Den "Nachtwölfen", wie die russischen Motoristen sich nennen, dürfte es egal sein. Ihr Chef ist ohnehin nicht dabei: Alexander Saldostanow, ein Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, steht auf der Sanktionsliste der EU, weil seine "Nachtwölfe" die Separatisten in der Ukraine unterstützt hatten. Er ist eine schillernde Figur: In den achtziger Jahren hatte Saldostanow in Berlin gelebt, später in Moskau den ursprünglich antisowjetischen Rockerclub gegründet. Mittlerweile lobt er Stalin und hat den Ruf, ein harter Nationalist zu sein.
Berlin ist Ziel und Höhepunkt einer Tour durch Europa, mit der die "Nachtwölfe" an den Sieg der Roten Armee über Hitlerdeutschland erinnern wollen. Mit großem Erfolg: Ein paar der Anwesenden sind überzeugt, dass nicht die Gedenkzeremonie der russischen Botschaft, sondern das Auftauchen der Rocker im Zentrum der Veranstaltung am Ehrenmal steht.
In Russland ist der "Tag des Sieges" der wichtigste nationale Feiertag. In Moskau findet eine große Militärparade mit Panzern und Raketen statt, im Gorki-Park picknicken die Familien, das ganze Land erinnert sich an seine Vorfahren, die im Kampf gegen Nazi-Deutschland gefallen sind.
Ähnlich ist die Atmosphäre am Ehrenmal im Tiergarten: eine Mischung aus Parade und Familienfeier. Kinder klettern über die Kanonen, die vor dem acht Meter hohen Rotarmisten aus Bronze stehen, ältere Veteranen mit Orden am Jackett sitzen im Schatten, eine Frau spielt russische Volkslieder auf einem Akkordeon. Einige Deutsche sind gekommen, aber die meisten hier unterhalten sich auf Russisch.
Blondinen in sowjetischen Uniformen
Bunter könnte die Gesellschaft kaum sein. Zwei Blondinen in Weltkriegsuniformen sind auf Stöckelschuhen gekommen, leger gekleidete Putin-Fans mit einem Bild des Präsidenten auf dem T-Shirt, Damen im Kostüm, Herren im Anzug, die Bilder von gefallenen Vorfahren dabei haben, orthodoxe Geistliche und Vertreter des deutsch-russischen Forums. Man sieht russische Fahnen, sowjetische Fahnen, "Neurussland"-Fahnen der russischen Aufständischen aus der Ostukraine, eine Fahne der ukrainischen Stadt Odessa und orange-schwarze Sankt-Georgs-Bänder an fast jedem Revers. Auf dem Bürgersteig hält ein Mann eine ukrainische Flagge hoch.
Die vielen Kränze vor dem Ehrenmal kommen unter anderem von der Linkspartei und der Bundesregierung, von der ukrainischen und der weißrussischen Botschaft. Jemand mit Sinn für Symbolik hat die Kränze der verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan und Armenien nebeneinander gestellt.
Als die russischen Soldaten mit ihren Fahnen abgezogen sind, schiebt ein junger Mann eine ältere Dame im Rollstuhl an dem Mann mit der ukrainischen Fahne vorbei. "Faschist!", ruft er ihm auf Russisch zu. Der Mann mit der Fahne ist Berliner, er sagt, er wolle niemanden provozieren, sondern lediglich an die ukrainischen Soldaten erinnern, die ihr Leben bei der Befreiung Berlins verloren haben. Normalerweise sei am 9. Mai nur von russischen Soldaten die Rede, "dit jeht mir `n kleenet bisschen gegen den Strich", sagt er einer ukrainischen Journalistin.
Mehr "Russlanddeutsche Wölfe" als "Nachtwölfe"
Dann kommen die "Nachtwölfe". Sie parken ihre Motorräder am Straßenrand, vertreten sich die Beine und ziehen zum Ehrenmal, wo sie niederknien, ein paar Mal "Hurra" rufen und sich fotografieren lassen. Fast alle Motorräder haben deutsche Nummernschilder, ein paar slowakische sind dabei, auch tschechische, bosnische, weißrussische, ein polnisches und ein ukrainisches. Ein Biker entpuppt sich als Deutsch-Russe aus Münster. Nur sechs Teilnehmer der Tour seien aus Moskau gekommen, erklärt er – und die hätten nach Bratislava fliegen müssen, weil Polen die Gruppe nicht habe durchreisen lassen. In der slowakischen Hauptstadt hätten sie Motorräder gemietet und seien über Tschechien und Österreich nach Berlin gefahren. Der Münsteraner ist seit Wien dabei.
Durch Berlin fahren allerdings nicht sechs, sondern mehr als einhundert Biker – darunter, den Fahnen nach zu urteilen, Slowaken und Kasachen, aber vor allem eben Deutsch-Russen. Eine Frau trägt den Schriftzug "Russian Motoclub Germany" auf ihrer Lederjacke, mehrere Männer geben sich über T-Shirts oder Kutten als "Russlanddeutsche Wölfe" zu erkennen.
Das Ehrenmal, das kurz nach Kriegsende im britischen Teil Berlins, also im Westteil der Stadt, errichtet wurde, ist für die "Nachtwölfe" die zweite Station in der deutschen Hauptstadt. Angefangen hatte ihr Tag im Treptower Park mit einer Kranzniederlegung am dortigen Ehrenmal, weiter geht es an einem dritten Ehrenmal im Bezirk Pankow. Auch dort muss noch "Hurra" gerufen, müssen Fotos gemacht werden.
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