Was, wenn China keine Medikamente mehr liefert?

  23 Dezember 2022    Gelesen: 283
  Was, wenn China keine Medikamente mehr liefert?

Corona trifft China mit voller Wucht, Fieber- und Erkältungsmittel sind vielerorts vergriffen. Um eine Versorgungslücke zu verhindern, könnte Peking deren Export beschränken - mit fatalen Folgen für Deutschland und Europa.

Vergangenen Freitag sieht sich Dalian Leasun Food, ein chinesischer Hersteller für Dosenfrüchte, auf Weibo zu einer Klarstellung gezwungen. Pfirsiche in der Dose seien kein Medizinprodukt, so die kurze Botschaft. Der Glaube, dass das Konservenobst die Symptome von Covid-19 abmildern könne, hat in China zu Hamsterkäufen geführt - wohl auch aus Verzweiflung, weil herkömmliche Grippe- und Schmerzmittel vielerorts vergriffen sind. Das abrupte Ende der Null-Covid-Strategie stürzt das Land ins Chaos. Obwohl die Regierung bisher nur wenige Todesfälle eingeräumt hat, zeigt sich Reportern vor Ort ein anderes Bild. Volle Kliniken, Krematorien im Dauerbetrieb und unendlich lange Schlangen vor Apotheken könnten erst der Anfang sein.

Schon jetzt kommt Chinas größter Hersteller von Ibuprofen, Xinhua Pharmaceuticals, mit der Nachproduktion des Schmerzmittels kaum hinterher. Wo es noch Erkältungsmittel gibt, sind sie auch deshalb schnell ausverkauft, weil viele Menschen die Arzneien an Familienmitglieder in anderen Regionen des Landes weiterschicken. "Wir Chinesen sind zu viele", erklärt eine Pekinger Apothekerin ihre leeren Regale. Das Versäumnis der Regierung, ausreichend Medikamentenvorräte anzulegen, trifft längst auch Nachbarregionen. Laut CNN sind die generischen Versionen von Paracetamol und Ibuprofen in Macau, Taiwan und sogar Australien teils ausverkauft, was einige lokale Apotheken dazu veranlasst habe, den Verkauf einzuschränken.

Treffen die Prognosen von Experten zu, werden sich 80 bis 90 Prozent der Chinesen in drei Wellen mit Covid-19 infizieren. Fast eine Million Menschen könnten an der Krankheit sterben. Peking ist gefordert, das Schlimmste zu verhindern - und das kann auch für Deutschland Folgen haben. Um die eigene Bevölkerung mit ausreichend Fieber- und Erkältungsmitteln zu versorgen, könnte China die Ausfuhr von Generika, also Nachahmerprodukten von nicht mehr patentgeschützten Arzneien, beschränken. Das würde die Knappheit bestimmter Medikamente auch hierzulande verschärfen, denn Generika decken zwar 78 Prozent des Arzneibedarfs der gesetzlichen Krankenkassen ab, werden aber kaum noch in Europa und Deutschland produziert.

Größter Wirkstoffproduzent China

Zwar ist der Absatzmarkt für Generika riesig, doch Geld verdienen lässt sich damit kaum - außer man hält die Produktionskosten gering (China) oder produziert in großen Mengen (Indien). Wie wichtig gerade China als Lieferant nicht nur von fertigen Generika, sondern auch vielen Wirkstoffen ist, zeigt das Beispiel Ibuprofen: Das fertige Medikament wird nicht nur von chinesischen Herstellern produziert, aber der zugrunde liegende Wirkstoff, der auch in Indien und den USA zu Tabletten oder Fiebersaft weiterverarbeitet wird, kommt zu großen Teilen aus der Volksrepublik. Angaben des chinesischen Marktforschungsinstituts Daxue Consulting zufolge enthalten 70 Prozent der in Indien hergestellten Generika einen in China produzierten Wirkstoff - nicht nur bei Ibuprofen, auch bei Paracetamol und Penicillin ist die Abhängigkeit von chinesischen Importen hoch.

Durch einen Exportstopp könnte deshalb nach China im schlimmsten Fall auch Indien als Lieferant für bestimmte Arzneien ausfallen - diejenigen Länder also, die zwei Drittel der globalen Generika-Produktion ausmachen. Deutschland und Europa haben sich sehenden Auges in diese Abhängigkeit begeben. Über zwei Jahrzehnte hinweg wurde aus Kostengründen zugelassen, dass sich die Produktion von Generika immer stärker nach Asien (und dort auf sehr wenige Hersteller) verlagert hat. Neu ist das alles nicht. Schon vor der Corona-Pandemie warnte der Verband Pro-Generika vor den Folgen, die eine solche Abhängigkeit auf die Versorgung mit lebensnotwendigen Wirkstoffen in Deutschland haben kann. Doch geändert hat sich an der Praxis nichts.

Lauterbach will es besser machen

Stattdessen hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Schieflage zunächst sogar verschärft. Für hiesige Firmen ist das Produzieren von Generika schon jetzt unrentabel, weil die Kosten hoch und die Preise gesetzlich gedeckelt sind. Nachdem Lauterbach für 2023 eine Erhöhung des Herstellerrabatts - also des Nachlasses, den die Pharmafirmen den Kassen für verschreibungspflichtige Medikamente gewähren müssen - angekündigt hat, fürchtet die Branche zusätzliche Belastungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro. Das führt dazu, dass Konzerne wie Stada, einer der größten deutschen Anbieter von Generika und rezeptfreien Medikamenten, noch stärker unter Kostendruck geraten und bald ganz auf die kaum noch kostendeckende Produktion von Generika verzichten könnten.

Um das zu verhindern, will Lauterbach nun wiederum die Preisdeckelung lockern. Gesetzliche Krankenkassen sollen künftig mehr für Kindermedikamente zahlen müssen, damit sich deren Produktion auch für deutsche Unternehmen wieder lohnt. Zudem sollen die Kassen verpflichtet werden, nicht mehr nur die Generika vom günstigsten Hersteller (etwa in Asien), sondern auch von teureren europäischen Produzenten zu beziehen. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Weil die Kassen jahrelang Rabattverträge über die exklusive Versorgung ihrer Kunden mit Generika des günstigsten Anbieters abgeschlossen haben, gingen viele hiesige Pharmafirmen leer aus. So ist von elf Firmen, die 2010 noch in Deutschland Fiebersäfte mit Paracetamol herstellten, eine einzige geblieben.

Ob Lauterbachs Korrekturen ausreichen, um den Markt für Generika in Deutschland und Europa wiederzubeleben? Experten haben da ihre Zweifel. Und eine kurzfristige Lösung für den Worst Case sind die Pläne des Ministers ohnehin nicht. Sollte China tatsächlich seine Exporte beschränken, stünde Europa - nach dem Mangel an medizinischen Masken im ersten Corona-Jahr - erneut vor einem Verteilungskampf um die Bestände der wenigen anderen Anbieter. Spätestens dann, heißt es aus Koalitionskreisen, wäre die Europäische Union als Vermittler gefragt, um eine gerechte Vergabe knapper Arzneien zu koordinieren und zu verhindern, dass sich die europäischen Länder gegenseitig ausbooten.

Quelle: ntv.de


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