Gabriel will sich mit TTIP nun doch nicht beeilen

  29 Mai 2016    Gelesen: 385
Gabriel will sich mit TTIP nun doch nicht beeilen
Wirtschaftsminister Gabriel geht bei den TTIP-Verhandlungen überraschend auf Distanz zu Kanzlerin Merkel. Die will das Abkommen noch dieses Jahr abschließen.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat den Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Freihandelsverhandlungen der EU mit den USA kritisiert und vor Eile gewarnt. "Es war falsch, dass die Bundeskanzlerin im Überschwang vor dem Obama-Besuch in Deutschland gesagt hat, wir können die Verhandlungen in jedem Fall in diesem Jahr abschließen – und das jetzt noch mal wiederholt hat", sagte der Vizekanzler den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland.

Zeitdruck führe zu einem schlechten Abkommen. Merkel hatte am Donnerstag während des G-7-Gipfels in Japan gesagt, die EU wolle das umstrittene TTIP-Abkommen mit den USA noch in diesem Jahr fertig verhandeln.


Die EU und die USA verhandeln seit Mitte 2013 über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Ziel ist es, Zölle, verschiedene Vorschriften oder Hürden für Investitionen abzubauen, damit der Handel zwischen den Wirtschaftssupermächten EU und USA stärker floriert.

Kritiker befürchten eine Angleichung von Standards auf geringerem Niveau. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte Anfang Mai umfangreiche TTIP-Verhandlungsunterlagen veröffentlicht, die bislang geheim gehalten worden waren.

Das Abkommen ist auch innerhalb der SPD stark umstritten, die Parteilinke verlangt von Gabriel einen Abbruch der Gespräche. Der Parteichef sagte nun, es sei unklar, ob es sich überhaupt lohne, mit den USA weiter zu verhandeln. Ein schlechtes Abkommen werde die SPD nicht mittragen: "Ich werde niemals einem Abkommen zustimmen, wenn es bei den intransparenten privaten Schiedsgerichten bleibt." Er werde auch keiner Vereinbarung zustimmen, die nicht mindestens den Ceta-Standards entspreche.
Wie TTIP-kritisch ist Gabriel wirklich?

Ceta steht für Comprehensive Economic and Trade Agreement und ist das Freihandelsabkommen, das die EU parallel mit Kanada verhandelt. Dabei hat man sich nach starken Protesten in der EU gegen die geplanten privaten und nicht öffentlichen Investorenschiedsgerichte auf ein neues Verfahren geeinigt. Dieses sieht vor, einen Investitionsgerichtshof inklusive Berufungsinstanz zu etablieren, der in Streitfällen zwischen Investor und Staat entscheidet. Angehörige dieses Gerichtshofs sollen öffentlich benannt werden und nicht an mehreren Fällen gleichzeitig arbeiten und an einen moralischen Leitfaden gebunden sein.

Der Streit um die privaten Schiedsgerichte wäre damit vom Tisch. Gleichwohl: Zufrieden sind die Kritiker nicht. Wirtschaftsexperten bemängeln etwa weiterhin die Schutzstandards, auf die sich Investoren im Streitfall vor einem internationalen Investitionsgerichtshof berufen können. Diese basierten weiter auf unbestimmten Rechtsbegriffen und schützten Investoren.

Gabriel selbst hatte zuletzt hatte mit seiner Haltung zu den Investorengerichten für Irritation gesorgt. Zunächst verteidigte er das Abkommen, nun betont der SPD-Chef seine Kritik an den Schiedsgerichten. Ein der ZEIT vorliegendes Dokument allerdings zeigt, dass er möglicherweise nicht ganz so strikt dagegen ist.
In diesem informellen sogenannten Non-Paper von Anfang April wirbt die Bundesregierung gemeinsam mit Österreichern, Finnen, Franzosen und Niederländern für den Erhalt von Schiedsgerichten. Vor diesen sollen private Investoren Staaten verklagen können. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es dazu jedoch, dass es sich dabei nicht um private Schiedsgerichte handele.

Die TTIP-Gespräche haben bisher vor allem eins deutlich gemacht: das unterschiedliche Verständnis von Europäern und Amerikanern bei Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzrechten. Strittig sind zudem Fragen der Marktöffnung – und eben auch das Verfahren für eine außergerichtliche Streitschlichtung von Investoren. Trotz der jahrelangen Verhandlungen fehlt bisher eine Einigung darüber, wer mehr geschützt werden soll – der Kapitaleigner oder die Bürger.

Nun bemühen sich alle TTIP-Verfechter um Eile. Beim Katholikentag in Leipzig hat etwa EU-Kommissar Günther Oettinger angekündigt, dass die Gespräche in fünf Monaten abgeschlossen sein sollen. "Ich gehe davon aus, dass wir irgendwann im Oktober einen Vorschlag abschließend beraten und dann den Mitgliedstaaten, dem Rat und dem Europäischen Parlament zu einer Entscheidungsfindung zuleiten", sagte Oettinger bei einer Diskussionsveranstaltung. Zeitgleich demonstrierten rund 1.000 Menschen gegen das Handelsabkommen.

DGB-Chef verlangt Verhandlungsneustart


Oettinger sagte, die Beratungen in den nationalen Parlamenten in der EU, darunter Bundestag und Bundesrat, dürften das gesamte Jahr 2017 in Anspruch nehmen. "Unsere Kultur von Daten-, Umwelt- und Verbraucherschutz wird vollumfänglich gewahrt", betonte er. "Es ist kein Skandal, dass wir mit den USA über Handel und Investitionen sprechen. Es ist eher ein Skandal, dass wir es erst jetzt tun." Schließlich sei Amerika ein immens wichtiger Partner, und Deutschland habe bereits entsprechende Abkommen mit 120 Staaten.

Zuvor hatte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann für einen Neustart der Verhandlungen geworben. "TTIP, wie es jetzt verhandelt wird, wird nicht zum Erfolg führen, schon gar nicht bis Ende des Jahres", sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Deutschlandfunk. Deshalb sei er dafür, nach der Präsidentschaftswahl in den USA mit der neuen Regierung von vorn zu beginnen. "Wir brauchen statt mehr freiem Handel mehr fairen Handel", forderte der DGB-Vorsitzende. Bei TTIP gehe es aber vor allem um mehr Liberalisierung. Zudem spielten die Arbeitnehmerrechte keine ausreichend große Rolle. Versprechungen von mehr Wachstum und mehr Beschäftigung durch das Handelsabkommen halte er für "illusionär".

Quelle: zeit.de


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