Wer braucht Ohrhörer mit Touchscreen-Case?

  01 Juni 2023    Gelesen: 671
  Wer braucht Ohrhörer mit Touchscreen-Case?

Die Poly Voyager Free 60+ UC sind keine normalen kabellosen Ohrhörer, sie haben eine Ladebox mit Touchscreen und Bluetooth-Sender und sind sehr teuer. ntv.de hat ausprobiert, was das bringt und ob die Stöpsel für mehr als 300 Euro auch außergewöhnlich gut klingen.

Poly ist nicht irgendein neuer Kopfhörer-Hersteller, der auch noch ein Stück vom wachsenden Ohrhörer-Kuchen abhaben möchte. Das Unternehmen ging aus der Fusion des Headset-Pioniers Plantronic mit Polycom hervor und wurde im vergangenen Jahr vom Hightech-Konzern HP übernommen. Schon deshalb sind die Poly Voyager Free 60+ UC ein spannendes neues Produkt. Besonders macht die kabellosen Ohrhörer aber eine Ladebox mit integriertem Touchscreen und Bluetooth-Sender. ntv.de hat die mit fast 320 Euro auch außergewöhnlich teuren In-Ears ausprobiert.

Für reisende Geschäftsleute

Wenn man das Ladecase aus der vorbildlich minimalen Kartonverpackung holt, fällt sofort dessen Größe auf. Obwohl es nur 80 Gramm wiegt, möchte man es mit 54,5 x 72 x 33,1 Millimetern nicht in die Hosentasche stecken. Damit ist sofort klar, dass die Poly Voyager Free 60+ nicht in erster Linie für die Freizeit gedacht sind, sondern vor allem für Menschen, die beruflich viel unterwegs sind. Da sie sowieso immer Handgepäck dabei haben, spielt die Größe der Box kaum eine Rolle.

Poly geht vermutlich davon aus, dass das Case im Büro oder auf der Reise eher auf Schreib- oder Klapptischen steht, als sich in der Tasche zu verstecken. Ansonsten wäre der Touchscreen auf dem Deckel sinnlos.

Touchscreen mit vielen Optionen

Man aktiviert das Display entweder über einen Knopf neben dem USB-C-Eingang der Box oder indem man es antippt. Damit es keine Fehleingaben in der Tasche gibt, muss man den Bildschirm dann aber dreimal berühren, um ihn zu entsperren. Mit der Taste fällt dieser Schritt weg.

Man sieht dann zunächst den Ladestand von Case und Ohrhörern, soweit sie sich darin befinden. Schließt man das Info-Fenster, kommt man zum Menü mit verschiedenen Optionen. Man kann die Wiedergabe über den Touchscreen regeln, die Lautstärke einstellen, Transparenz-Modus und aktive Geräuschunterdrückung auswählen, zwischen zwei verbundenen Geräten wechseln oder den QR-Code aufrufen, über den sich die zugehörige App installieren lässt.

Ladecase als Bluetooth-Sender

Es gibt auch ein Bluetooth-Symbol, um Geräte zu koppeln. Man hat hier außerdem zusätzlich die Möglichkeit, den Bluetooth-Transmitter zu aktivieren. Er dient dazu, die Ohrhörer mit Geräten zu nutzen, die keinen Bluetooth-Kontakt herstellen können. So kann man die Voyager Free 60+ beispielsweise mit herkömmlichen Unterhaltungssystemen im Flugzeug verbinden. Dafür nötige Kabel gehören zum Lieferumfang.

Öffnet man das Case, sieht man im Deckel ein weiteres Extra. Dort hat Poly nämlich ein Bluetooth-Dongle verstaut, was sonst nur bei Office-Bügel-Kopfhörern üblich ist. Er dient vor allem dazu, die Ohrhörer mit Desktop-Rechnern zu verbinden, die kein eigenes Bluetooth-Modul haben.

Das alles hat im Test wunderbar funktioniert. Der Touchscreen reagiert schnell und präzise, alle zur Verfügung stehenden Verbindungen waren schnell hergestellt. Dabei sind die Funktionen des Displays weitgehend selbsterklärend, man benötigt dafür eigentlich keine Anleitung.

Ohrhörer sitzen nicht gut

Das Case hat den Test also mit Bravour bestanden. Bei den Ohrhörern selbst ist das nicht ganz der Fall. Das liegt nicht daran, dass sie wie ihre Ladebox ziemlich groß sind. Mit einem geringen Gewicht von 5,8 Gramm sind die Stöpsel trotzdem bequem zu tragen. Allerdings hat man bei den Silikonaufsätzen nur die Wahl zwischen drei verschiedenen Größen.

Man muss also etwas Glück haben, damit die Ohrhörer sicher sitzen. Im Test war das leider nicht so. Zwar war es möglich, mit den größten Aufsätzen die für einen guten Klang und effektives ANC nötige Abdichtung am Gehörgang zu erreichen. Bei stärkeren Bewegungen verrutschten die Voyager Free 60+ aber sofort.

Problematische Touch-Steuerung

Selbst wenn sie fest sitzen, kann die Bedienung der Ohrhörer problematisch sein. Denn neben zwei Drucktasten an den Enden ihrer Zapfen haben sie auf der Außenseite Touchflächen. Man regelt die Lautstärke, indem man nach oben oder unten streicht. Da die Zapfen ziemlich lang sind, hebelt man so die Stöpsel schnell aus ihrer idealen Position, was ziemlich nervig ist.

Seltsam ist, dass man durch keine Geste die Möglichkeit hat, bei der Musikwiedergabe einen Song vor- oder zurückzuspringen. In der zugehörigen App für iOS- oder Android-Geräte oder PCs gibt es auch nicht die Möglichkeit, dies zu ändern. Presst man die Tasten am Ende der Zapfen, pausiert oder startet die Wiedergabe, ein langer Druck ruft einen Sprachassistenten auf. Das war's. Man muss wohl oder übel das Case oder ein verbundenes Gerät nutzen, um in der Wiedergabe vor- oder zurückzuspringen.

Zu viel Bass, zu wenig Einstellungen

Gemischte Gefühle hat man auch beim Klang der Poly Voyager Free 60+. Denn in der Grundeinstellung sind die Bässe zu stark betont. Das kann bei Songs, die keinen besonderen Tiefgang haben, schon gefallen - speziell bei alten Aufnahmen. Doch wenn ein Lied ohnehin einen starken Bass hat, überdeckt er die Mitten.

Das ist schade, denn man hört, dass es die Ohrhörer eigentlich drauf haben und ganz oben mitspielen könnten. Besser klingen sie, wenn man in der App die Einstellung auf Mitten oder Höhen ändert. Dann ist der Sound klarer, liefert viel mehr Details und die Bässe sind trotzdem noch kräftig genug. Mehr kann man nicht ändern, in der App gibt es nur drei Modi zur Auswahl.

ANC okay, Transparenz-Modus gut

Die aktive Geräuschunterdrückung ist effektiv. Sie dämpft vor allem gleichmäßiges Rauschen deutlich. Mit der Spitzenklasse können die Poly-Ohrhörer aber auch hier nicht ganz mithalten, da sie bei manchen Frequenzen schwächeln. So unterdrückten sie im Test den Lüfter-Lärm einer Powerstation so gut wie gar nicht. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob man adaptives ANC aktiviert. Besser ist der Transparenz-Modus, der für Sprache und Umgebung zur Verfügung steht und sehr natürlich wirkt.

Keinen Grund zur Kritik gibt es an der Geräuschunterdrückung bei Telefonaten oder in Videochats. Die eigene Stimme und die der Gesprächspartner ist immer gut zu verstehen, der Klang ist angenehm. Auch mit Wind haben die Voyager Free 60+ keine Probleme. So ist es verständlich, dass die Ohrhörer von Zoom und anderen Videochat-Anbietern zertifiziert wurden.

Die Ausdauer der Ohrhörer ist gut, mit aktiviertem ANC halten sie bei der Musikwiedergabe etwa sieben Stunden durch. Das Case hat Reserven für bis zu 16 weitere Stunden. 15 Minuten in der Box genügen leeren Stöpseln, um wieder rund eine Stunde durchzuhalten. Das Case kann auch induktiv geladen werden.

Fazit

So richtig weiß man mit den Poly Voyager Free 60+ nichts anzufangen. Als reine Ohrhörer rechtfertigen sie den enorm hohen Preis nicht - dafür sind sie zu fummelig und klanglich nicht stark genug. Der Touchscreen funktioniert zwar prima, aber man fragt sich, warum man nicht gleich das Smartphone in die Hand nehmen soll. Der Bluetooth-Dongle ist praktisch, heutzutage aber immer seltener notwendig - fürs Flugzeug ist das ANC ohnehin zu schwach.

Quelle: ntv.de


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