Bereits vor 11,1 Milliarden Jahren gab es im damals noch jungen Kosmos eine unerwartet weit entwickelte Galaxie. Das zeigen Beobachtungen eines japanischen Forschungsteams mit dem Weltraumteleskop James Webb und der radioastronomischen Antennenanlage ALMA in Chile.
Wie die Wissenschaftler im Fachblatt "Nature" berichten, handelt es sich bei der von ihnen entdeckten Galaxie J0107a um eine "Balkenspirale", also eine Spiralgalaxie ähnlich unserer Milchstraße mit einer balkenförmigen Struktur im Zentrum. Solche Galaxien benötigen nach bisherigen Annahmen jedoch viele Milliarden Jahre für ihre Entwicklung - 2,6 Milliarden Jahre nach dem Urknall sollte es eigentlich noch keine Balkenspiralen gegeben haben, so die Annahme der Forscher.
Zwar sind die ersten Galaxien bereits wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden. Doch diese waren zunächst strukturlose Ansammlungen von Sternen, die ihre Form zudem durch ständige Zusammenstöße und Verschmelzungen immer wieder veränderten. Erst nach einigen Milliarden Jahren, so die bisherige Theorie, konnten sich scheibenförmige Galaxien mit Spiralarmen bilden. Durch langsame Veränderungen in den Umlaufbahnen der Sterne bildeten sich dann in einigen dieser Spiralgalaxien in der Mitte die auffälligen balkenartigen Strukturen heraus.
Blick in die Vergangenheit des Alls
Zum Glück bietet die Natur den Astronomen die Möglichkeit, einen Blick in die Vergangenheit des Universums zu werfen. Denn die Beobachtung weit entfernter Galaxien ist auch ein Blick zurück in die Anfangszeit des Kosmos: Wenn das Licht einer Galaxie zehn Milliarden Jahre bis zur Erde benötigt, dann sehen Astronomen diese Galaxie mit ihren Teleskopen so, wie sie vor zehn Milliarden Jahren ausgesehen hat. Mit neuen Instrumenten wie dem Webb-Teleskop können die Himmelsforscher deshalb immer tiefer in die kosmische Geschichte vordringen.
Und solche Beobachtungen erschütterten bereits im vergangenen Jahr das bisherige Bild der Galaxienentwicklung, als Astronomen mit dem Webb-Teleskop drei Milliarden Jahre nach dem Urknall zahlreiche Spiralgalaxien aufspürten - viel mehr, als sie aufgrund der Theorie erwartet hatten. Die Entdeckung einer Balkenspirale 2,6 Milliarden Jahre nach dem Urknall durch Shuo Huang von der Nagoya Universität und seinen Kollegen verschärfen den Konflikt zwischen Theorie und Beobachtungen jetzt noch einmal ganz erheblich.
In einem begleitenden Kommentar in "Nature" deutet die Astrophysikerin Deanne Fisher von der Swinburne University in Australien einen möglichen Grund für das Problem an: "Die Theorien, die galaktische Balken beschreiben, basieren auf Beobachtungen von Galaxien in unserer näheren Umgebung." Denn vor der Inbetriebnahme von ALMA und dem Webb-Teleskop war es gar nicht möglich, solche Strukturen in großen Entfernungen zu untersuchen. Und die Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft enthalten weniger Gas, sind weniger turbulent und rotieren sehr viel schneller als die Galaxien im jungen Kosmos, so die Forscherin weiter.
Erhebliche Unterschiede zu heutigen Galaxien
Tatsächlich sieht J0107a zwar den heutigen Balkenspiralen erstaunlich ähnlich, doch die Messungen von Huang und seinen Kollegen zeigen auch erhebliche Unterschiede. Die Galaxie enthält etwa zehnmal so viel Masse wie unsere Milchstraße, und in ihrem Zentrum entstehen 300 Mal mehr neue Sterne. Diese immense Produktion neuer Sterne wird durch Gas angetrieben, das mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometern pro Sekunde von außen in das Zentrum der Galaxie hineinströmt.
"Unsere Beobachtungen zeigen, dass ein klassischer Balken in frühen gasreichen Scheiben entstehen kann", so fassen Huang und seine Kollegen ihre Studie zusammen. Das zeige die Notwendigkeit, die Modelle zur Bildung von Balken zu verbessern. Und natürlich sind weitere Beobachtungen nötig. Denn bislang ist J0107a die einzige bekannte Balkenspirale im jungen Kosmos. "Es ist also unmöglich zu sagen, wie häufig solche Galaxien damals waren", betont Fisher in ihrem Kommentar. Bislang ist damit unklar, ob J0107a typisch für die damalige Epoche oder nur eine seltene Ausnahmeerscheinung ist.
Quelle: ntv.de, kst/dpa
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