Stoffhändler sieht keine Zukunft mehr

  11 April 2016    Gelesen: 1002
Stoffhändler sieht keine Zukunft mehr
Viele Menschen, es sind alles Frauen, drängeln sich vor der Theke. Alle wollen sie Stoff kaufen bei Lackhoff, darum sind sie hierher in die Innenstadt gekommen. Ein Schwarz-Weiß-Bild zeigt diese Szene, das Foto hängt neben der Kasse in eben diesem Geschäft. Nur: Das Bild ist 60 Jahre alt. Das Geschäft sieht noch ähnlich aus, nur dass die Stoffrollen natürlich farbig sind. Und gedrängt hat sich hier schon lange niemand mehr - das heißt, so ganz stimmt das nicht. Seit der Räumungsverkauf läuft, ist wieder was los. Denn das Stoffgeschäft Lackhoff schließt zum Monatsende, nach 79 Jahren.
Stoffe "mehr als irgendeine Ware"

Marianne Mechler arbeitet seit 40 Jahren in dem Geschäft, "damals, als ich angefangen habe, da waren wir hier 28 Verkäuferinnen", sagt sie, früher seien es noch mehr gewesen. Schneiderin hat sie gelernt, sie kann den Kunden nicht einfach nur Stoff zuschneiden und Reißverschlüsse verkaufen. Mechler kann ihnen Tipps geben, wie sie den Kragen schneidern sollen zum Beispiel und welcher Stoff sich dafür am besten eignet. "Unser Chef ist früher sogar noch selbst nach China und Japan geflogen, um Stoffe zu kaufen, er konnte sogar die Sprachen", sagt sie. Stoff, das war hier immer mehr als irgendeine Ware. Doch der Stoff für die Zukunft fehlt hier.

1937 gründeten Josef und Elisabeth Lackhoff das Stoffgeschäft in der Innenstadt, nach einigen Umzügen landete es 1951 schließlich im Obergeschoss in P 4. Früher erstreckten sich Geschäft und Büros auf mehrere Etagen, jetzt belegt es noch den ersten Stock. Auch diese Lage sei ein Problem, sagt Engin Cetraz, heutiger Geschäftsführer. Doch dazu später.
Lackhoff expandierte, es galt als größtes Stoffgeschäft in Süddeutschland. Doch es ging nicht immer bergauf, die Familie wurde von Schicksalsschlägen getroffen, Herbert Lackhoff, der als ältestes der vier Kinder ab 1986 die Firma geleitet hatte, starb 1991 noch vor dem Vater. Auch Tochter Gabriele erlag 1997 einem Krebsleiden. 2005 verkaufte die Familie schließlich das Geschäft.

Investitionen nützen nichts
Seitdem arbeitet Engin Cetraz als Geschäftsführer dort, seinem Onkel und einem Geschäftspartner gehört der Stoffhandel. "Wir haben noch einiges probiert", sagt Cetraz, "auch nochmal investiert." Besonders den exklusiven Bereich habe man verstärkt, den, wo es italienische Seide, französische Spitze oder fein gekämmte Schurwolle aus England gibt. Geholfen hat es nichts. Auch wenn Handarbeit seit Jahren wieder boomt, Lackhoff gelang es nicht mehr, von dem Retro-Trend zu profitieren.

Für Cetraz ist die Erklärung einfach. "Die meisten Kunden schauen heute halt nur auf den Preis", sagt der Geschäftsführer, der ein goldenes Kreuz um den Hals bis aufs T-Shirt hängen hat. Das Internet habe da viel kaputt gemacht, und auch auf die Stadt Mannheim ist er nicht gut zu sprechen. "Seit die den Holland Stoffmarkt regelmäßig in der Innenstadt erlauben, ist es noch viel schlimmer geworden."

Zusammen mit den anderen verbliebenen Fachgeschäften habe man darum gegen den Markt Unterschriften gesammelt und an die Stadtspitze geschickt, "aber da hat nicht mal jemand geantwortet", sagt Cetraz. "Dabei ist das dort auf dem Markt nicht mal günstige, sondern einfach nur billige Ware." Wie wichtig der Preis ist, zeigt sich jetzt in diesen Tagen: Seit das Unternehmen mit dem Räumungsverkauf und Rabatten von bis zu 50 Prozent wirbt, ist das Geschäft wie gesagt wieder voll. "Vorher mussten wir manchmal schauen, wie wir den Tag hier rumbekommen haben."

Marianne Köhler aber war sozusagen schon immer da. 88 Jahre alt ist die Ludwigshafenerin, die sich gerade auf ihren Rollator stützt und Stoff begutachtet. Wenn man jemandem eine Stammkundin beschreiben wollte: Frau Köhler ist wohl ein sehr gutes Beispiel. "Die Jacke, die ich heute trage, ist aus Stoff von hier", sagt sie, "habe ich vor 50 Jahren genäht." Überhaupt frage sie sich jetzt, wo sie künftig Stoff kaufen solle, "in Ludwigshafen bekommt man doch nicht mal mehr einen Faden."

Anders Anja Solberg, die Heidelbergerin ist an diesem Tag das erste Mal in dem Laden, jemand hat ihn ihr empfohlen. "Ja, schade, dass die schließen. Stoff im Internet kaufen? Das geht gar nicht, finde ich, den will ich doch vorher anfassen."

Engin Cetraz ist sich sicher, dass das Ende seines Geschäftes auch mit der Lage zu tun hat. Lackhoff liegt im ersten Stock, der Eingang ist versteckt in einer Seitenstraße der Planken. "Viele mussten lange suchen, bis sie uns gefunden haben."

Suchen, das macht jetzt auch Cetraz. Etwas ganz Neues kann er sich vorstellen, vorerst nichts mit Handel, sagt er.

© Mannheimer Morgen

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