Wer Krieg führen will, tut gut daran, sich gründlich vorzubereiten. Die notwendigen Divisionen auszubilden und voll auszurüsten kostet unausweichlich Zeit, viel Zeit. Und bevor man Soldaten in einen Kampf schicken kann, müssen die Männer zudem Gelegenheit haben, sich von der Ausbildung und Neuformierung zu erholen.
Am 31. Juli 1940 hatte Adolf Hitler der Spitze der Wehrmacht seinen "bestimmten Entschluss" bekannt gegeben, "Russland zu erledigen". Als Angriffstermin nannte der "Führer" seinen Generälen den Mai 1941. Fortan war die Aufrüstung aller deutschen Streitkräfte auf den 30. April 1941 ausgerichtet.
Doch kurz vor dem Stichtag sah die Bilanz des Wirtschafts- und Rüstungsamtes durchwachsen aus: Zwar war vordergründig die Zahl der verlangten Divisionen erreicht worden. Je genauer man allerdings hinsah, desto fragwürdiger wurde die Statistik.
Die Mannschaftsstärke des Heeres hatte planmäßig von 4,55 auf glatt fünf Millionen Mann zugenommen. Noch deutlich stärker wuchsen die anderen Teilstreitkräfte: Die Luftwaffe vergrößerte sich um 40 Prozent von 1,2 auf 1,68 Millionen Mann und die Kriegsmarine um 60 Prozent von 250.000 auf 404.000 Mann. Das war aber gering im Vergleich zur Waffen-SS: Der militärische Teil von Heinrich Himmlers schwarzem Orden verdreifachte sich von 50.000 auf 150.000 Mann.
Ganz anders sah es allerdings beim Material aus. Eine Übersicht des Wirtschafts- und Rüstungsamtes des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) mit Stichtag 31. März 1941 offenbarte erschreckende Defizite, die einen Angriff eigentlich hätten ausschließen sollen.
So waren vom absehbar wichtigsten Geschütz für den bevorstehenden Feldzug, der 7,5-Zentimeter-Kampfwagen-Kanone, gerade einmal zehn Prozent der angesetzten Menge produziert worden – genau 1151 Stück, von denen die meisten in 572 Panzer IV und 377 Sturmgeschützen III verbaut waren. Immerhin standen für diese Waffen genügend Granaten bereit, nämlich 83 Prozent des geplanten Bestandes: 2,2 Millionen Schuss.
Anders war es zwar bei der leichten Panzerabwehrkanone (PaK) im Kaliber 3,7 Zentimeter: Von ihr standen am 31. März 1941 genau 14.838 Stück bereit, immerhin 80 Prozent der angesetzten Stärke; 18,7 Millionen Schuss lagen in den Arsenalen.
Das waren zwar nur 51 Prozent der angesetzten Menge, doch das machte nichts: Das leichte Geschütz hatte sich schon im Westfeldzug als einigermaßen nutzlos gegen moderne mittlere und schwere Panzer erwiesen. Ihre Mannschaften deuteten die Abkürzung PaK eigenwillig: "Panzeranklopfkanone".
Um diese Lücke zu schließen, wurden die Panzerjägereinheiten von 19 deutschen Infanteriedivisionen mit französischen Kanonen im Kaliber 4,7 Zentimeter ausgestattet. Insgesamt hatte die Wehrmacht 823 Exemplare der Canon antichar de 47 mm modèle 1937 erbeutet; sie erwies sich der deutschen Fünf-Zentimeter-Pak als gleichwertig.
Nicht viel besser sah es bei den Panzern aus. Gegenüber der Stärke bei Beginn des Westfeldzuges hatte das Heer zwar in allen Belangen zugelegt: So standen für das "Unternehmen Barbarossa" immerhin 979 Panzer III und 444 Panzer IV bereit, gegenüber 349 und 278 Fahrzeugen dieser beiden Typen im Mai 1940.
Da die Zahl der Panzerdivisionen aber etwa verdoppelt worden war, mussten die Lücken mit Beutefahrzeugen gefüllt werden, vor allem mit den beiden tschechoslowakischen Modell 35 (t) und 38 (t). Beide entsprachen in ihrer Kampfkraft etwa den früheren Modellen des deutschen Panzers III, waren aber dem Panzer IV und dem sowjetischen Modell T-34 deutlich unterlegen.
Die gesamte Panzergruppe 3 mit vier Panzer- und drei motorisierten Divisionen war mit tschechischen Panzern ausgestattet. Das war grundsätzlich eine kluge Entscheidung, denn die Konzentration vereinfachte die Belieferung mit Nachschub und Ersatzteilen.
Immerhin verfügte diese Panzergruppe noch über genügend Kettenfahrzeuge, gehörte sie doch überwiegend zur ersten Welle, sollte also die Speerspitze des Angriffs bilden. Insgesamt waren 26 Divisionen diesem Teil des Heeres zugeordnet, der die gegnerische Front durchbrechen und schnellstmöglich vorrücken sollte.
Dahinter sollten 45 Divisionen der zweiten bis vierten Welle nachrücken. Von ihnen war bereits die Hälfte mit erbeuteten statt deutschen Lastwagen, Autos und Zugmaschinen für die Artillerie ausgestattet. Ab der fünften Welle fehlten sogar diese Fahrzeuge, sodass größere Teile von 56 Divisionen beinahe ausschließlich bespannt vorrücken mussten. 15 Divisionen, die der 15., letzten Welle zugeschlagen waren, dienten als Reserve und waren zur schnellen Verlegung mit Beutefahrzeugen ausgestattet.
Insgesamt 3,1 Millionen deutsche Soldaten mit 3648 Panzern aller Typen und 20.000 Geschützen (einschließlich Mörsern) standen Mitte Juni 1941 bereit, um die UdSSR anzugreifen. Ohne Zweifel eine gewaltige Streitmacht.
Wie stark aber war im Vergleich dazu die Rote Armee? Annähernd vergleichbar genaue Zahlen gibt es nicht; die Angaben verschiedener Autoren schwanken stark. Zwischen 2,8 und 3,3 Millionen Mann standen bereit, bewaffnet mit 11.000 bis 15.000 Panzern und 40.000 bis 60.000 Geschützen.
Als übermächtig also konnte das deutsche Ostheer auf keinen Fall gelten. Das war der Generalität durchaus bewusst – der Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller schreibt: "Als die Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Grenzen der UdSSR überschritt, war die militärische Führung davon überzeugt, wenn schon nicht im materiellen Bereich, so doch in der operativen Führungskunst eine kriegsentscheidende Überlegenheit einsetzen zu können."
Quelle: n24.de
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