“Die Krise hat noch nicht aufgehört“

  20 April 2016    Gelesen: 971
“Die Krise hat noch nicht aufgehört“
Es ist wieder so weit: Griechenland und die Gläubiger verhandeln um die Freigabe von Milliardenkrediten – und die im Gegenzug geforderten Reformen. Um die Krise zu beenden, sei ein neuer Ansatz nötig, sagt Ökonom Alexander Kritikos vom DIW im Gespräch mit n-tv.de.
n-tv.de Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt: "Ich bin ganz sicher, dass wir dieses Jahr nicht wieder mit einer Griechenland-Krise konfrontiert werden". Hat er damit Recht?

Alexander Kritikos: Die griechische Wirtschaft befindet sich seit sieben Jahren im Krisenmodus. Die Krise hat noch gar nicht aufgehört. Wenn Schäuble allerdings damit meint, dass es nicht noch einmal zu Grexit-Drohungen kommt, dann mag der Finanzminister damit Recht haben. Eine "heiße" Übergangsphase in den Verhandlungen mit Griechenlands Gläubigern bis zur Freigabe der nächsten Tranche aus dem dritten Rettungspaket würde ich dennoch erwarten.

Im vergangenen Jahr ist das Bruttoinlandsprodukt Griechenlands um 0,2 Prozent geschrumpft. Im Sommer vergangenen Jahres waren die internationalen Geldgeber noch von einem Einbruch der Wirtschaftsleistung in 2015 um 2,7 Prozent ausgegangen. Heißt das, dass es aufwärts geht?

Man muss dabei berücksichtigen, dass die griechische Wirtschaft seit langer Zeit auf Talfahrt ist. Ein minimales Minus ist deshalb eine schlechte Nachricht. In Griechenland wird man sich erst über die wirtschaftliche Entwicklung freuen können, wenn es ein ordentliches Plus gibt. Außerdem ist dieses geringe Minus auch der Tatsache geschuldet, dass der Tourismus im vergangenen Jahr sehr gut gelaufen ist – als einer der ganz wenigen Bereiche. Dabei hat Griechenland davon profitiert, dass Länder wie Ägypten, die Türkei oder Tunesien von vielen Touristen gemieden worden sind. Und das kann sich wieder ändern. Abgesehen vom Tourismus und der leider viel zu kleinen Exportwirtschaft geht es der Wirtschaft noch immer sehr schlecht, nicht zuletzt auch wegen der nach wie vor bestehenden Kapitalverkehrskontrollen.

Hier könnte man einwenden: Die Wirtschaft schrumpft weniger langsam, der von außen erzwungene Rettungskurs zeigt Erfolge und war also richtig.

Ich sehe das anders. Das gegenwärtige Hilfspaket war von Beginn nicht vollständig. Man hat sich auf fiskalische Schritte konzentriert, um die Einnahmen zu erhöhen und die Ausgaben zu senken. Und dieser Fokus hat seinen Preis: Steuererhöhungen für Unternehmen haben dazu geführt, das weitere Firmen abwandern. Dagegen wurden die dringend nötigen Strukturreformen wieder nicht angegangen – sie waren in den Vereinbarungen zum dritten Hilfspaket auch nur sehr schwammig formuliert. Ohne diese Strukturreformen wird es kein kräftiges Wachstum in Griechenland geben.

Das ist ja Aufgabe der griechischen Regierung, Strukturreformen durchzusetzen.

In der Tat. Sie ist dafür verantwortlich. Dennoch wird es in absehbarer Zeit ohne Hilfe von außen nicht dazu kommen, dass diese Reformen vollzogen werden.

Woran liegt das? Auch in Deutschland finden zwar keine Strukturreformen statt. Doch ist in Griechenland der Leidensdruck nicht ungleich höher?

Die griechische Regierung ist dazu nicht in der Lage. Es fehlt in Griechenland an der Expertise, alleine Strukturreformen strategisch sinnvoll auszugestalten und umzusetzen. Zudem gibt es starke Interessen, die vorhandenen Strukturen so zu belassen wie sie sind. Das sind beispielsweise Unternehmer, die in geschlossenen Märkten tätig sind. Bürokraten wollen weiterhin "Seitenzahlungen" von Unternehmern erhalten– gerade die bestehende Überregulierung erleichtert das. Hinzu kommt, dass die Flüchtlingskrise das Land stark fordert. Deshalb hätte im dritten Hilfspaket vereinbart werden müssen, dass zunächst Strukturreformen innerhalb des ersten halben Jahres umgesetzt werden – und danach Fiskalreformen folgen.

Im Zuge des dritten Hilfspakets wurde vereinbart, dass Griechenland langfristig das vereinbarte Ziel eines Primärüberschusses - der Schuldendienst ist herausgerechnet - von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften kann. Halten Sie das für eine realistische Zahl?

Unabhängig von der Höhe des verlangten Primärüberschusses: Die griechische Staatsschuld ist mit rund 200 Prozent der Wirtschaftsleistung langfristig nicht tragfähig. Man wird die Fristen für die Rückzahlungen strecken und die Zinssätze weiter senken müssen - im Volumen von rund 30 Prozent der Gesamtschulden. Die Frage ist, wann und wie man dieses Thema angeht. Bis zum Jahr 2022 besteht durch die gegenwärtigen Vereinbarungen kein Handlungsbedarf aus juristischer Sicht. Aber je eher ein Signal an die Investoren ausgesendet wird, dass die griechische Staatsschuld tragfähig ist, umso besser. Allerdings muss man eben sagen, dass die Gläubiger über einen Schuldenschnitt – auch indirekter Natur – erst dann zu verhandeln bereit sein werden, wenn von griechischer Seite die so oft erwähnten Strukturreformen angegangen werden. Ich denke, die Reihenfolge spielt eine zentrale Rolle.

Sie haben die Flüchtlingskrise angesprochen. Ist die Last, die Griechenland trägt, nicht ein Grund, Griechenland entgegenzukommen?

Die Europäische Union muss Griechenland hier im Rahmen des bestehenden Systems helfen, die Regierung finanziell und organisatorisch unterstützen. Aber man sollte Flüchtlingskrise und Hilfspaket tunlichst auseinanderhalten.

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