Im Frühsommer 2013 steht der damals 19-Jährige vor der vierköpfigen Prüfungskommission. Es ist die letzte von insgesamt fünf Prüfungen, Evangelische Religion, mündlich. Patrick soll das Zitat aus der Bibel interpretieren und in einen zeitgeschichtlichen Kontext einordnen.
Er redet, argumentiert, erklärt, beantwortet Fragen seiner Lehrer, insgesamt 22 Minuten lang. Später wird er sagen, er habe eigentlich ein gutes Gefühl gehabt. Als das Jesus-Zitat seinerzeit im Unterricht behandelt wurde, hatte er bei einer mündlichen Überprüfung ein "Sehr gut".
Doch diesmal ist das Prüfungsergebnis ein Schock: Null Punkte, also eine glatte Sechs. Und was noch schwerer wiegt: Patrick hat damit sein Abitur nicht bestanden. Auch die durchaus passablen bisherigen Noten in Religion - die schlechteste eine Drei Plus - helfen ihm nicht. Er wird nicht einmal zur Zeugnisfeier eingeladen.
Wer auch nur in einer einzigen Prüfung mit null Punkten abschneidet, fällt durch. Ganz gleich, wie gut die anderen Noten sind. So steht es in der Oberstufenverordnung Sachsen-Anhalts - zumindest bis jetzt. Denn Patrick nahm die Niederlage nicht hin. Er klagte vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg.
Widerspruchsfrist von einem Monat
Nun, drei Jahre später, geben die Richter ihm recht. Die Null-Punkte-Regel sei "unverhältnismäßig und insoweit rechtswidrig und nichtig", halten die Richter in ihrem Urteil fest. Sachsens-Anhalts neuer Kultusminister Marco Tullner (CDU), gerade einmal wenige Wochen im Amt, kündigte schon an, auf das Urteil zu reagieren und die Oberstufenverordnung anzupassen.
Droht damit eine Klagewelle in Sachsen-Anhalt? "Wer im Abitur wegen einer Null-Punkte-Prüfung durchgefallen ist, kann jetzt dagegen vorgehen", sagt der Kölner Anwalt Philipp Verenkotte, der auf Prüfungsrecht spezialisiert ist. "Allerdings muss man sich beeilen, die Widerspruchsfrist beträgt einen Monat, und das auch nur, soweit das Zeugnis oder der Bescheid über das Nichtbestehen der Abiturprüfung eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthält, was aber in der Regel der Fall ist."
Eine Klage wäre trotz der Entscheidung in Patricks Fall riskant. Patrick kann die Prüfung nun wiederholen, wenn sich alle damit zufrieden geben. Theoretisch könnte das Schulamt aber die nächste Instanz anrufen. "Und ob das Oberlandesgericht dabei bleibt, da habe ich schon meine Zweifel", sagt Verenkotte.
Denn die Bundesländer haben große Freiheiten bei der Gestaltung von Prüfungsordnungen. "Es gibt zahlreiche vergleichbare Verfahren im Bereich des Hochschulrechts", sagt Verenkotte. Meist blieben die Studenten mit ihren Klagen erfolglos. Zum Beispiel kann eine strenge Regelung damit begründet werden, dass der Prüfling auch Nervenstärke beweisen soll. Verenkotte glaubt deshalb nicht, dass nun reihenweise Prüfungsordnungen in anderen Ländern gekippt werden.
Wie es überhaupt zu der Null-Punkte-Bewertung kam, darüber rätselt Patrick bis heute. Das Prüfprotokoll bemängelt unter anderem "unbeholfene Fachsprache", "unklare Zusammenhänge", "unbeholfen in der Methode". Jörg Höfner, Patricks Vater, hat einen anderen Verdacht: Patrick sei ein unbequemer Schüler gewesen, "einer, der den Mund aufmacht, wenn ihn etwas stört". Die mündliche Abiturprüfung könnte auch ein Denkzettel gewesen sein, mutmaßt Höfner. Ein Gespräch mit der Schulleitung wenige Tage nach der Prüfung sei "sehr ungünstig verlaufen".
Will Patrick die Prüfung nun überhaupt wiederholen - drei Jahre später? Das will er sich in Ruhe überlegen. Er hat über Umwege auch ohne Abitur zu seinem Traumberuf gefunden: Nach einem Praktikum wurde ihm das Fachabitur anerkannt, er lässt sich nun zum Polizisten ausbilden. Allerdings nicht in Sachsen-Anhalt, sondern in Niedersachsen.
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