Warum macht Kohl das?

  19 April 2016    Gelesen: 566
Warum macht Kohl das?
Helmut Kohl empfängt heute den umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Dafür sind drei Gründe denkbar: die gemeinsame Gegnerin, Dankbarkeit aus alten Tagen – und die politische Haltung von Frau Kohl.
Dass Helmut Kohl die Europapolitik seiner Nach-Nachfolgerin Angela Merkel kritisch sieht, ist bekannt. "Die macht mir mein Europa kaputt", soll der Altkanzler 2011 gesagt haben, auch wenn er dieses Zitat später dementierte.

An diesem Dienstag empfängt Kohl den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in seinem Haus in Oggersheim. Es könnte sein, dass es ihm dabei wiederum vor allem um Kritik an Merkel geht. Schließlich ist Orbán mit seiner Politik der geschlossenen Grenzen und der Abweisung von Flüchtlingen der radikale Gegenentwurf zur deutschen Kanzlerin, die den Schengen-Raum erhalten und der Türkei bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems helfen will.

Anlass des Treffens ist der Verkaufsstart des Kohl-Buches "Aus Sorge um Europa" in Ungarn, das in Deutschland 2014 erschien. In einem aktuellen Vorwort, das der "Tagesspiegel" am Sonntag in Auszügen veröffentlichte, kritisiert Kohl Merkel, ohne sie namentlich zu nennen. "Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören", so Kohl.

Bereits in der deutschen Originalversion seines Buches hatte Kohl Merkel kritisiert – ebenfalls ohne ihren Namen zu nennen. Damals war Merkel ihm zu wenig europäisch. "Wir müssen den Bau des `Hauses Europa` jetzt mit neuem Schwung angehen und Schritt für Schritt vollenden", schrieb er seinerzeit. Ob Orbán dies so auch so sieht, darf bezweifelt werden. In einer Rede im März verglich er die EU mit der einstigen Sowjetunion. Als Kompliment war das nicht gemeint, auch wenn ihm das heutige Russland gut zu gefallen scheint. Was seine Regierung in Ungarn aufbaue, sei ein "illiberaler Staat", sagte er 2014 in einer Rede und nannte Länder wie China, Russland und die Türkei als Vorbilder.

Wer spricht, wenn Kohl spricht?

Aber ist es überhaupt Kohl, der aus dem Vorwort spricht? Der Altkanzler ist gesundheitlich angeschlagen; als er im November 2014 sein Büchlein vorstellte, war er zum Teil kaum, zum Teil gar nicht zu verstehen. "Wer spricht eigentlich, wenn Helmut Kohl spricht?", fragte der "Spiegel" kürzlich. Da schwang die Überlegung mit, es könne seine Frau Maike Kohl-Richter sein, die für den Altkanzler das Wort ergreift.

Diesen Verdacht hatte bereits der langjährige Kohl-Ghostwriter Heribert Schwan geäußert. Schwan ist der Mann, der Kohls "Erinnerungen" aufgeschrieben hat. Nachdem er auf der Basis von Tonbändern, die dabei entstanden waren, ein Enthüllungsbuch über den Altkanzler veröffentlichte, klagte Kohl gegen Schwan und bekam in mehreren Instanzen Recht – in wenigen Tagen steht eine weitere Gerichtsentscheidung in dem Fall an.

Schwan mutmaßt, dass Kohls Frau hinter den Klagen steht. Schon vorher konnte er sie nicht leiden – in seiner Darstellung ist sie dafür verantwortlich, dass Kohl mit ihm und zahlreichen anderen Wegbegleitern gebrochen hat. Politisch sieht Schwan Kohl-Richter weit rechts. Sie sei, schreibt er in dem Buch, das nicht mehr verkauft werden darf, "geradezu deutschnational gesonnen". Sollte dies stimmen, läge tatsächlich der Verdacht nahe, dass die Nähe zwischen Orbán und Kohl von der zweiten Frau des Altkanzlers zumindest befördert wird.

Doch bereits in der Zeit vor Maike Kohl-Richter gab es eine enge Verbindung zwischen Kohl und Orbán. Die beiden kennen sich schon lange: Orbán trat sein Amt im Juli 1998 an, Kohl wurde im September 1998 abgewählt. Im Sommer dazwischen besuchte der Ungar den Deutschen in Bonn, um den Rat des Staatsmanns zu erfragen. Zwei Jahre später erhielt Kohl aus Orbáns Hand die "Milleniums-Medaille" der ungarischen Regierung. In Deutschland war Kohl zu diesem Zeitpunkt wegen der Spendenaffäre Persona non grata: Erst wenige Monate zuvor hatte der den Ehrenvorsitz der CDU abgeben müssen.

Mutmaßlich aus Dankbarkeit und Loyalität schaltete Kohl sich mehrfach in ungarische Wahlkämpfe ein: "Dein Land hat unter Deiner Regierung eine erfreuliche Entwicklung genommen", schrieb er ihm im Wahlkampf 2014. Den Brief veröffentlichte Orbán umgehend auf seiner Facebook-Seite.

"Es geht um unsere Existenz"

Im ungarischen Vorwort zu "Aus Sorge um Europa" nennt Kohl Orbán "meinen Freund", mit dem er sich in Fragen der Europapolitik einig wisse. Offenbar auch in Fragen der Flüchtlingspolitik: Neben den humanitären Aspekten müsse Europa "wohlbegründete kulturelle und sicherheitspolitische Interessen berücksichtigen", so Kohl. Viele Flüchtlinge kämen "aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Sie folgen zu einem wesentlichen Teil auch einem anderen als dem jüdisch-christlichen Glauben, der zu den Grundlagen unserer Werte- und Gesellschaftsordnung gehört". Das "führt nachvollziehbar zu Diskussionen unter den politisch Verantwortlichen sowie zu Verunsicherungen bei den Menschen: Es geht um unsere Existenz."

Der Satz, es gehe "um unsere Existenz", steht im Gegensatz zur CDU von heute; hier klingt eine Weltuntergangsstimmung durch, die man eher von der AfD kennt. Spricht hier ein pessimistischer 86-Jähriger oder ein loyaler Freund? Würde Kohl sich anders äußern, wenn er nicht auf die Hilfe seiner Frau angewiesen wäre? Arbeitet Kohl sich immer noch an der Frau ab, die ihn einst von der CDU-Spitze stürzte? Oder will er Orbán und Ungarn einen Anstoß geben, sich nicht noch stärker vom "Haus Europa" zu entfremden? Es könnte eine Mischung aus alldem sein.

Quelle: n-tv.de

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