“Du nicht willkommen“

  10 Juni 2016    Gelesen: 660
“Du nicht willkommen“
Vor acht Monaten kam Aya aus Syrien nach Deutschland. Heute lebt die 25-Jährige in Berlin. Aya will unbedingt in Deutschland bleiben – trotz einer unangenehmen Begegnung, die sie bis heute prägt.

Vor ein paar Wochen hat Aya zum ersten Mal hautnah erlebt, dass nicht jeder in Deutschland sie mit offenen Armen empfängt. Die 25-Jährige war im Kaufland in der Nähe ihrer Flüchtlingsunterkunft, um ein paar Tomaten zu kaufen, da kam dieser ältere Mann auf sie zu. "Er hat mich böse angeschaut", erzählt Aya, "und dann hat er gesagt: Du nicht willkommen."

Aya hat das genau verstanden, schließlich hat sie den ersten Deutschkurs bereits absolviert und "willkommen" ist eigentlich ihr deutsches Lieblingswort.

Auch in den Monaten vor der Attacke beim Einkauf hatte Aya, die aus dem syrischen Damaskus nach Berlin geflüchtet ist, schon verächtliche Blicke wahrgenommen. Sie glaubt, dass das an ihrem Kopftuch liegt, das die gläubige Muslima trägt. "Aber angesprochen hatte mich noch nie jemand."

Wochenlanges Warten vor dem Lageso in Berlin

Sie habe keine Angst vor dem fremden Mann gehabt, sondern sei eher überrascht gewesen, erzählt Aya. "Fast alle Deutschen sind sehr freundlich und hilfsbereit." Acht Monate lebt Aya nun schon in Deutschland. Angekommen ist sie mit vielen Tausend anderen Flüchtlingen im September am Münchner Hauptbahnhof.

Damals war sie voller Hoffnung, endlich war sie in dem Land angekommen, in das ihr Ehemann Tarik bereits ein halbes Jahr zuvor geflohen war. Sie wollte so schnell wie möglich weiter nach Berlin, wo er lebte, sie wollte Deutsch lernen und wieder studieren.

In ihrer Heimat hatte sie Fotografie gelernt. Doch dann machte Aya erst einmal Erfahrungen mit der von den vielen Flüchtlingen überforderten deutschen Bürokratie. Wochenlang harrte sie vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, das alle nur Lageso nennen, aus. Erst verschwand ihre Akte, dann ihre Wartemarke.

"Wir werden gar nicht als Menschen gesehen"

Aya verlor erst die Geduld und dann fast die Hoffnung. "Ich bin verzweifelt", sagte sie damals. "Wir sind hergekommen, weil wir vor dem Krieg und der Zerstörung in Syrien geflohen sind. Aber hier behandelt man uns wie Insekten. Wir werden gar nicht als Menschen gesehen", klagte sie.
Diese Aussagen waren das Resultat einer monatelangen Odyssee, die nun auch in Deutschland scheinbar kein Ende nahm. Geflohen waren Aya und ihre Verwandten aus dem Palästinenserlager Jarmuk in der syrischen Hauptstadt.

Erst schlugen sie sich bis in die Türkei durch, wo sie einige Monate in Antalya lebte, dann machte sie sich auf der sogenannten Balkanroute auf nach Deutschland. Über Griechenland, Mazedonien, Ungarn und Österreich kam sie in München an.

Leben und Hoffen in einem ehemaligen Hotel

Die Strapazen sind inzwischen so gut wie vergessen. Zusammen mit ihrem Ehemann lebt sie in einem Zimmer eines ehemaligen Hotels im Berliner Stadtteil Weißensee, das zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut wurde. "Wir haben unseren eigenen Raum", erzählt sie.
Noch immer gibt es aber auch Probleme: Ihre Mutter lebt in einer anderen Unterkunft in Berlin, die Schwester sogar im weit entfernten Stuttgart. Aya hofft, dass die Behörden erlauben, dass die Familie bald zusammen in einer Unterkunft leben kann. "Es dauert alles sehr lange", sagt sie: "Aber ich bin nicht mehr wütend, sondern hoffnungsvoll."

Noch immer träumt sie von einem Master-Studium, aber dafür braucht sie erst eine Aufenthaltserlaubnis. "Aufenthaltstitel" gehört zu den deutschen Wörtern, die sie perfekt ausspricht.

Der Deutschkurs endete einfach

Als in ihrer Unterkunft ein Deutschkurs angeboten wird, meldet sich Aya sofort. Sie mag nicht nur das Wort "willkommen", auch "ich" findet sie lustig, wegen des kehligen ch-Lautes. Noch ist es aber leichter, sich mit ihr auf Englisch zu unterhalten - auch weil der Deutschkurs irgendwann einfach endete. Warum weiß Aya nicht genau.

Sie übt nun mit einer deutschen Freundin weiter, die sie in Berlin kennengelernt hat. "Ich bringe ihr Arabisch bei und sie mir Deutsch", erzählt sie. Außerdem legt sie bereits jeden Monat zehn Euro zur Seite, um mit dem Geld den Integrationskurs bezahlen zu können. Doch dafür braucht sie erst den Aufenthaltstitel.

Man merkt, dass sie nicht klagen will, auch wenn es ihr schwerfällt, auf die Entscheidungen der Behörden zu warten. Sie sei froh, dass sie in Deutschland zumindest mit einem Teil ihrer Familie in Sicherheit leben könne.

"Ich hätte gern ein normales Leben"

Doch noch immer sind viele Verwandten im Kriegsgebiet. Ihr Vater, ihr Bruder und ihre Großeltern wollten die Flucht eigentlich kurz nach Aya antreten. Doch sie kamen zu spät. Inzwischen sind die Grenzen dicht. Aya hofft nun auf den "Familiennachzug", noch so ein kompliziertes deutsches Wort, das sie beherrscht. Sobald ihre Mutter als Flüchtling anerkannt ist, wollen sie versuchen, eine Erlaubnis für den Familienvater zu beantragen, dass er nachkommen darf.

Es wird noch einige Zeit dauern, bis sich Ayas Wunsch erfüllt: "Ich hätte gern ein normales Leben, wie jedes Mädchen in meinem Alter", sagt sie.

Aya will bleiben, auch wenn sie ihre syrische Heimat vermisst. Irgendwann will sie Journalistin sein und dann vor allem über Flüchtlinge berichten. "Jemand muss über diese Themen sprechen", sagt sie. "Das sind doch auch Menschen, die da an der Grenze warten."

Quelle: n24.de


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