Renault hatte lange ein Problem: kaum wahrnehmbare Langweilerautos. Firmenchef Luca de Meo hat das Ruder inzwischen herumgerissen, die Marke findet nun mit ikonischen Retro-Modellen wie R4 und R5 Gehör. Und wie steht es um andere Baureihen? Liebe immerhin auf den zweiten Blick. Wie beispielsweise beim familientauglichen Scenic mit elektrischem Antrieb. Du erwartest ein biederes Großraum-Tool und dann steht da dieses kompakte SUV in trendiger Lackierung "Dolomit-Grau satiniert". Und auch wenn der Trend nicht überall gut ankommt, hier wirkt der Kontrast ganz fesch: Kommt ein braves Familienauto mit einem Mattlack um die Ecke, wirkt das sportiv und nicht zu dick aufgetragen wie beim Supersportler.
Generell, muss man aber sagen, ist der Scenic cooler als erwartet und gar nicht so blass von seiner Erscheinung. Mit expressiver Front und technoid wirkenden LED-Scheinwerfern nämlich, schneidigen Rückleuchten sowie Sicken, die eine gewisse Muskulosität erzeugen.
Und innen? Dank sogenannter Esprit-Alpine-Line fällt das Interieur betont adrett aus. Markante blaue Akzente geben der Architektur Pep. Die belederte Armaturentafel mit doppelter Ziernaht (in Blau) bringt einen Zacken Noblesse in das Scenic-Innere und eine filigrane LED-Leiste als Ambientelicht komplettiert das Feature-Arsenal für die Sinne.
An Infotainment mangelt es hier nicht
Darüber hinaus denkt Renault an die heutigen Infotainment-Ansprüche und versorgt den Fahrgastraum mit hinreichenden Mengen an Display. Zum Einsatz kommt der markentypisch (in Form eines großen, liegenden L) gezeichnete Touchscreen. Der hält allerhand Menüpunkte bereit sowie unzählige Apps. Die Betriebssystembasis lautet auf Google - inklusive Navi -, und die haben schließlich Erfahrung in Human-Machine-Interface. Daher kommt man intuitiv durch, ohne allzu lange herumprobieren zu müssen. Schön gelöst ist bei Renault: Der Shortcut für das Abschalten von unnötigen Piep- und Vibrationsassistenten versteckt sich in Form einer Taste links vom Lenkrad - keine unwichtige Sache.
Wer die Renault-Website besucht und sich nach dem Scenic erkundigt, erfährt nicht nur, dass dieser bis zu 90 Prozent wiederverwertbar sei, sondern auch, dass er nur so vor Leistung strotze. Und 625 Kilometer Reichweite soll er auch haben dank 87 kWh gebunkerter Energie. Dieses Versprechen wird zumindest bei kühlen Temperaturen nicht ganz gehalten - aber knapp unter 500 Kilometer sind dann immer noch drin bei moderater Fahrweise. Das mit der Leistung darf aber getrost ins Reich der Marketingträumereien verortet werden.
Maue Ladeperformance
Ein Blick zum Beispiel auf die Ladeperformance stimmt eher traurig. Vor allem eine kühle Batterie ist eher unwillig im Stromaufnehmen. Wenn man 80 Kilometer Reichweite binnen 10 Minuten nachfassen kann, ist das schon ordentlich. Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass reisende Familien entspannt sein können dank nicht zu lange andauernder Ladestopps. Denn gibt man die Ladesäule frühzeitig (am besten etwa 40 Minuten vor Erreichen selbiger) ins Navi ein, wird der Akku schon mal konditioniert.
Zum Zeitpunkt der Heizphase sollte allerdings noch genug Energie vorgehalten sein, sonst erfolgt keine Temperaturanpassung. Will heißen, die Batterie nicht erst auf zehn Prozent herunterfahren und dann mit dem Konditionieren beginnen - daraus wird dann qua Energiemangels nichts. Zugegeben, hier ist ein bisschen Erfahrung erforderlich, aber nach einer gewissen Zeit hat man den Dreh heraus. Wünschenswert wäre eine manuell aktivierbare Akkuheizung. Große Sprünge sind ohnehin nicht drin, selbst das Werk nennt für das Ladefenster von 15 bis 80 Prozent eher lange 37 Minuten bei maximal 150 kW Ladepower.
Und das Fahren? Gelingt recht souverän dank 218 PS und 300 Newtonmetern Drehmoment - Superlative sind das aber auch nicht. Dennoch hat das Elektroaggregat leichtes Spiel mit dem 4,47 Meter langen 1,9-Tonner, schiebt ihn binnen 7,9 Sekunden auf 100 km/h, macht allerdings bei 170 Sachen Schluss mit dem Vortrieb.
Und in puncto Fahrwerk stehen die Zeichen selbst bei der Alpine-Esprit-Variante eher auf Komfort. Wirkungsvolle Dämpfer kaschieren schlechte Straßen ganz gut. Und eine leichtgängige Servolenkung erleichtert das Rangieren, was auch eine Art von Komfort darstellt. Dafür könnte der Kranz ein Quäntchen mehr Rückmeldung geben.
Assistenten gibt es in Hülle und Fülle
Wer sich im Konfigurator durch die (überschaubare) Liste für Sonderausstattungen arbeitet, findet noch die eine oder andere spannende Tech-Option. Ob man jetzt alle Zutaten des 2600 Euro teuren "Augmented-Vision"-Pakets braucht, sei dahingestellt. Eine Displayausgabe als Innenspiegel irritiert nachts beispielsweise mehr, als dass sie Vorteile bringen würde. Dafür vermag der Querverkehrwarner durchaus, schwere Unfälle zu vermeiden. Nämlich beim rückwärtigen Heraustasten aus unübersichtlichen Lücken. So ärgerlich das auch ist, wenn solche Systeme mal eine ruckhafte Fehlbremsung hinlegen.
Außerdem ist hier auch noch ein aktiver Tempomat enthalten - dieser erleichtert das Fahren auf der Langstrecke, weil man Dinge wie das Beschleunigen oder Bremsen der Maschine überlassen kann. Ein Muss ist übrigens das Panoramadach mit der Funktion, elektrochromatisch verdunkeln zu können.
Nicht zuletzt geht der elektrische Scenic als praktisch durch. Im per se tiefen Fach (Mittelkonsole mit cleveren Trennelementen nebst Cupholder) kann sich bloß manchmal zu viel Müll sammeln, wenn man wieder zu faul war, um die auf der Reise anfallenden Hinterlassenschaften zu entsorgen.
Wie wäre es mit Baumarkt statt Urlaub? Würde mit dem Heckabteil jedenfalls funktionieren, wenngleich nicht so richtig gut. Knapp 1700 Liter beträgt das Gepäckäquivalent nach Umlegen der Rücksitzlehnen. Das passt. Im Verhältnis etwas üppiger fällt der Wert bei aufgestellter Lehne aus. Dann sind es 545 Liter Volumen, mithin genug Raum für üppiges Proviant, das eingeplant werden will, wenn vier Personen urlauben. Und im Falle normalen Größenwachstums bekommt man Beine und Kopf großzügig sortiert.
Preislich enteilt der Stromer seinem Hybrid-Pendant Symbioz übrigens, aber so einfach ist die Sache hier nicht. Dass der 143 PS starke Verbrenner schon ab 35.450 Euro zu haben ist, hat auch etwas mit seiner Motorleistung zu tun. So gesehen sind die 48.900 Euro (für 218 statt 143 PS) erklärbar, wenngleich das auch ein ganz schöner Happen ist. Ob sich der Mehrpreis zum Verbrenner durch niedrigere Betriebskosten amortisiert, sei dahingestellt. Der ungleich noblere Esprit Alpine kostet sogar 50.700 Euro. Eine Stange Geld - nicht nur für Familien.
Fazit: Renault hat nicht nur ikonische Kleinwagen, sondern auch ansehnliche Familienkutschen im Angebot. Und zwar solche mit rein elektrischem Antrieb, falls das denn gewünscht sein sollte. Stylisches Design, fetzige Lackierungen plus adretter Innenraum machen den Scenic E-Tech cooler, als sich der eine oder andere potenzielle Kunde vielleicht vorstellt. Das ist aber auch das Mindeste, was man für diesen Preis erwarten darf.
Quelle: ntv.de
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