Israel schickt über Tausend Soldaten nach Dschenin

  04 Juli 2023    Gelesen: 686
  Israel schickt über Tausend Soldaten nach Dschenin

Die Stadt Dschenin im Westjordanland gilt als Hochburg militanter Palästinenser. Israel beginnt dort erstmals seit Jahrzehnten wieder eine Großoffensive. Ihr Ausgang ist offen. Auch an anderen Fronten könnte sich die Lage verschärfen.

Erstmals seit zwei Jahrzehnten hat Israel wieder eine großangelegte Militäroffensive im Westjordanland begonnen. Nach mehreren Luftschlägen in der vergangenen Nacht rückte die Armee mit Bodentruppen in die palästinensische Stadt Dschenin ein. Mindestens acht Palästinenser wurden getötet, darunter ein 16-Jähriger. Dutzende weitere wurden nach palästinensischen Angaben zum Teil lebensgefährlich verletzt. In der Stadt kam es über Stunden zu heftigen Feuergefechten. Bei mindestens einem Toten soll es sich Berichten zufolge um einen militanten Palästinenser handeln. Am Abend dauerten die Kämpfe weiter an, ein Insider sagte der Nachrichtenagentur Reuters am Nachmittag, die Operation werde wohl noch mindestens 24 Stunden dauern.

Zuletzt hatten sich die Anzeichen für eine Großoffensive verdichtet. In Israel waren über Wochen vermehrt Rufe nach einem härteren Vorgehen in Dschenin laut geworden. Finanzminister Bezalel Smotrich sagte etwa, es sei "an der Zeit, statt Aktivitäten mit der Pinzette eine breite Operation zur Beseitigung der Terrornester" im Norden des Westjordanlandes zu starten. Ähnliche Forderungen kamen auch vom rechtsextremen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir.

Militärsprecher Richard Hecht sagte nach Beginn der Offensive, Ziel der Operation "Heim und Garten" sei es, "terroristische Infrastruktur" zu zerschlagen. Das Militär wolle die Stadt, die unter der Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) steht, nicht besetzen. Dschenin solle jedoch nicht weiter "ein sicherer Hafen für Terroristen" sein. Ihm zufolge flüchteten seit vergangenen September 19 Palästinenser nach Anschlägen auf Israelis in das keine 80 Kilometer Luftlinie von Jerusalem gelegene Dschenin.

Berichten zufolge sollen mehr als Tausend Soldaten an dem Einsatz beteiligt sein. Die Armee entdeckte laut eigenen Angaben im Laufe des Tages unter einer Moschee Lager mit Waffen und Sprengstoff, die sie beschlagnahmten. Zwischen den Bewohnern eines palästinensischen Dorfs und Anwohnern einer nahgelegenen Siedlung im Westjordanland kam es Medienberichten zufolge zudem zu Auseinandersetzungen.

Keimzelle militanter Palästinenser

Die dicht besiedelte Stadt Dschenin und das dazugehörende Flüchtlingslager mit rund 17.000 Einwohnern gelten seit Jahren als Hochburg militanter Palästinenser. Neben der im Gazastreifen herrschenden Hamas haben in den vergangenen Jahren auch die militante Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad sowie weitere Gruppierungen dort massiv an Einfluss gewonnen. Finanziert werden sie größtenteils vom Iran.

Zuletzt kam es vor gut 20 Jahren während des zweiten Palästinenseraufstandes (2000-2005) zu einem vergleichbaren Einsatz. Im Jahr 2002 lieferten sich israelische Soldaten und militante Palästinenser in den engen Gassen des Lagers tagelange Gefechte. Mehr als 50 Palästinenser und 23 israelische Soldaten wurden damals getötet.

Die Hamas rief am Morgen zur Mobilisierung der Palästinenser im Westjordanland auf und sicherte ihren Kämpfern in Dschenin Unterstützung zu. Ein Sprecher des Islamischen Dschihads teilte mit: "Solange diese Aggression nicht aufhört, werden die Reaktionsmöglichkeiten breit und umfassend sein". Der Sprecher des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, Nabil Abu Rudeineh, sprach von einem "neuen Kriegsverbrechen" und forderte von der internationalen Gemeinschaft, "ihr beschämendes Schweigen zu brechen und ernsthafte Maßnahmen zu ergreifen".

Experte: "Wir kaufen uns nur Zeit"

Nach Angaben von Jochanan Zoref vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien könnten sich die Kämpfe auf weitere Fronten ausweiten. "Die Hamas und weitere militante Gruppierungen im Gazastreifen und im Nachbarland Libanon sind von dem Angriff überrascht worden", sagte er. Sie wiegen demnach nun ab, ob sie sich aus ihren Gebieten beteiligen sollen. Dies sei auch von der Zahl der Opfer und von der Wucht des Widerstands im Westjordanland abhängig. Eine nachhaltige Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts sieht Zoref jedoch nicht in dem Einsatz. Diese sei nur möglich, wenn Israel wieder in einen politischen Dialog mit der PA eintrete. Das Militär könne ihn nicht allein lösen. "Wir kaufen uns nur Zeit." Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern liegen seit 2014 brach.

Die Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten ist seit langem angespannt und hatte sich zuletzt nach einem tödlichen Anschlag zweier Palästinenser auf vier israelische Siedler nochmals verschärft. Seit Beginn des Jahres kamen mehr als zwei Dutzend Menschen bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 140 Palästinenser bei Konfrontationen, israelischen Militäreinsätzen oder nach eigenen Anschlägen erschossen oder durch Luftangriffe getötet.

Israel eroberte das Westjordanland und Ost-Jerusalem während des Sechstagekrieges 1967. Die Palästinenser fordern die Gebiete für einen eigenen Staat.

Quelle: ntv.de, Christina Storz, Maher Abukhater und Cindy Riechau, dpa


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