Die Tagesordnung war lang. Dennoch war pünktlich um 20.50 Uhr am Donnerstagabend im Kanzleramt Schluss. Schließlich kickte um 21 Uhr die deutsche Nationalelf bei der Fußball-EM gegen Polen. Das Spiel wollten weder Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch die 16 Ministerpräsidenten verpassen.
In den zähen Verhandlungen zuvor hatten sich Bund und Länder auf ihrem Gipfel auf wenig einigen können. Bei den Zuschüssen für den regionalen Bahnverkehr und dem Förderprogramm für Spitzenforschung erzielten die Regierungschefs Kompromisse.
Ab 2019 können nun elf Spitzenhochschulen für sieben Jahre mit 533 Millionen Euro pro Jahr gefördert werden. Und die Bundeszuschüsse für die Bahn an die Länder werden auf 8,2 Milliarden Euro aufgestockt. Die richtigen großen Themen wie die Reform der föderalen Finanzbeziehungen und die Übernahme der Flüchtlingskosten blieben offen.
Vor allem bei den Flüchtlingskosten war zuvor die Erwartungshaltung geschürt worden, beide Seiten würden einen Kompromiss erzielen. Hier soll nun "zeitnah" eine Lösung erzielt werden – spätestens am 8. Juli bei einem sogenannten Kamingespräch der Ministerpräsidenten mit Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel.
Fragwürdige Spitzengespräche
Damit haben die Ministerpräsidenten noch eine Berlin-Reise mehr in ihrem Terminkalender stehen. Inzwischen reisen die Landeschefs fast alle zwei Wochen zu Spitzengesprächen in die Hauptstadt. Die Fortschritte dieser Runden sind oft überschaubar. Und fragwürdig sind die Hinterzimmerformate dazu. Nahezu unbemerkt hat Merkel mit den Landeschefs eine Art Nebenregierung etabliert. Statt in formellen Gremien handelt die Kanzlerin in informellen Kaminrunden Deals aus.
Die Bundesländer haben in Deutschland ein großes Mitspracherecht. Die Väter des Grundgesetzes haben dem Bundesrat mit Bedacht eine große Macht zugeschrieben, um ein zweites Weimar zu verhindern. Zudem betreffen Themen wie die Bund-Länder-Finanzen oder die Energiewende die Länder genauso so wie den Bund. Dass beide Seiten bei vielen Themen hart und lang verhandeln, ist nicht neu. Neu ist allerdings, wie wenig die offiziellen Gremien für diese Verhandlungen genutzt werden.
Früher haben die Länder über den Bundesrat Position bezogen. Im Streitfall feilschten sie dann im Vermittlungsausschuss mit dem Bund um eine Lösung. Der im Grundgesetz verankerte Vermittlungsausschuss tagte in dieser Wahlperiode bislang ein einziges Mal. Stattdessen suchen Bund und Länder in vertrauten Kaminrunden nach Lösungen. "Und da werden in Hinterzimmern schnell mal eben Milliarden über den Tisch geschoben", schimpft ein Bundestagsabgeordneter.
Ständige Reisen nach Berlin für kleine Fortschritte
Wenn es denn überhaupt zu Entscheidungen kommt. Denn oft enden die Runden ergebnislos, wie zwei Beispiele zeigen: die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und der Streit über die Flüchtlingskosten. Am 22. April beschlossen die Ministerpräsidenten nach einem Sondertreffen mit Merkel, bei der Frage der Flüchtlingskosten auf einem Sondertreffen am 31. Mai zu einer Lösung zu kommen.
Vorher fand bereits am 12. Mai ein außerplanmäßiges Treffen der Landeschefs mit der Bundesregierung zur EEG-Reform statt. Da es dort zu keiner Einigung kam, legten Bund und Länder das Thema EEG auf den 31. Mai, die Flüchtlingskosten sollten bei einem weiteren Sondertreffen am 16. Juni abgeräumt werden.
Bei dem Treffen am 31. Mai verließ dann plötzlich CSU-Chef Horst Seehofer am späten Abend grußlos die Runde und ließ seine verdutzten Landeskollegen zurück. Wieder musste sich die Runde vertagen. Ein Durchbruch gelang dann am nächsten Tag in kleiner Runde im Koalitionsausschuss. Die Ministerpräsidenten sind also allein im Mai zwei Mal umsonst nach Berlin gefahren.
Für die ständigen Reisen müssen die Landeschefs einen hohen Aufwand betreiben. Mindestens einen Tag sind sie nicht da, wo sie eigentlich sein sollten: in ihren Bundesländern. "Inzwischen kommen wir alle zwei Wochen zu Spitzengesprächen nach Berlin. Die Fortschritte sind oft nur klein", sagt Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering (SPD).
Strategischer Vorteil für Kanzlerin Merkel
Merkels Regierungsstil kommen diese informellen Runden entgegen. Neben den SPD- und CDU-Ministerpräsidenten sitzen auch Bodo Ramelow von der Linkspartei und Winfried Kretschmann von den Grünen mit am Tisch. Eine Art ganz große Koalition kommt so zusammen. Das ist für Merkel von Vorteil, da ihre große Koalition im Bundesrat keine Mehrheit hat.
Die Kanzlerin hat in diesen Runden auch einen strategischen Vorteil. Kamingespräche sind, wie der Name schon suggeriert, vertraut. In der Regel kommen die Ministerpräsidenten allein, manchmal werden sie von ihren Staatskanzleichefs begleitet. Merkel hat in der Regel aber nicht nur Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) neben sich sitzen: Auch die zuständigen Bundesminister kommen hin und wieder dazu oder Fachreferenten. Auf deren Expertise kann Merkel zurückgreifen, während viele Ministerpräsidenten bei Spezialfragen schnell überfragt sind.
Die Regionalisierungsmittel sind ein gutes Beispiel dafür. Zu den Bundeszuschüssen für die Bahn an die Länder fand im Herbst 2015 der bisher einzige Vermittlungsausschuss statt. Dort gab es aber keine Entscheidung, sondern in einer dieser Runden mit Merkel und den Ministerpräsidenten.
Daraufhin ging die Gesetzgebungsmaschinerie los; Bundestag und Bundestag stimmten zu. Weil einige Ministerpräsidenten aber offenbar nicht alle Details nachvollziehen konnten, die sie da ausgehandelt hatten, wurde länger als ein Dreivierteljahr mehrfach nachjustiert, bis es am Donnerstag die Einigung gab – und 200 Millionen extra vom Bund.
Im Bundestag wächst der Frust
Aber auch die Landeschefs profitieren von den informellen Gesprächen. Kommt die Runde aus Bund und Ländern im Kanzleramt zu Lösungen, können sie in ihren Ländern prahlen, sich mit der Regierungschefin persönlich abgestimmt zu haben. Gibt es hingegen Streit, können sie Entscheidungen monatelang blockieren, ohne im Bundesrat öffentlich Farbe bekennen zu müssen.
Im Bundestag wächst der Frust über dieses Vorgehen. Ohnmächtig müssen die Abgeordneten zusehen, wie Merkel mit den Landeschefs über Milliarden des Bundes verhandelt. "Natürlich haben die Länder das Recht, ihre Interessen zu vertreten. Aber es gibt Grenzen", sagt der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Johannes Kahrs. Manche Themen blockieren die Länder nach Ansicht von Bundestagsabgeordneten seit Jahren: die Erbschaftsteuerreform, die Abschaffung des Soli, eine modernere Steuerverwaltung oder die Einrichtung einer Gesellschaft für den Fernstraßenbau.
Wie auch viele CDU-Abgeordnete nervt es Kahrs besonders, dass der Bundestag bei den Verhandlungen zur Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen außen vor ist. Der SPD-Chefhaushälter droht im Falle eines Kompromisses zulasten des Bundes mit Blockade des Bundestags: "Nur weil die Exekutive eine Lösung gefunden hat, heißt das noch lange nicht, dass die Legislative ihr zustimmt."
Quelle: n24.de
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