Tschernobyl: Darum strahlt die Atomruine noch sehr, sehr lange

  24 April 2016    Gelesen: 1290
Tschernobyl: Darum strahlt die Atomruine noch sehr, sehr lange
Der Super-GAU in Tschernobyl wird die Menschheit noch Jahrhunderte beschäftigen. Denn in der Atomruine lagert ein düsteres Erbe.
An den Problemen in Tschernobyl hat sich in den 30 Jahren nach dem Super-GAU nur wenig verändert. Sie heißen weiterhin Cäsium, Strontium, Uran und Plutonium. Das Nuklid Cäsium-137 hatte es nach der Explosion des Blocks 4 sogar bis nach Bayern und Baden-Württemberg geschafft, wo es bis heute nachweisbar ist. Cäsium ist vergleichsweise leicht und konnte sich so über die Luft großräumig verteilen.

Schwerer flüchtige Elemente wie Uran, Strontium oder Plutonium hätten sich nicht so weit verbreitet, sagt Andreas Artmann von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). "Das Hauptproblem bis heute ist das Cäsium." Artmann hat den Unglücksmeiler schon mehrfach besucht und kennt die Situation vor Ort genau. "Die Strahlung um das AKW herum und in der 30-Kilometer-Sperrzone ist ganz unterschiedlich."
Cäsium hat eine Halbwertzeit von 30 Jahren. Dies bedeutet, dass sich die Menge strahlender Nuklide seit dem 26. April 1986, dem Tag des Unglücks, etwa halbiert hat. Unter Strahlenschützern gilt eine Faustregel, wie Artmann erklärt: "Nach zehn Halbwertzeiten ist ein Nuklid nicht mehr da. Jetzt ist erst eine vorbei."

Nach der Katastrophe an Block 4 hatten die sowjetischen Behörden eine Sperrzone mit einem Radius von 30 Kilometern rund um das Kraftwerksgelände errichtet. Grundlage dafür war vor allem die Belastung durch Cäsium-137.

Fast 400.000 Menschen mussten ihr Zuhause verlassen. Die Zone gilt bis heute. Und es könnte noch zwei, drei Jahrhunderte dauern, bis eine Rückkehr in die Region wirklich frei von Strahlungsrisiken ist.

Das größte Problem in Tschernobyl selbst ist die marode Hülle aus Beton und Blech, die nach dem Super-GAU noch 1986 eilig hochgezogen wurde. Aus dem Provisorium entweicht nach wie vor Cäsium-137 - als Aerosol über die Luft. Zudem droht das Blechdach einzustürzen.

Im Innern des Gebäudes lagern noch rund 200 Tonnen Uran. Beim Unglück war es zu einer Kernschmelze gekommen. Der flüssige, lavaartige Kernbrennstoff war in die unteren Stockwerke gelaufen und hat sich dort teils mit Beton verbunden. Bei der Explosion des Meilers war sogar Uran auf den Dächern der benachbarten Gebäude gelandet, das die Arbeiter wieder in das zerstörte Gebäude zurückwerfen mussten.

Neue Hülle für zwei Milliarden Euro

Man könne das Reaktorgebäude sogar betreten, berichtet GRS-Experte Andreas Artmann. Es gebe Bereiche mit vergleichsweise geringer Strahlung. "Überall, wo sich der lavaartige Brennstoff befindet, ist die Strahlung aber sehr hoch." Und das wird sie auch bleiben, denn die Halbwertzeiten sind sehr lang: bei Plutonium einige Tausend Jahre, bei Uran bis zu einigen Milliarden Jahren.

Die neue, riesig große Schutzhülle aus 25.000 Tonnen Stahl soll im Jahr 2017 über das Reaktorgebäude geschoben werden. Das sogenannte New Safe Confinement (NSC) ist etwa 260 Meter breit, rund 165 m lang und circa 110 Meter hoch. Montiert wird der Sarkophag ein ganzes Stück neben dem Unglücksmeiler, damit die Arbeiter keiner erhöhten Strahlung ausgesetzt sind.

Die Stahlhülle ist für 100 Jahre konzipiert. In ihrem Innern sollen Kräne angebracht werden ähnlich wie an der Decke großer Industriehallen. Wenn die Hülle über Block 4 steht und abgedichtet ist, könnten dann zuerst der marode Betonsarkophag und später der ganze Meiler zurückgebaut werden. Die Technologien zum Bergen von tonnenweise strahlendem Uran müssen freilich noch entwickelt werden.

Der Preis, den die Weltgemeinschaft für Tschernobyl zahlen muss, ist in jedem Fall hoch. Der Stahldeckel wird etwa 2,1 Milliarden Euro kosten, dreimal mehr als ursprünglich geplant . Maßgeblich finanziert wird das Projekt von den G7-Staaten und Russland. Noch aber gibt es eine Finanzierungslücke. Die Geldgeber wollten sich noch im April zu den nächsten Beratungen treffen.

Den höchsten Preis aber haben all jene Menschen bezahlt, die verstrahlt wurden. Die damalige Sowjetunion setzte Hundertausende sogenannte Liquidatoren in und um Tschernobyl ein, die extrem hohen Strahlendosen ausgesetzt waren.

Die Organisation Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) schätzt, dass bis zu 125.000 Aufräumarbeiter an den Folgen der Atomkatastrophe gestorben sind. Die Haupttodesursachen seien Hirn- und Herzinfarkte gewesen. Etwa acht Millionen Ukrainer, Weißrussen und Russen wurden laut IPPNW großen Mengen radioaktiven Niederschlags ausgesetzt, vor allem Cäsium. In der Folge seien Schilddrüsenkrebsfälle massiv angestiegen, hinzu kämen erhöhte Raten von Leukämie sowie Brust-, Haut- und Darmkrebs.

Für eingefleischte Atomkraftgegner sind Tschernobyl und Fukushima schlagende Beweise dafür, dass die Risiken der Kernenergie letztlich nicht beherrschbar sind. Sie fordern schon lange einen Ausstieg aus der Atomkraft. Doch selbst AKW-Befürworter müssten angesichts der großen ungelösten Probleme in den Atomruinen von Tschernobyl und Fukushima ins Grübeln kommen.




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