“Tatort“-Faktencheck: Kriegsverbrecher mitten in Deutschland - gibts das?

  02 Mai 2016    Gelesen: 2639
“Tatort“-Faktencheck: Kriegsverbrecher mitten in Deutschland - gibts das?
Kongolesische Kriegsverbrecher, die in Deutschland unerkannt als Flüchtlinge leben: Wie glaubwürdig war der Kölner "Tatort"? Der Faktencheck.
Der "Tatort" "Narben" braucht fast eine Stunde, bis das tatsächliche Thema offenbar wird: Eine junge Kongolesin, die von einer Feuertreppe aus zu Tode stürzte, war auf der Flucht vor einem kongolesischen Notarzt. Und der war in der früheren Heimat Befehlshaber ihrer Peiniger im ostkongolesischen Bürgerkrieg.

Es ist der Arzt, der gleich zu Anfang ermordet wird - und an eine Bekanntschaft der beiden Toten denken die Kommissare erst einmal gar nicht. Eifersucht, brutale Polizisten - alles erscheint Freddy Schenk und Max Ballauf wahrscheinlicher.
Kein Wunder: Die Grausamkeiten, die sich im Osten der Demokratischen Republik Kongo seit Jahren ereignen, sind in Deutschland weniger bekannt. Es ist darum schon ein Verdienst der ARD, dass sie in ihrem Sonntagskrimi das sträflich vernachlässigte Thema auf die große Bühne bringt. Aber: Stimmen auch die Fakten zum Krieg im Ostkongo?

Ist die Lage im Kongo so schlimm?

Ballaufs und Schenks fleißiger Assistent, Tobias, referiert korrekt, was sich im Osten des Kongo mindestens seit Mitte der Neunzigerjahre abspielt: Dutzende Milizengruppen ("mehr als 50" sind es im "Tatort") marodieren seit mehr als zwei Jahrzehnten in der unwegsamen Grenzregion zwischen dem Kongo und den Nachbarländern Uganda, Ruanda und Burundi.

Die Menschen in den kongolesischen Provinzen Nord- und Südkivu haben mit die schlimmsten Massenmorde, Vertreibungen und Vergewaltigungen des Kontinents erlitten. Weil eine kongolesische Staatsmacht zwischen den Vulkanketten der östlichen Urwälder praktisch nicht existiert, herrscht meist Rechtlosigkeit.

Die Opferzahl der andauernden Rebellenkriege soll bei weit über fünf Millionen liegen. 2,6 Millionen Menschen sind wegen der Kämpfe heimatlos geworden, für Frauen und Kinder ist das Leid am größten. Gruppenvergewaltigungen, die Ermordung von Kleinstkindern - auch hier übertreibt der "Tatort" nicht.

Die Lage verschlimmert sich noch, weil Ruanda zumindest in der Vergangenheit Rebellengruppen in den Wäldern unterstützte. Auch ruandische Milizionäre morden im Ostkongo, die Grenzen auf der Landkarte sind nicht viel wert. Wertvolle Bodenschätze gelangen über Uganda und Ruanda aus dem Land, Kämpfer und Waffen kommen im Gegenzug herein. Ein politischer Schlenker, den sich die "Tatort"-Schreiber sparen.

Wichtigster Treibstoff des scheinbar ewigen Krieges sind, da liegt der "Tatort" wieder richtig, die Erze unter der roten Erde. Coltan und Gold werden für jedes Handy und jeden Laptop weltweit gebraucht, und in Kivu liegen bedeutende Lagerstätten. Weil keine staatliche Kontrolle existiert, sind Abbau und Transport oft nur durch den bezahlten Schutz irgendeiner Mörderbande möglich.

Nimmt Deutschland überhaupt Flüchtlinge aus der Demokratischen Republik Kongo auf?

Ja, aber nur wenige. Ausgerechnet 2011, als laut "Tatort"-Drehbuch die mutmaßlichen Kriegsverbrecher Patrick und Théo nach Deutschland kamen, gab es in Wahrheit keine einzige Anerkennung eines kongolesischen Flüchtlings. 26 Anträge auf Asyl wurden beim Bundesamt für Migration gestellt, nur in zwei Fällen erging ein Abschiebeverbot.

Im Jahr zuvor und im Jahr danach waren die Antragszahlen höher. 2010 wurden als Flüchtlinge aber nur 13 Kongolesen anerkannt, 2012 waren es nur zwei. Dass sich Mordopfer und Kriegsverbrecher Wangila und seine beiden Opfer aus dem Ostkongo zufällig in Köln begegnen, wäre also denkbar, aber sehr unwahrscheinlich.

Kriegsverbrecher aus dem Kongo in Deutschland - gibts das?

Der "Tatort" weist Parallelen zu einem spektakulären deutschen Fall auf, der im vergangenen Jahr zu Ende ging. Zwei Ruander, Igance Murwanashyaka und Straton Musoni, wurden der Kriegsverbrechen im Ostkongo beschuldigt und standen in Stuttgart vor Gericht.

Als Präsident und Vize hatten sie in Nordkivu, der Region, um die es auch im "Tatort" geht, ihre eigene Miliz: die "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas", kurz FDLR. Deren Angehörige sollen in den Jahren 2008 und 2009 Hunderte massakriert haben. Die Opfer wurden mit Macheten zerhackt, Schwangeren wurde der Bauch aufgeschlitzt.
Statt der geforderten lebenslänglichen Haft bekam Murwanashyaka wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung und wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen 13 Jahre Gefängnis. Sein damaliger Vize Musoni erhielt wegen einfacher Rädelsführerschaft acht Jahre Haft. Zuvor lebten die beiden jahrelang unbehelligt von den Justizbehörden in Deutschland. Seit 2002 macht das deutsche Völkerstrafrecht Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich - auch bei Taten in Zentralafrika.

Die beiden Ruander, die ihre Miliz per Telefon von Deutschland aus gesteuert haben, wurden allerdings nur mit Mühe und unter fragwürdigen Bedingungen verurteilt. Immerhin: Gegen den Kriegstreiber aus dem "Tatort", Théo Wangila, wäre eine Anklage auch in Deutschland möglich.

Quelle : Spiegel.de

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