Mit diesem Schlag hatte der Clan nicht gerechnet

  13 April 2016    Gelesen: 1282
Mit diesem Schlag hatte der Clan nicht gerechnet
Das Schweigen ist gebrochen. Dank Zeugenaussagen konnte die Berliner Polizei gegen arabische Clans vorgehen. Damit hatten diese nicht gerechnet: Wer gegen Clanmitglieder aussagt, riskiert sein Leben.
Die mutmaßlichen Straftäter lagen wohl schlafend in ihren Betten und ahnten nicht, was da im Morgengrauen auf sie zurollte. Es war 4.30 Uhr, als sich eine ganze Karawane von Zivilfahrzeugen und Mannschaftswagen durch den Berliner Stadtteil Neukölln schob und auf die Schinkestraße zubewegte.

Dutzende schwer bewaffneter und vermummter Elite-Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) hatten sich, begleitet von Bereitschaftspolizisten und Hunden, auf den Weg gemacht, um einen Großschlag gegen kriminelle arabische Großfamilien zu verüben.

Seit Jahren sorgen Angehörige jener Clans in verschiedenen Teilen der Hauptstadt immer wieder mit spektakulären Überfällen und brutalen Machtdemonstrationen für Furore und stellen die Sicherheitsbehörden vor zunehmend große Probleme.

Dank der Aussagen von Zeugen hatten die Fahnder nun acht Haftbefehle vorliegen. Mehrere konkrete Personen werden demnach verdächtigt, an einem gescheiterten Auftragsmord, einem Überfall auf das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) beteiligt oder im Besitz illegaler Waffen zu sein. Nach monatelangen Ermittlungen schlug die Polizei nun also zu. Berlin macht Ernst im Kampf gegen die Clans.

Großer Tumult, der schnell vorbei war

Es war noch nicht hell, als die Polizisten zeitgleich vier Wohnungen in dem Neuköllner Komplex stürmten. Laute Rufe der Beamten schallten über die Straße – und holten viele der Anwohner früher als sonst aus den Betten. In verschiedenen Wohnungen ging das Licht an, neugierige, verschlafene Gesichter an den Fenstern, die versuchten, sich ein Bild zu machen angesichts der ungewöhnlichen Ereignisse.

Doch so groß der Tumult war, so schnell war er auch schon wieder vorbei: Wenige Minuten nachdem sich die Polizisten gewaltsam Zutritt verschafft hatten zu den Unterkünften der Verdächtigen, wurde bereits per Funkspruch vermeldet:

"Niemand verletzt. Drei der gesuchten Männer konnten überwältigt und festgenommen werden." Die Beamten beschlagnahmten einen Porsche, Schmuck, Bargeld und eine scharfe Schusswaffe. Zur gleichen Zeit hatten andere Polizeiteams in den Bezirken Lankwitz, Hermsdorf und Gropiusstadt operiert.

Die Razzia ist die jüngste Episode eines verzweifelten Kampfes, den die Hauptstadtpolizei seit Jahrzehnten gegen die gefürchteten arabischen Clans führt. 15 bis 20 dieser Großfamilien leben den Behörden zufolge in Berlin, sieben bis neun der Verbünde sollen in der organisierten Kriminalität (OK) verstrickt sein.

In den 70er-Jahren waren die ersten Mitglieder zugezogen, die meisten davon stammen aus dem Libanon. Sie kauften billige Häuser, holten immer mehr Familienangehörige nach und brachten sie dort unter. Sollte es Integrationsbemühungen gegeben haben, schlugen diese offenkundig fehl: Überproportional viele Mitglieder der Clans wurden in den Folgejahren kriminell; sie brachten große Teile des Berliner Drogenmarkts und Prostituiertenmilieus unter ihre Kontrolle.

"Die Hauptstadt ist verloren", lautet das düstere Fazit des Personenschützers Michael Kuhr. Die Strukturen hätten sich in allen Bereichen des organisierten Verbrechens manifestiert. Die Aktion richtete sich dabei gezielt gegen die berüchtigte Großfamilie al-Zain. Hintergrund sind nach Informationen der "Welt" seit geraumer Zeit laufende Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Die mutmaßlichen Täter bekamen nach dem Zugriff nur etwas Zeit, um persönliche Dinge für die Untersuchungshaft zusammenzupacken. Anschließend wurden sie mit Handschellen gefesselt und von mehreren Beamten begleitet zu Gefangenentransportern geführt. Laut Polizeisprecher Stefan Redlich hat man alle diejenigen bekommen, die man haben wollte. Insgesamt acht Haftbefehle gegen Männer im Alter zwischen 20 und 56 Jahren wurden vollstreckt.

Zeugenaussagen dürften verunsichern

An dem Einsatz waren im ganzen Stadtgebiet insgesamt 220 Beamte beteiligt, darunter 60 SEK-Beamte. 16 Wohnungen, Lokale und Gewerbebetriebe wurden durchsucht – damit war es in Berlin eine der größt angelegten Aktionen dieser Art seit Langem. Ein szenekundiger Beamter wertet die Aktion als Erfolg.

"Diese Herrschaften haben sich in den letzten Jahren in alle Bereiche der organisierten Kriminalität gefressen. Und sie waren sich ihrer Sache sicher. Jetzt kam die große Überraschung."

Was zusätzlich für Verunsicherung in den Kreisen der arabischen Großfamilien sorgen dürfte, ist die Tatsache, dass der Einsatz vom Dienstag auf umfangreichen Zeugenaussagen beruht.

"In diesen Kreisen ist es Gesetz, nicht mit der Polizei zu reden. Schon deshalb, weil man sonst um sein Leben fürchten muss", sagt der Beamte. Jetzt sähen die kriminellen Angehörigen dieser Familien, dass ihre Drohungen offenbar nicht mehr ausreichten.

"Wenn das Schule macht und wir Kronzeugen gewinnen, könnten wir diesen Strukturen in der kommenden Zeit arg schaden."

Zum genauen Ermittlungsstand halten sich die Behörden noch bedeckt. Sie sollen nach Informationen der "Welt" aber im Zusammenhang mit einem Auftragsmord stehen, der zwar versucht wurde, am Ende aber nicht erfolgreich war. Aus Polizeikreisen verlautete, dass außerdem mindestens zwei der sechs mutmaßlichen Täter an einem schweren Raubüberfall auf das KaDeWe beteiligt gewesen sein sollen.

Am 20. Dezember 2014 waren fünf maskierte und bewaffnete Männer in das Nobelkaufhaus eingedrungen, hatten Reizgas versprüht und Vitrinen zerschlagen – und Schmuck und Uhren im Wert von 817.000 Euro entwendet. Laut Polizeisprecher Redlich sollen die Festgenommenen sich außerdem des illegalen Waffenbesitzes schuldig gemacht haben.

Die Familie al-Zain ist seit Langem in der organisierten Kriminalität aktiv. Das Berliner Clan-Oberhaupt war viele Jahre unter dem Spitznamen "Der Präsident" bekannt. Laut einem Ermittler war ihm und weiteren engen Angehörigen in den vergangenen Jahren allerdings "der Boden der Hauptstadt zu heiß" geworden. Man habe sich daher in Düsseldorf niedergelassen.

"Der Ermittlungsdruck unserer Polizei hat seine Machenschaften arg gestört", sagt der Beamte. "Hinzu kommt, dass sich andere Großfamilien in Berlin etablierten und bei Revierstreitigkeiten keine Gnade kannten." Jedoch ist ein Großteil der Familie noch immer in der Hauptstadt aktiv.

Angriff auf Polizisten – er stirbt

Der jüngste Zugriff war naturgemäß nicht die erste Razzia gegen arabische Großfamilien, nicht immer liefen diese so glimpflich ab wie dieses Mal. Im Jahr 2003 etwa war ein SEK-Beamter bei einem Einsatz durch einen Kopfschuss getötet worden.

Damals waren zwei Wohnungen an der Kienitzer Straße in Neukölln zeitgleich gestürmt worden. Es sollte ein Verdächtiger gestellt werden, der an einer Messerstecherei mit Angehörigen des Al-Zain-Clans beteiligt gewesen war.

Als die Beamten in die Räume eindrangen, eröffnete ein Mann das Feuer und traf den Beamten in den Kopf. Dieser starb nach wenigen Tagen im Krankenhaus und hinterließ seine Lebensgefährtin und eine kleine Tochter. Berlin war geschockt über die Brutalität, es gab Solidaritätsdemonstrationen und Spendenaufrufe für die Familie. Der Schütze wurde wegen Mordes verurteilt. Vor Gericht begründete er die Schüsse damit, nicht die Polizei, sondern Angehörige des Clans erwartet und deshalb aus Notwehr gehandelt zu haben.

Laut einem Mitarbeiter des Landeskriminalamtes (LKA) der Hauptstadt soll die Aktion von Dienstagnacht auch ein klares Signal an die anderen Großfamilien in Berlin sein, deren Mitglieder vor allem den Drogenhandel mit Kokain, Heroin und Haschisch kontrollieren. Die aber auch im Rotlichtgewerbe aktiv sind.

So kassieren sie beispielsweise Schutzgelder von Zuhältern an der Schöneberger Kurfürstenstraße und von den Betreibern kleiner Wohnungsbordelle. "Einige Clan-Mitglieder führen aber auch eigene Bordelle, zumeist mit Frauen aus Osteuropa", berichtet ein Polizist. "Oftmals zieht bei den jungen Frauen aus Bulgarien, Polen und Tschechien die versprochene Aussicht auf einen Job in Deutschland. In Aussicht gestellt werden Jobs in Lokalen und Restaurants."

In Berlin angekommen, werde den Frauen der Pass abgenommen und sie würden notfalls mit Gewalt zur Prostitution gezwungen. Zusätzlich würde ihnen gedroht, den Familien in der Heimat etwas anzutun, sollten sie sich den Wünschen ihrer "neuen Herren" widersetzen.

Waffenhandel spielt geringfügige Rolle

Haupteinnahmequelle der arabischen Clans ist neben den Drogengeschäften aber vor allem die Schutzgelderpressung. Ermittlern zufolge gibt es kaum eine Shisha-Bar, deren Betreiber nicht Provision an die Clans bezahlen. Gleiches gilt für einige Nachtklubs. Das auf diese Weise erworbene Geld werde anschließend oft in legale Unternehmen gesteckt, so der Beamte weiter.

Offenbar gibt es bereits einige einschlägig bekannte Anführer der Großfamilien, die sich "regelrecht zurückgezogen haben" – und lediglich ihr Vermögen verwalteten.

Der kommerzielle Handel mit Waffen spielt dabei nur eine geringfügige Rolle in den Strukturen der Banden. "Sicherlich sind diese Leute imstande, Waffen zu besorgen, notfalls auch Kriegswaffen, die sie sich aus Ost-Europa kommen lassen", sagt ein Fahnder.

Diese Waffen würden allerdings nicht aus Profitgier verkauft, sondern dienten in erster Linie dazu, die geplanten Straftaten wie Raubüberfälle oder auch die Anschläge gegen verfeindete Konkurrenten durchzuführen.

Quelle : welt.de

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