Unter Ökonomen herrscht Konsens darüber, dass ein Abschied von der EU sowohl dem Vereinigten Königreich als auch der EU schaden würde – unvorstellbar ist er aber nicht. Sich auf das weitere Vorgehen vorzubereiten, ist deshalb unabdingbar. Die Aufmerksamkeit der Politik hat sich bisher darauf konzentriert, wie mit Großbritannien verhandelt werden sollte, damit nicht auch andere Länder dem Beispiel der Briten folgen.
Aber es ist unrealistisch, das langfristige Überleben der EU von den Kosten einer Kündigung der Mitgliedschaft abhängig zu machen. Und es ist genauso töricht zu glauben, dass Großbritannien weiterhin problemlos Zugang zu den Vorteilen der EU gewährt werden würde, ohne dass damit auch Verpflichtungen verbunden wären, obwohl Befürworter eines Austritts gerade dies behaupten.
EU als Symbol für Fortschritt und Wachstum
Welche politische Strategie sollten die EU und ihre zwei größten Mitgliedstaaten Frankreich und Deutschland also für den Fall eines Brexits verfolgen? Das Wichtigste ist, die EU zu einem Symbol für Fortschritt, Stabilität, Wachstum und Beschäftigung zu machen. Wie dies erreicht werden kann, ist eine Frage, die nach dem potenziellen Austritt dringend beantwortet werden muss, aber auch bei einem Verbleib in der EU relevant bleibt. Für mich ergeben sich zwei strategische Handlungsoptionen mit jeweils unterschiedlichen politischen Folgen.
Die erste Option konzentriert sich auf eine EU mit 27 Mitgliedstaaten. Dazu könnte der Ausbau des Binnenmarkts gehören, die Priorisierung der Interessen von EU-Bürgern bei weltweiten Handelsvereinbarungen und die Erhöhung der Sicherheit durch vermehrte Zusammenarbeit beim Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und bei Maßnahmen gegen hybride Kriegsführung. Hinter dieser Strategie steht die Absicht, alle EU-Mitgliedstaaten einzubeziehen.
Vor allem Länder außerhalb des Euro-Raums wie Schweden könnten das Gefühl haben, dass ihre Interessen in einer vom Euro dominierten EU zu kurz kommen. Nach einem Austritt der Briten würde der Anteil der Nicht-Euro-Länder an der Wirtschaftsleistung der EU nur noch 14 Prozent ausmachen. Es müsste in so einem Fall politische Steuerungsmechanismen geben, die diese Länder vor einer Tyrannei der Mehrheit bewahren würden. Die EU sollte auf jeden Fall von der Forderung ablassen, dass Länder, die nicht der Währungsunion angehören, dieser beitreten sollen und sollte eine Lösung mit zwei Geschwindigkeiten akzeptieren.
Eine auf dem Binnenmarkt basierende Wachstumsstrategie könnte nicht nur für Schweden, Polen und Dänemark, sondern auch für einige Länder des Euro-Raums, wie die Niederlande, äußerst attraktiv sein. Paradoxerweise würde ein Abschied der Briten zu einer Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen führen, die die EU für den Inselstaat sogar attraktiver machen würde. Die Strategie ist jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Da dabei 27 Länder zusammenarbeiten müssen, würden wahrscheinlich nur langsam Fortschritte erzielt werden können.
Ende Juni stimmen die Briten über die weitere EU-Mitgliedschaft ihres Landes ab. Seit dem Beitritt haben die Briten immer wieder eine Sonderrolle beansprucht. Diese Videografik erklärt warum.
Die zweite strategische Option geht davon aus, dass nach einem Brexit für Frankreich genauso wie für Deutschland die deutsch-französische Allianz an Bedeutung gewinnen würde. Deutschlands größte Angst ist, dass Frankreich und Italien im Falle eines Brexits vermehrt etatistische Politik betreiben wollen, verbunden mit mehr Transfers und anderen Verteilungsgrundsätzen. Frankreich wiederum würde sich Sorgen um eine deutsche Abkehr von der Union machen.
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