. Doch was die ägyptischen Strafverfolgungsbehörden seither als Ermittlungserfolge präsentierten, ist haarsträubend, irreführend und vollkommen unglaubwürdig.
Hieß es zunächst noch, Regeni sei Opfer eines Autounfalls gewesen, setzt die Regierung inzwischen darauf, die Tat einer Verbrecherbande in die Schuhe zu schieben. Natürlich ist ein Gewaltverbrechen in einem Land, in dem Beschaffungskriminalität ein echtes Problem ist, nicht auszuschließen. Dennoch bleibt der Hauptverdächtige der ägyptische Sicherheitsapparat.
Denn der ist für seine systematische Gewaltanwendung gegen Zivilisten bekannt. Schon unter dem 2011 gestürzten Diktator Hosni Mubarak galt das Land als Polizeistaat. Grausame Folter von Oppositionellen oder Menschen, die es wagten, sich einem Beamten in den Weg zu stellen und nicht zu spuren, gehörten zum Alltag. Unter Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi ist dieser Alltag wieder die traurige Realität am Nil.
Wie sind die Behörden an Regenis Ausweis gekommen?
Seit rund einem Jahr greift ein in Ägypten neuartiges Phänomen um sich. Fast ausschließlich junge Ägypter verschwinden spurlos, um im besten Fall einige Tage oder Wochen später in einer Polizeistation, einem Gefängnis oder einem Gerichtssaal auf der Anklagebank wieder aufzutauchen. Schlimmstenfalls enden diese Fälle wie der von Giulio Regeni: Brutal zugerichtete Leichen werden in Straßengräben außerhalb der Stadt gefunden. Auch deshalb wurde Ägyptens Polizei- und Geheimdienstapparat bereits im Februar verdächtigt, Regenis Tod verschuldet zu haben. Die jüngsten, von ägyptischen Behörden als Coup gefeierten Ermittlungsergebnisse geben derlei Verdächtigungen neue Nahrung.
Regeni sei Opfer einer kriminellen Bande geworden, die sich darauf spezialisiert habe, als Polizeibeamte verkleidet Ausländer auszurauben. Nach einem Schusswechsel im Süden Kairos hätten Sicherheitskräfte fünf Männer in einem Minibus erschossen, nachdem diese das Feuer auf die Beamten eröffnet hatten, so die offizielle Lesart des Vorfalles. Daraufhin habe man in der Wohnung der Schwester eines der Getöteten die Ausweise und Habseligkeiten Regenis gefunden und präsentierte diese stolz als "Beweis" für die Schuld der Bande an der Ermordung des Wissenschaftlers. Doch wie glaubwürdig ist es, dass eine Verbrecherbande die Ausweispapiere eines Opfers aufbewahrt und das in einem Fall, der national und international massive Aufmerksamkeit auf sich zieht? Und nimmt man den ägyptischen Behörden diese Geschichte nicht ab, wie ist die Regierung dann in den Besitz dieser Papiere gekommen?
Deutschland hält an Ausbildung der ägyptischen Polizei fest
Italiens Regierung reagierte entsprechend ungehalten und betonte, man halte den Fall keineswegs für erledigt. Italiens Außenminister Paolo Gentiloni drohte im Parlament in Rom mit "unverzüglichen und angemessenen" Maßnahmen, sollten Ägyptens Behörden nicht vollständig bei der Aufklärung des Falles kooperieren. Aus dem parlamentarischen Menschenrechtskomitee wurden ein Abzug des italienischen Botschafters und eine verschärfte Reisewarnung für Ägypten ins Spiel gebracht, so die Nachrichtenagentur Reuters.
Derweil liefert die italienische Zeitung La Republicca nun erstmals eine auf einer anonymen Quelle beruhende Aussage, die die Beschuldigungen in Richtung Geheimdienstapparat bestätigt und Ägyptens Innenminister Magdy Abdel Ghaffar direkt mit der Vertuschung des Vorfalls in Verbindung bringt. Kairo hat sich bislang noch nicht zu diesen schweren Vorwürfen geäußert.
Regenis Tod lässt die sicherheitspolitische Kooperation europäischer Staaten wie Frankreich, aber auch Deutschland, das an seiner Ausbildung ägyptischer Geheimdienste und der Polizei unbeirrt festhält, in keinem guten Licht erscheinen. Doch bedroht der Fall Regeni wirklich die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Rom und Kairo? Pikanterweise beliefern italienische Firmen die ägyptische Polizei mit Ausrüstung, der italienische Energiegigant ENI ist an der Erschließung eines Gasfeldes im Mittelmeer beteiligt. Zudem setzt die EU in der Migrationspolitik auf eine Zusammenarbeit mit Kairo, um zu verhindern, dass Flüchtlinge abermals die gefährliche Route über das Bürgerkriegsland Libyen einschlagen. Denn das Gros der aus Libyen in See stechenden Flüchtlinge nutzt Ägypten als Transitland. Selbst der grausame Tod eines italienischen Doktoranden dürfte Europa angesichts seiner Interessen in der Migrationspolitik nicht dazu bewegen, seine Unterstützung des Regimes in Kairo grundsätzlich infrage zu stellen.
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