Causa Böhmermann nervt Seibert
Am Redebedarf ändern Seiberts einleitende Wort an diesem Montag jedoch nichts. Der Fall des Satirikers Jan Böhmermann hat längst Ausmaße angenommen, mit denen vor kurzem wohl niemand gerechnet hat. Am Wochenende stellte die türkische Regierung ein förmliches Verlangen nach Strafverfolgung gegen den Satiriker und dessen Schmähkritik gegen Präsident Recep Erdogan. Spätestens seither stellt die Angelegenheit die Kanzlerin ernsthaft auf die Probe – ein Ende ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht.
Umso größer ist der Gesprächsbedarf zu Wochenbeginn. Die Bundesregierung will die Forderung der türkischen Regierung, also die Voraussetzungen für eine mögliche Strafverfolgung gegen Böhmermann, prüfen. Das werde ein paar Tage, aber nicht Wochen dauern, sagt Seibert, der zugibt, dass man mit solchen rechtlichen Fragen länger nicht befasst gewesen sei. Doch viel mehr mag er zu dem Thema auch nicht sagen. Zur Äußerung von Springer-Chef Mathias Döpfner, der Böhmermanns Satire als Meisterwerk bezeichnete: kein Kommentar.
Sogar über Didi Hallervorden soll Seibert plötzlich sprechen. Der Alt-Komiker hat, mutmaßlich aus Solidarität, ebenfalls eine Erdogan-Satire veröffentlich, Darin singt er: "Ich sing` einfach, was du bist. Ein Terrorist, der auf freien Geist nur scheißt." Ob die Kanzlerin sich dafür bei Erdogan entschuldigen werde, wird Seibert gefragt, er will dies aber eigentlich nicht kommentieren ("die Aussagen liegen mir nicht vor"). Nur so viel: Die Kanzlerin habe sich beim türkischen Präsidenten auch in den vergangenen Wochen nicht entschuldigt. Dann wiederholt Seibert sein Anfangsstatement.
Hat die Bundesregierung herumgeeiert?
Im Mittelpunkt der Affäre steht Paragraf 103 des Strafgesetzbuches. Danach muss mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen, wer ein ausländisches Staatsoberhaupt beleidigt. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Bundesrepublik Deutschland die Ermächtigung der Strafverfolgung erteilt. Die Bundesregierung eröffnet lediglich die Möglichkeit für ein Strafverfahren, sie entscheidet nicht über die Strafbarkeit einer Person, stellt Sawsan Chebli, Sprecherin vom Auswärtigen Amt klar. "Wir reden über einen hypothetischen Fall."
Doch die Affäre um Böhmermann ist längst nicht mehr hypothetisch. Eineinhalb Wochen ist die Ausstrahlung von dessen "Schmähkritik" her. Dennoch wird das Thema eher größer als kleiner, es überlagert inzwischen alles andere. Die Kanzlerin wird kritisiert, dazu beigetragen zu haben - als sie sich so ungewöhnlich offen positioniert hat, als sie Böhmermanns Text als "bewusst verletzend" bezeichnete. Der Vorwurf: Die Bundesregierung eierte zu lange herum im Hinblick auf die türkische Kritik und die mehrfache Einbestellung des deutschen Botschafters. Zu halbherzig die Bekenntnisse zum Wert der Meinungsfreiheit. Zu viel Zurückhaltung ausgerechnet gegenüber Erdogan, der nicht gerade als Vorkämpfer in Sachen Grundrechte gilt.
Wenn sich künftig auch Putin beschwert
Den Grund dafür haben die Kritiker schnell ausgemacht, hängt in der Flüchtlingspolitik zurzeit doch viel wenn nicht sogar alles von der Kooperation Erdogans ab. Merkel könne es nicht riskieren, ihn zu verärgern. Und nun? Die Mehrheit der deutschen Politiker und Juristen geht nicht davon aus, dass Böhmermann mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müsste. Über den genaueren Ablauf der Prüfung mag die Bundesregierung nicht viel Auskunft geben.
Zu Aussichten, möglichen Konsequenzen, nicht einmal darüber, welche Ebene an Beteiligten aus Kanzleramt, Auswärtigem Amt und Justizministerium eigentlich am Tisch sitzt und in die Entscheidung involviert ist, wollen die Sprecher nichts sagen. Auch wie diese Prüfung der Voraussetzungen genau aussehe – kein Kommentar. Bei vielen Journalisten dominiert Unverständnis über die mangelnde Auskunftsfreudigkeit. "Es muss doch möglich sein, dass Sie den Sachverhalt nochmal kurz darstellen", rüffelt Timot Szent-Ivanyi, Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz, einen Sprecher des Justizministeriums sogar.
Doch das Unverständnis wächst auch aufseiten der Bundesregierung. Vor allem Seibert kann bei seinem Auftritt vor der Hauptstadtpresse kaum verbergen, dass er von dem Thema schwer genervt ist. Immer wieder schüttelt er unverständlich mit dem Kopf, atmet tief durch. Taugt der Fall Böhmermann gar zum Präzedenzfall? Was, wenn sich künftig auch Russlands Präsident Wladimir Putin beleidigt fühlen könnte? Auf solche Fragen mag Seibert keine Antwort geben. Beharrlich wiederholt er seine Worte vom Anfang. Artikel 5, Freiheit von Kunst und Meinungsäußerung, das höchste Gut und so weiter.
Nach 40 Minuten ist Seibert die unliebsame Angelegenheit zumindest für diesen Tag los. Dann geht es um das nächste Thema: Ein Journalist fragt nach einer Zwischenbilanz zum Flüchtlingspakt mit der Türkei. Ganz ohne Erdogan geht es im Moment einfach nicht.