E-Klasse durch und durch - erste Fahrt mit Mercedes CLE

  15 September 2023    Gelesen: 659
  E-Klasse durch und durch - erste Fahrt mit Mercedes CLE

Schön, dass Mercedes dem Coupé trotz des steigenden SUV-Trends die Stange hält. ntv.de war mit dem neuen CLE unterwegs, der jetzt zwei Vorgänger-Coupés gleichzeitig beerbt. Sagt zumindest Mercedes.

Früher war alles besser, oder? Dieser Satz kommt natürlich mit einem Augenzwinkern, denn vermutlich ist die Aussage oft falsch. Trifft sie denn zu, wenn man Fan von großen Mercedes-Coupés ist? Es ist wie so oft verwirrend. Der jetzige Schwund des C-Klasse-Coupés (den CLE sortieren wir ruhig mal unter E-Klasse ein) schmerzt nur deshalb so arg, weil man mittlerweile einem wahren Gewusel an SUV-Modellen ausgesetzt ist und die Zweitürer sowieso bereits weit in der Unterzahl sind. Aber in Wahrheit gab es bei Mercedes über Jahrzehnte hinweg sowieso immer nur zwei schnieke Coupés gleichzeitig. Und vor einiger Zeit fiel der S-Klasse-Zweitürer weg, nun ist es das C-Klasse-Coupé.

Was bleibt? Die Basis des gerade neu aufgelegten AMG-GT wäre durchaus ein guter Ersatz für das ehemalige Oberklasse-Coupé. Und der neue CLE? Soll C- und E-Klasse ersetzen, aber das ist im Grunde ein Marketing-Versprechen, um Kunden der alten zweitürigen C-Klasse ins Boot zu holen. Denn er ist trotz C-Klasse-Cockpit (der Superscreen bleibt hier verwehrt) freilich der heimliche Nachfolger des E-Klasse-Coupés. Die Abmessungen zeigen es schließlich angesichts 4,85 Metern Außenlänge.

Wie auch immer man den Neuling einordnet - segmentunabhängige Argumente für den auf die Bezeichnung 236 hörenden Schwaben gibt es genug. Denn der besticht mit klassischer und zugleich anmachender Formensprache. Das Sehnsuchtsrezept ist denkbar simpel: Ellenlange Haube mit sportlicher Sharknose-Front und kurzes knackiges Heck ziehen immer.

Mercedes selbst argumentiert schon richtig. Wer ein bisschen sportlicher unterwegs sein möchte und die Coupé-Silhouette liebt, braucht keinen Monitor in Übergröße oder sonstigen Schnickschnack. Aber! Sechs Zylinder sollen es bitte schon sein. Das weiß auch Mercedes und liefert brav ab. CLE 450 4Matic heißt das Gerät und schüttelt 381 PS (und 500 Newtonmeter Drehmoment) aus der Kurbelwelle plus inzwischen 23 PS sowie 205 Newtonmeter Drehmoment an elektrischer Schützenhilfe.

Merkt man den lautlosen Startergenerator mit der Extraportion Saft? Ja klar, weil der Verbrenner einfach nur "anploppt" und nicht "orgelt". Aber dann! Hat der fein-kultivierte Dreiliter-Reihensechser mit Twinscroll-Turbolader die Oberhand, schiebt nachdrücklich-beflissen und lässt ein bisschen altes Mercedes-Gefühl aufkommen, nämlich jenes der unaufgeregten Souveränität. Er kann aber auch aufgeregt, und wie! Nämlich den rund zwei Tonnen schweren Allradler binnen 4,4 Sekunden auf Landstraßentempo schmettern. Und noch weiter, bis die Beschleunigung bei von Mercedes freiwillig gewählten 250 km/h abebbt.

Elektrischer Gurtbringer ist ein Stück Mercedes-Geschichte

Jetzt habe ich aber eine Szene übersprungen und muss kurz zurück zum Anfang. Das ist der Moment, in dem ich das neue Coupé der Baureihe 236 entere. In den bequemen Hightech-Sitz (optional mit zahlreichen Lautsprecherboxen für dreidimensionalen Sound gespickt) fläzen und den Startknopf antippen. Und dann kommt der Mercedes-Moment: Der surrende Gurtbringer - O-Ton Mercedes - reicht den Gurt wie einst beim legendären W126, dem großen Coupé der S-Klasse, per nach vorn fahrendem elektrischen Mechanismus. Damals fiel die B-Säule weg und man wollte seinen Passagieren schlicht nicht zumuten, sich zu verrenken, um so weit nach hinten greifen zu müssen. Schön, dass die Schwaben dieses kleine Traditions-Gimmick nicht weggespart haben.

Von der Tradition gehts gleich wieder in die Moderne. Ein bisschen hat sich getan seit 1981 (W126), und auch im 236 heißt es ab sofort "big brother is watching you" - wenn man will und es Job oder Termine erfordern, lässt sich mal eben ein Zoom-Meeting während der Fahrt organisieren. Die dafür nötige Kamera sitzt auf dem Armaturenbrett. Was die Displaymenge angeht - alles im grünen Bereich (insgesamt über 24 Zoll). Und die Bedienung ist vorbildlich inklusive dem Klassiker, überschwängliche Fahrassistenz mit zwei Handgriffen abzuschalten. Zudem lernt der CLE dank künstlicher Intelligenz bestimmte Routinen (beispielsweise ab sieben Grad Celsius abwärts die Sitzheizung einzuschalten). Und es gibt mittlerweile die Möglichkeit, Videos zu streamen und Spiele zu spielen, falls Langeweile aufkommen sollte.

Der CLE ist fahraktiv und zugleich komfortabel

Und das, obwohl das Coupé grundsätzlich kurzweilig ist. Es erhebt nämlich immer den Anspruch, möglichst viel fahrerische Tätigkeit bei der Person hinter dem Steuer zu belassen. Mercedes trägt dem Rechnung, hält die Abstimmung irgendwo in der Mitte zwischen "der geht auch mal rasant die Serpentinen hoch" und "wir reißen heute 700 Kilometer am Stück ab". Denn neben dynamischen Qualitäten (Hinterachslenkung ist am Start) gelingt auch das konsequente Parieren von Störungen auf der Straßenoberfläche ganz solide. Letzteren Einschlag unterstützt außerdem der lange Radstand von 2,87 Metern.

Aber was passiert, wenn das Budget zur Vernunftentscheidung drängt und sich jeglicher Sechszylinder verbietet? CLE 300 4Matic könnte die Lösung dann heißen (auch wenn ein CLE natürlich nie eine Vernunftentscheidung sein kann, aber egal). Und auch wenn dessen im Zeitalter des Elektro-PS-Wahnwitzes 258 Stärkeeinheiten eher müde klingen: Der aufgeladene Zweiliter-Vierzylinder läuft ganz gut (6,2 Sekunden bis 100 km/h), wenngleich er ein wenig profan klingt. Aber das hat bei einem etwaigen 230 CE ja auch nicht gestört.

Und sogar Dieselfreunde werden nicht vernachlässigt. Mercedes nimmt das Thema ernst, lädt natürlich ein, den 197 PS starken CLE 220d ebenfalls eine kleinere oder auch größere Runde um den Block zu bewegen. Der kostet auch "nur" 60.511 statt 68.544 Euro, hat aber auch keinen Allradantrieb. Und die Geräuschkulisse? Dissonante Töne haben die Akustiker einfach weggedämmt, übrig bleibt stattdessen bäriges Drehmoment (440 Newtonmeter ab 1800 Touren) und auch hier die elektrische Unterstützung in Höhe von 23 PS. Und so zerstreut der Selbstzünder jeden Verdacht auf Leistungsmangel und erfreut sogar durch recht kultivierten Lauf. Genau wie bei sämtlichen anderen Maschinen fließt die Kraft durch den Neunstufen-Wandlerautomaten.

Günstig ist das Mercedes-Coupé nicht gerade

Noch einmal zum Thema Vernunft. Unter 58.131 Euro geht nichts beim CLE. Für diesen Kurs bekommt man den immerhin allerdings schon 204 plus 23 PS leistenden Zwohunderter (Benziner) mit Hinterradantrieb. Die grundlegende Assistenz, viel Display, Multimedia und Klimaautomatik sind enthalten. Viele Kreuzchen bei toll klingenden Ausstattungsoptionen oder das Verlangen nach mehr Leistung treiben den Kurs jedoch ganz locker in den sechsstelligen Bereich.

Platz gibt es dafür nicht ganz so viel wie bei der E-Klasse. Das Gepäckraumvolumen des CLE reicht mit 420 Litern nicht an die C-Klasse (455 Liter) und schon gar nicht an die E-Klasse (540 Liter) heran. Als Passagier kann man es im Fond allerdings eine Zeit lang gut aushalten, wenngleich die Kopffreiheit nicht allzu üppig ausfällt. Wie war das noch? Wer schön sein will, muss leiden und wer ein schönes Auto haben will, muss es auch.

Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick in die Zukunft: Folgen werden ein Plug-in-Hybrid, eine Cabrio-Variante und - ziemlich sicher - eine AMG-Version. Mit V8-Motor womöglich? Das bleibt spannend, erst haben Medienberichte genau das als bestätigt kommuniziert, dann ruderte Mercedes zurück. Wegen der Kosten oder strenger Abgasnormen? Man weiß es nicht. Daher ein Appell an Sie, lieber Leser: Fragen Sie bitte fleißig nach dem V8-Modell bei Ihrem Händler. Das könnte helfen. Schließlich passt doch ein emotionaler Motor zum emotionalen Coupé.

Quelle: ntv.de


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