Bloß nicht die Wahrheit sagen

  29 April 2016    Gelesen: 923
Bloß nicht die Wahrheit sagen
Der Klientelismus regiert in Griechenland – daran hat sich auch unter Alexis Tsipras nichts geändert. Er nutzt die Regierungszeit dafür, den eigenen Einfluss auszubauen.
Griechenland erscheint wieder prominent in den Medien. Jetzt aber als der – nach der Türkei – operativ wichtigste Dreh- und Angelpunkt der Flüchtlingskrise. Seine Finanz- und Gesellschaftskrise, denn um eine solche handelt es sich im Kern, findet nur noch gelegentlich Erwähnung. Die Situation ist undurchsichtig. Für den Touristen fließt das Leben der Griechen weiterhin in mediterraner Heiterkeit dahin. Die Armut und die Probleme bleiben ihm zumeist verborgen. Wie auch das Regierungshandeln.

Sicher scheint nur zu sein: Tsipras nutzt die Regierungszeit dazu, seinen Einfluss und den seiner Partei im Inneren mit den Mitteln des tradierten Klientelismus auszubauen. Die zu seiner Partei übergewechselten Pasok-Mitglieder haben ihre Netzwerke mitgebracht und in seinen Dienst gestellt. Außenpolitisch sind Tsipras und sein Mitarbeiterstab völlig unvorbereitet an die Regierung gekommen. Das erklärt die erratische, ideologiegesättigte Politik der ersten sechs Monate und seine abrupte politische Kehrtwendung im Juli 2015, nachdem er und sein damaliger Finanzminister Varoufakis das Land praktisch an die Wand gefahren hatten.

Jetzt laviert er zwischen der Erfüllung der Auflagen des dritten Memorandums und dem Versuch, einen Restbestand seiner vollmundigen Vor-Memorandums-Versprechungen einzuhalten. Das führt dazu, dass er die harte und unpopuläre Rentenreform bis zur letzten Minute aufschiebt, um den betroffenen Griechen sagen zu können, er habe nur unter Zwang gehandelt. Letztlich wird es aber zu einer Einigung kommen. Die mit dem Zögern verbundene Unsicherheit auf Seiten potenzieller Investoren hat Tsipras dabei jedoch nicht im Blick. Auf deren Vertrauen in einen vorbehaltlosen und nachhaltigen Reformkurs kommt es aber an, um das Land wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen.

Der Autor ist ein deutscher Diplomat und war von 8. September 2005 bis 2010 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Griechenland. 2015 hat er zusammen mit Ulf-Dieter Klemm das Buch Die Krise in Griechenland – Ursprünge, Verlauf, Folgen herausgegeben.

Man kann sich natürlich fragen, ob die Geldgeber wirklich weise handeln, wenn sie auf die Rentenreform beharren. Sie mag aus finanzpolitischer Logik ja richtig sein, doch würde sie wieder die Schwachen der Gesellschaft treffen. Die Akzeptanz für Reformschritte wäre in der breiten Bevölkerung weit höher, wenn die Gläubiger die Regierung mit genau derselben oder noch größerer Härte dazu drängen würden, endlich die ausstehenden Steuern effektiv einzutreiben. Bisher haben es griechische Regierungen aber vorgezogen, den leichteren Weg der Renten- und Gehaltskürzungen einzuschlagen, als mit harten Steuermaßnahmen ihre Klientel zu verärgern.

Es ist bedrückend, dass griechische Politiker auch heute noch die Partikularinteressen ihrer Klientel mehr im Blick haben als das Allgemeinwohl. Meine fast uneingeschränkte Hochachtung hat dagegen die griechische Bevölkerung. Natürlich, auch sie ist Teil des Geflechts von Klientelismus und Korruption, wenige nur, weil sie es so toll finden, die meisten, weil sie keine Alternative sehen und sich ihre Eltern und Großeltern schon in diesem Umfeld bewegt und mit ihm zu leben gelernt haben. Aber es sind fleißige und vielfach gut ausgebildete Menschen. Sie haben in den letzten sechs Jahren eine enorme Leidensfähigkeit bewiesen, ohne die Früchte ihrer Opfer auch nur in greifbarer Nähe zu sehen, während ein Teil der Gesellschaft weiter "droben im Lichte wandelt". Ich kann ihnen auch nicht wirklich zum Vorwurf machen, dass sie auf populistische Versprechungen und eine verdrehte Sicht der Welt, in der alle außer Griechenland an der gegenwärtigen Krise die Schuld tragen, hereinfallen. Denn die aktuelle Regierung folgt, wie andere vor ihr, dem Prinzip des früheren Premierministers Andreas Papandreou, dem Volk auf keinen Fall die Wahrheit zu sagen.

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