So wird das nichts mit der Integration

  12 Oktober 2015    Gelesen: 696
So wird das nichts mit der Integration
Bei der gewaltigen Aufgabe der Integration von Flüchtlingen haben die Schulen eine Schlüsselrolle. Doch ausgerechnet hier versagt der Staat. Die Kultusminister verspielen eine historische Chance.
Sie hat den Spitznamen Landschildkröte, weil sie so lahm ist. Christian Wulff wollte sie mal abschaffen, weil sie die Rechtschreibreform verbrochen hat. Die meisten Bürger kennen sie nicht einmal, die "Ständige Konferenz der Kultusminister", kurz: KMK. Hinter diesem Kürzel verstecken sich die Schulminister der Republik. Die KMK hat schon viel verhauen, was mit Lernen und Schule zu tun hat. Aber diesmal treibt sie es zu weit. Die Kultusminister fahren gerade einen wichtigen Teil, vielleicht den wichtigsten der Asylpolitik gegen die Wand: den Schulbesuch und das Sprachenlernen von Zehntausenden Flüchtlingskindern.

Wer sich eine der Flüchtlingsklassen anschaut, die seit fast zwei Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen, der kann kleine Wunder erleben. Für Nadeem aus Gaza und Nour aus Damaskus, für Lorenco aus dem Kosovo und Rezaan aus Bangladesh werden eigene kleine Lerngruppen eingerichtet. Mütter und Väter stellen sich in ihrer Freizeit als Lesepaten zur Verfügung. Sobald einer der jungen Zuwanderer genug Deutsch kann, um mitzuschwimmen bei deutschen Mitschülern, darf er wechseln.

Wann, bitte, hat es das an deutschen Schulen gegeben, die zwischen ihren Schularten immer scharfe Grenzen zogen und ohne Zertifikat niemand irgendwohin wechseln ließen? Also kann Mustafa, der mit seinen Eltern aus Al Hasaka geflohen ist, zurecht von seinem Berufsziel träumen: "Professor in Technik, das wäre cool."

Die Institution Schule hat eine heilsame Lektion gelernt. Sie ist nicht mehr so exklusiv, wie sie mal war, sondern sie integriert. Kurz gesagt wird der Palästinenserjunge aus Jarmuk, dem Flüchtlingslager in Damaskus, in der Schule heute mit offenen Armen empfangen - während man seinen Bruder, der in Neukölln oder Hamburg-Wilhelmsburg geboren wurde, 20 Jahre lang von Gymnasium und Aufstieg ferngehalten hat. Mit viel Engagement und Professionalität haben Schulleiter, Lehrer, Erzieher und Eltern diese Verbesserung geschafft. Und mit Improvisation.

Improvisation reicht nicht mehr

Aber die glückliche Phase, von der wir sprechen, endete mit den Sommerferien. All die Tausenden Willkommensklassen, die zum neuen Schuljahr eingerichtet wurden, sie reichen einfach nicht, um die neue, die größere Flüchtlingswelle aufzunehmen, die nun bald in den Schulen ankommen wird. Mit Improvisation ist das nicht mehr zu schaffen, jetzt braucht es wieder deutsche Tugenden wie Organisation und Perfektion.

Dafür ist die Kultusministerkonferenz zuständig. Eigentlich. Aber die Schulminister haben sich gerade zum ersten Mal mit der Flüchtlingskrise befasst. In ihren Ländern haben sie sich engagiert, aber ausgerechnet bei ihrem großen Treffen in Berlin machten sie Dienst nach Vorschrift. Von den Bildungsministern, die ab Mittwoch in Klausur gingen, hätte der Big Bang der Integration ausgehen müssen. Immerhin haben sie zu einer Prognose gefunden.

Die Kultusminister schätzen, dass 325.000 neue Schüler an deutsche Schulen kommen. Dafür werden 20.000 neue Lehrer gebraucht, verkündete die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Brunhild Kurth aus Sachsen. Das koste 2,3 Milliarden Euro, sagt sie. Es müssen auch Sozialarbeiter und Psychologen kommen. Denn die Kinder, die aus dem Krieg in Syrien kommen, wollen ja nicht nur Deutsch lernen. Sie haben vielleicht gesehen, wie ihr Bruder ertrunken oder ihr Onkel enthauptet wurde. Die Kultusminister hätten Berlin um Hilfe rufen müssen, damit Wolfgang Schäuble seine prall gefüllten Schatullen öffnet.

Was die Kultusminister gerade tun, ist Arbeitsverweigerung

Aber nichts da. Die Minister wollen den großen Treck, der sich im September aus Ungarn in Bewegung setzte, weiter mit Bordmitteln bewältigen. Dabei sind die Haushalte der Länder längst ausgeknautscht. Nordrhein-Westfalen etwa hat bereits über 3000 neue Lehrer eingestellt. Die vor dem IS und Victor Orbán fliehenden Kinder, sie kommen aber jetzt zusätzlich in die Schulen. Will der bitterarme Riese NRW dann etwa einen dritten Nachtragshaushalt verabschieden? So viel Geld hat Düsseldorf nicht, und erst recht nicht Bremen, Saarbrücken oder Kiel.

Wenn Journalisten wissen wollen, wie viele von den benötigten 20.000 Lehrern schon eingestellt sind, weichen die Schulminister aus. Das könne man nicht sagen. Zu kompliziert. Und wie viele werden ausgebildet? Da meldet sich der hessische Kultusminister und erzählt von einer neuen Fortbildung für Deutschlehrer, die er eingerichtet hat - mit 47 Teilnehmern.

Was die Kultusminister gerade tun, ist Arbeitsverweigerung, ein Vergehen durch Unterlassung. Sie organisieren die bitter nötige Hilfe für ihre Lehrer nicht. Sie lassen die Schule im Stich, die ab sofort Flüchtlingsklassen einrichten müssen - und zwar mehr denn je. "Ich möchte noch nicht von Notstand an den Schulen sprechen, aber es besteht dringender Handlungsbedarf", sagt der Integrationsforscher Michael Becker-Mrotzek von der Uni Köln. Er ist kein rechter Alarmist, sondern jemand, der jedem Flüchtlingskind das Recht auf Bildung ermöglichen will.

In keiner Rede über Flucht, egal ob am Stammtisch, von Professoren oder dem Bundesinnenminister, fehlt der Satz, dass Sprache und Bildung der Schlüssel zu Integration sind. Das Paradoxe ist, dass jener Ort, der für Bildung da ist, die Schule, ein Bermudadreieck der Unzuständigkeit ist.

Die Länder können ihren Schulen kaum noch helfen, der Bund darf nicht. Vor allem weil die beiden großen Brüder aus dem Süden, Bayern und Baden-Württemberg, die dringenden Finanzspritzen aus Berlin für die Schulen blockieren. Aus Prinzip. Aber es geht nicht um Prinzipien und Zuständigkeiten - es geht ums Lernen und um eine neue Generation von Zuwanderern. Wollen wir Mustafa etwa, nachdem wir ihm so große Hoffnungen gemacht haben, wieder in die Bildungsghettos von Marxloh und Wedding zurückstoßen?

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