Staatsverbrechen darf wieder so genannt werden

  11 Juni 2016    Gelesen: 676
Staatsverbrechen darf wieder so genannt werden
Im Streit mit dem Dresdner Politologen Kailitz hat die NPD ihren Eilantrag zurückgezogen. Der Konflikt um Vertreibung und Staatsverbrechen wird nun im Herbst verhandelt.
In dem Hauptsacheverfahren wird es nun unter anderem um die Frage gehen, ob man von Vertreibung sprechen darf, wenn ein Staat Menschen ohne Rechtsgrundlage, also willkürlich, gegen ihren Willen außer Landes bringt. Und um die Frage, ob die Pläne der NPD ein Staatsverbrechen wären, sollte sie sie jemals umsetzen können. In ihrem Programm betrachtet die NPD Menschen nur als Deutsche, wenn sie deutscher Abstammung sind. Sie fordert darin eine "gesetzliche Regelung zur Rückführung der derzeit hier lebenden Ausländer". Ein absurder Plan, beträfe er doch Millionen Menschen, die seit Langem legal und als Staatsbürger in Deutschland leben, darunter sogar Ehepartner und hier geborene Kinder.

So etwas umzusetzen, verstieße also nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern gegen europäische Bestimmungen und die Menschenrechte. Selbst eine Grundgesetzänderung dafür ist aus Sicht von Juristen unmöglich. Denn die angestrebte Rechtsgrundlage stünde im Widerspruch zur sogenannten Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes, nachdem bestimmte Artikel unveränderlich sind, darunter etwa die Achtung der Menschenwürde oder die Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte.

Wie er darüber denkt, ließ Richter Maier schon in einer schriftlichen Verfügung erkennen, die er an die Streitparteien schickte. Unter Vertreibung verstehe das Gericht "die Ausübung staatlicher Gewalt zur Verbringung von Menschen von A nach B" ohne Rechtsgrundlage, schrieb er den Beteiligten. Im Parteiprogramm der NPD fänden sich jedoch keine Stellen, in denen sie plane, dies ohne Rechtsgrundlage zu tun. Im Gerichtssaal pflichtete ihm NPD-Anwalt Richter bei.

Kailitz’ Rechtsbeistand Jörg Nabert, der auch Anwalt der ZEIT und von ZEIT ONLINE ist, entgegnete in der Diskussion, selbst das Bundesvertriebenengesetz definiere Vertreibung so, dass mitnichten immer staatliche Willkür vorliegen müsse. Er führt die Beneš-Dekrete der Nachkriegszeit an, durch die auf einer rechtlichen Grundlage Sudetendeutsche aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden.

Erstaunen löste Richter Maier aus, als er im Saal plötzlich aus dem Programm der NSDAP zitierte, um den Unterschied zur NPD deutlich zu machen. Auch die Nazis planten die Vertreibung aller Menschen, die sie für Nichtdeutsche hielten. Von einer Rechtsgrundlage ist in dem Programm – anders als bei der NPD – aber keine Rede. "Das ist schon etwas anders in der Diktion", konstatierte Maier.

Nach einer halben Stunde war der Gerichtstermin beendet. Die NPD muss die Kosten tragen. Die inhaltliche Diskussion über die Freiheit der Wissenschaft und der Meinung ist auf den Herbst vertagt. Dann wird es auch im Detail um den Vertreibungsbegriff gehen und um die Frage, ob die NPD-Pläne als Staatsverbrechen bezeichnet werden dürfen. Richter Maier wird dann nicht mehr allein entscheiden können. Ihm zur Seite sitzen im Hauptverfahren zwei weitere Kollegen. Anwalt Richter will den Streitwert dafür auf 50.000 Euro festsetzen lassen – das Fünffache des nun beendeten Eilverfahrens. Wenn die Partei verliert, wird es für sie deutlich teurer.

Tags:


Newsticker