Verfehlt der Preisdeckel für russisches Öl seine Wirkung?

  01 Dezember 2022    Gelesen: 770
  Verfehlt der Preisdeckel für russisches Öl seine Wirkung?

Ein Ölpreisdeckel soll es Unternehmen verbieten, russisches Öl, das über einem festgelegten Preis verkauft wird, zu transportieren oder zu versichern. Er soll Russlands Einnahmen aus den Exporten verringern - und damit auch die finanziellen Mittel, um die Offensive in der Ukraine fortzusetzen. Im Interview erklärt Rohstoffexperte Klaus-Jürgen Gern, was passieren muss, damit die Maßnahme greift und warum es nicht sinnvoll ist, den Deckel einfach auf null zu setzen.

ntv.de: Was erhoffen sich die G7 und die Europäische Union von einem Preisdeckel auf russisches Öl?

Klaus-Jürgen Gern: Der Preisdeckel soll die Möglichkeiten Russlands, von den hohen Energiepreisen zu profitieren und seine Staatsfinanzen aufzubessern, schmälern. Und zwar ohne, dass gleichzeitig die Versorgung von Öl in der Welt massiv eingeschränkt wird. Das ist nämlich das Risiko, wenn man ein Embargo verhängt. Sobald Öl auf dem Weltmarkt fehlt, führt das zu großen Anspannungen an den Märkten und steigenden Preisen. Das soll verhindert werden, indem man es den Russen zwar erlaubt Öl zu verkaufen, aber eben zu einem nicht allzu hohen Preis.

Wie soll der Deckel funktionieren?

Der Hebel, den die G7-Länder haben, ist insbesondere der Transport des Öls. Der Großteil der weltweiten Tankerflotte fährt unter den Flaggen dieser Industrienationen. Zusätzlich kommt ein noch größerer Anteil der Versicherungsleistungen aus diesen Ländern. Ladungen, die Länder wie Indien oder China als Ziel haben, aber auf europäischen Tankern oder mit europäischen Versicherungen versehen sind, würden deswegen auch betroffen sein.

Für den Preisdeckel ist eine Größenordnung von 65 bis 70 Dollar pro Barrel im Gespräch. Wie sinnvoll ist diese Höhe?

Ein Preis in diesem Rahmen hätte im Moment keine Wirkung. Denn die Russen verkaufen ihr Öl gerade zu niedrigeren Preisen. Der Spot-Preis für Urals-Öl liegt in etwa am unteren Ende dieser Spanne – zum Teil sogar darunter. Längerfristige Verträge mit großen Abnehmern haben dazu noch einen Discount. Sie wären von einem Preisdeckel auf russisches Öl also gar nicht betroffen. Den Deckel trotzdem einzuführen, kann aber allein deswegen schon sinnvoll sein, um zu sehen, wie Russland darauf reagieren würde.

Damit der Ölpreisdeckel greift, kommt die G7 also gar nicht um einen sehr viel niedrigeren Preis herum?

Die Frage ist hierbei: Was ist das Ziel? Wenn die G7 die Russen treffen will, indem man ihre Einnahmen aus dem Rohöl verringert, müsste der Preis unter das Niveau gedrückt werden, das Russland braucht, um seinen Haushalt mit den Öleinnahmen zu finanzieren. Die Schwelle liegt da bei schätzungsweise rund 60 US-Dollar. Sollte der Preis deutlich unter dieser Marke liegen, würde das den russischen Staatshaushalt in echte Schwierigkeiten bringen. Wir haben in den Phasen, in denen der Marktpreis für Öl unter diese Schwelle gefallen ist, gesehen, dass Russland heftige Staatsdefizite eingefahren und eine schwere Rezession erlebt hat. Für die Falken in dieser Diskussion, die zum Beispiel in Osteuropa sitzen, ist das ein Grund, einen deutlich niedrigeren Deckel zu fordern. Auf diesem Weg wollen sie Russland wirtschaftlich schaden.

Warum setzen wir den Deckel nicht gleich auf null Euro?

Das würde dazu führen, dass Russland gar kein Öl mehr anbietet. Alle, die jetzt noch russisches Öl kaufen, müssen sich dann anderes Öl suchen. Das hätte zur Konsequenz, dass auch die Preise dafür drastisch steigen.

Der russische Präsident Putin warnte zuletzt: Ein Ölpreisdeckel könnte "schwerwiegende Folgen" für den Energiemarkt haben. Worauf spielt er an?

Das Szenario, das Putin andeutet, ist, dass Russland entweder sein Öl nicht mehr verkaufen kann oder aber selber nicht mehr an Staaten verkaufen will, die sich an diesem Deckel beteiligen. Die russische Seite hat mehrfach betont, dass sie die Verkäufe an solche Länder einstellen wird. Das fehlende Öl auf dem Weltmarkt führt, wie schon erwähnt, zu Knappheit und höheren Preisen. Das wollen besonders die Amerikaner mit dem Ölpreisdeckel eigentlich verhindern. Sie wollen das russische Öl im Markt behalten, nur eben nicht zu Preisen, mit denen Russland dann die sogenannten Zufallsgewinne realisiert, die bei den gegenwärtigen Energiepreisen möglich sind.

Könnten die neuen Sanktionen denn überhaupt überwacht werden?

Die Verfahren, die jetzt kolportiert werden, werden immer mehr aufgeweicht. So heißt es zum Beispiel: Die Versicherungsunternehmen brauchen nur eine Bescheinigung der Reederei, dass ihre Ladung den Ölpreisdeckel nicht übersteigt. Es wird nicht nachkontrolliert und die Versicherung ist auch nicht verantwortlich dafür, dass die Angaben stimmen. Bei den Reedereien wird es auch sehr schwer sein, zu kontrollieren, ob der Ölpreisdeckel eingehalten wird.

Welche Möglichkeiten gibt es, den Deckel zu umgehen?

Große Reedereien könnten versuchen, ihre Schiffe auszuflaggen und Versicherungen aus anderen Ländern anzubieten. Sogar die Russen selber könnten Versicherungen anbieten, um den Ölpreisdeckel zu umgehen und damit das Schwert über die Zeit immer stumpfer werden zu lassen.

Welche Strafen drohen, wenn Unternehmen Sanktionen umgehen?

Das ist noch nicht wirklich absehbar. Die großen Player sind aber in der Regel äußerst vorsichtig. Gerade etablierte Reedereien haben Sorge, dass Sanktionen ihre Firma treffen könnten. Mit der EU und den USA sind ganz wichtige Teile der Weltwirtschaft mit im Boot, die man als Kunden beziehungsweise potenzielle Geschäftspartner nicht verlieren möchte. So könnte vor allem zu Beginn die Wirkung der Maßnahme spürbar sein, mit der Zeit aber nachlassen, wenn die Regeln und ihre Interpretation und damit auch Umgehungsmöglichkeiten deutlich werden.

Wovon hängt der Erfolg des Ölpreisdeckels am Ende ab?

Wenn das Ziel ist, die russischen Öleinnahmen drastisch zu verringern, dann wird dies nicht erreicht, wenn der Deckel bei einem relativ hohen Ölpreis angesetzt wird. Wenn das Ziel aber ist, die Weltmärkte nicht zu destabilisieren, dann darf der Preis nicht zu niedrig angesetzt werden.

Mit Klaus-Jürgen Gern sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de


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