Ist der Stromer-Boom vorbei?

  30 April 2023    Gelesen: 721
  Ist der Stromer-Boom vorbei?

Elektroauto-Pionier Tesla schraubt die Produktionskapazitäten nach oben. Nach unten geht es dagegen mit den Preisen - doch was verfolgt Gründer und Chef Musk damit? Worauf zielt er ab?

Für Autokäufer gibt es zurzeit zwei Nachrichten, eine gute und eine schlechte. Die gute Nachricht lautet: Am Automarkt bahnt sich ein heftiger Preiskampf an. Die schlechte: Das gilt nur für Elektroautos. Aber was sind die Gründe für den Preiskampf? Ist der Stromer-Boom schon wieder vorbei?

Drei Szenarien sind denkbar: Entweder der Markt für Elektroautos ist schon gesättigt, die Nachfrage wächst nicht mehr und die Hersteller versuchen, mit hohen Preisnachlässen ihre Anteile gegenüber dem Wettbewerb zu verteidigen. Oder: Der Markt wächst zwar noch, die Anzahl neuer Anbieter und damit das Modellangebot wachsen noch schneller und die Newcomer versuchen, mit aggressiver Preispolitik ein Stück vom Wachstumskuchen zu erkämpfen, natürlich zulasten der Alt-Anbieter, die sich wehren, sodass ein allgemeiner Preisrückgang die Folge ist.

Und die dritte Möglichkeit: Der etablierte Branchenprimus hat ehrgeizige Wachstumspläne, weitet die Produktionskapazitäten aggressiv durch den Bau neuer Giga-Factorys fortlaufend erheblich aus und sieht sich plötzlich vor die Notwendigkeit gestellt, seine bisherigen Modelle über den Preis in den bisherigen Markt zu drücken. Oder das Absatzwachstum verlagert sich in die unteren Marktsegmente und der Branchenführer sieht sich dazu gezwungen, seine Modellpalette strukturell in neue, niedrigpreisige Segmente zu erweitern. Allerdings muss er dabei feststellen, dass ihm zur Eroberung die notwendigen Modelle fehlen, und er Gefahr läuft, dass ihm die neuen Hersteller mit preislich und qualitativ-attraktiven neuen E-Modellen den Marktzutritt und künftiges Wachstum erschweren oder sogar unmöglich machen.

Marktführer Tesla startet Preiskrieg

Genau diesem Wettbewerbsszenario ist der US-Elektroautobauer Tesla mit einer aggressiven Preispolitik gefolgt, indem er weltweit die Preise für seine E-Modelle deutlich gesenkt hat. Der Boom am E-Markt ist also nicht vorbei - der weltweite Marktführer hat vielmehr einen Preiskrieg bei E-Autos angezettelt. Dieser betrifft insbesondere China und den US-Heimatmarkt. Tesla-Chef Elon Musk kurbelte die Verkäufe mit hohen Rabatten an: In diesem Jahr gab es bereits allein sechs Preissenkungsrunden in den USA.

Bereits Ende 2022 hatte Tesla mit spektakulären Preissenkungen von bis zu 9000 US-Dollar in seinen wichtigsten Märkten China und USA für hohe PR-Aufmerksamkeit gesorgt. In China führt das sogar zu TV-wirksamen Protesten von Alt-Kunden vor Tesla-Showrooms, die sich betrogen sahen. Ansonsten aber blieb die Zunft der Autobauer zunächst einmal nur aufmerksam, aber nicht besorgt.

Das hat sich seit Mitte April schlagartig geändert, zumindest in Deutschland: Tesla setzt seine aggressive Preispolitik mit einer erneuten Rabattaktion fort. Der Autobauer mit einem Werk im brandenburgischen Grünheide hat die Preise für seine E-Autos noch einmal deutlich gesenkt und bietet seine Modelle hierzulande jetzt noch einmal um bis zu 6000 Euro reduziert an.

Damit hat der quirlige Elektroauto-Marktführer-Chef und Twitter-Besitzer Musk bereits zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten tief in die Rabattkiste gegriffen. Tesla hat die höherpreisigen Model S und X in den USA im Grundpreis um jeweils 5000 Dollar reduziert, Model 3 und Model Y um 1000 beziehungsweise 2000 Dollar. Im April folgten dann Rabatte in Deutschland für das Model 3 -Grundpreis um bis zu 6000 Euro gesenkt und für das Model Y - Grundpreis um 4000 Euro gesenkt. Erst im Januar waren die Preise um teilweise bis zu 20 Prozent reduziert worden.

Preiswettbewerb nimmt Fahrt auf

Als Folge hat der spürbare Preiswettbewerb auf dem globalen Markt für Elektroautos nach und nach alle Marktsegmente erfasst, auch das hochpreisige Luxussegment, in dem sich bislang außer Tesla vor allem deutsche Marken wie Audi, BMW und Mercedes-Benz tummelten.

Tesla-Chef Musk selbst erklärte, mit diesen Rabattaktionen wolle er die Nachfrage ankurbeln. Aus seiner Sicht mag das angehen, aus Sicht eines Wettbewerbsexperten dagegen nicht. Denn mit sichererer Gewissheit werden die "bösen" Konkurrenten nicht untätig bleiben und ihrerseits mit direkten oder versteckten Preissenkungen und Rabattaktionen reagieren. Die Entwicklung in China kann als Blaupause für Europa und Deutschland dienen: Dort haben alle deutschen Hersteller - einschließlich VW - die Preise für Elektroautos inzwischen ebenfalls drastisch gesenkt.

Ob die von Musk gewünschte Absatzsteigerung als Folge der Preissenkungen bei Tesla also eintritt, ist unsicher. Nicht unsicher sind dagegen die finanziellen Folgen, sowohl für Musk als auch für die Wettbewerber: Die Ertragsmargen werden schrumpfen, die Gewinne sinken - beim reinen Elektroautohersteller Tesla. Bei den "Vor allem Verbrenner"-Herstellern bestehen Kompensationsmöglichkeiten über ein besseres Verbrennergeschäft.

Zwar ist man von Tesla Verluste gewohnt. Analysten glauben aber, Musk könne sich das leisten. So wird vom Beratungsunternehmen EY darauf verwiesen, dass Tesla mit einer EBIT-Marge von 16,8 Prozent weltweit an der Spitze aller Autobauer liegt. Mit einer Marge von im Schnitt knapp über 9000 Euro pro Fahrzeug könne sich Tesla solche Rabatte leisten, hieß es weiter vonseiten der Marktexperten.

Doch die Wirklichkeit straft die Analysten Lügen: Die Profitabilität leidet, die Preisschlacht hat den Tesla-Gewinn einbrechen lassen. In der Bilanz für das erste Quartal meldet das Unternehmen eine Gesamtbruttomarge von 19,3 Prozent. Ein Jahr zuvor war noch eine Rekordrendite von 32,9 Prozent angefallen. Zwar ist der Umsatz erwartungsgemäß um 24 Prozent auf 23,3 Milliarden Dollar gestiegen, der Nettogewinn fiel allerdings um 24 Prozent auf 2,5 Milliarden Dollar.

Musk selbst gab sich gelassen. Er begründet die niedrigeren Preise damit, E-Autos für die breite Masse erschwinglich machen zu wollen. Eine mangelnde Nachfrage gebe es nicht. Dazu passt allerdings nicht, dass Tesla im Quartal rund 18.000 Fahrzeuge mehr hergestellt als ausgeliefert hat.

Auch das erklärt die hohen Rabatte. Denn Elektroautos auf Halde sind eine verderbliche Ware, die Leistung der Batterien verschlechtert sich merklich, je länger die Standzeit ist - und Musk weiß: Ein Elektroauto, das nicht fährt, ist überhaupt nichts wert! Also besser zu schlechten Preisen verkaufen.

Ende des Preiskriegs nicht absehbar

Der Preiskampf dürfte noch nicht zu Ende sein. Sollte die Nachfrage in den oberen Marktsegmenten Musks Wachstumsplänen weiterhin nicht genügen, sind weitere Preissenkungen zu erwarten. Das dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn Skaleneffekte ausbleiben und Tesla die Produktion in den Werken in Grünheide und in Austin (Texas) nicht wie geplant hochfahren kann.

Musk selbst sagte nach Vorlage der aktuellen Quartalszahlen, er halte es für die richtige Strategie, auf ein höheres Volumen zu setzen anstatt auf weniger Absatz und höhere Margen. Die beiden Werke müssten deshalb wohl zunächst einmal mit "Gegenwind" bei der Gewinnspanne rechnen, bis Tesla das gewünschte Volumen erreicht habe. Wenn denn die böse Konkurrenz aus München und Stuttgart oder sonst wo das zulässt.

Quelle: ntv.de


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