Bis tief in die Nacht und weit bis in den frühen nächsten Morgen hinein saßen die Abgeordneten auf dem Boden. Ein Sitzstreik, mit dem die politisch machtlosen Demokraten, denn die Republikaner haben die Mehrheit im Repräsentantenhaus, wenigstens symbolische Macht demonstrieren wollten. Unterstützt wurden sie von Hunderten Bürgern, die vor dem erleuchteten monumentalen weißen Kongressgebäude standen und demonstrierten.
Es gibt wenig, an dem sich die Geister in Amerika so sehr scheiden, wie an dem Recht, Waffen zu tragen. Für die einen ist es das ultimative, in der Verfassung verbriefte Zeichen individueller Freiheit, für die anderen ist es zu einer der tödlichsten Bedrohungen Amerikas geworden. Als die Ärzte in Orlando über die Nacht des Attentats sprachen, in der 49 starben und 53 schwer verletzt wurden, sagte einer der Operateure, dass man nicht vergessen dürfe, dass sie auch an einem normalen Samstagabend mindestens fünf bis sechs frische Schusswaffenverletzungen behandelten. In einer Stadt mit nur 230.000 Einwohnern. Die Republikaner argumentieren immer wieder damit, dass es keine Studien gäbe, die belegen, dass weniger Waffen auch zu weniger Toten führen würden. Allerdings waren es die Republikaner selbst, die 1996 mit einem Gesetz sicherstellten, dass keine öffentlichen Gelder mehr in die wissenschaftliche Forschung von Waffengewalt fließt.
Die Chance auf eine Revolution besteht
Das Sit-in der Abgeordneten kam eine Woche nachdem ein demokratischer Senator vergangenen Mittwoch die Republikaner mit einer 15-stündigen Dauerrede dazu zwingen musste, die Abstimmung über Vorschläge für schärfere Waffengesetze überhaupt zuzulassen. Die Republikaner, die die Mehrheit nicht nur im Repräsentantenhaus, sondern auch im Senat haben, stimmten gegen alle Vorschläge. Es sind außergewöhnliche Mittel, die eine Minderheit gegen eine Mehrheit anwendet, und das mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Aber auch wenn diese Partei mit Hillary Clinton das Weiße Haus gewinnen sollte, werden sich die Mehrheiten im Kongress nicht ändern. Dass der Kongress von selbst in absehbarer Zeit verschärfte Waffengesetze erlassen wird, ist daher unwahrscheinlich.
Aber eine Chance gibt es doch noch, und sie liegt in der Hand eines Mannes, der seit einem Jahr eine Revolution in Amerika verspricht. Eine Revolution, die die Stimme des Volkes von der Straße in den Kongress trägt. Die jedoch nicht mit der Präsidentschaftswahl im November endet, sondern in der die Bürger weit darüber hinaus, wie in der großen Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre, Gerechtigkeit mit den Füßen einfordern. Dieser Mann ist Bernie Sanders. Er hat Barack Obama oft vorgeworfen, dass er die junge, große Bewegung, die er in seinem ersten Wahlkampf hinter sich versammelt hat, nach dem Sieg hat fallen lassen. Bernie Sanders sollte nicht denselben Fehler machen. Denn noch sind die Gruppen, die ihn unterstützen, nicht miteinander verknüpft, noch ist es ein loses Netzwerk aus sehr vielen unterschiedlichen linken Gruppen. Er aber könnte das ändern. Sanders könnte eine neue, große Bürgerrechtsbewegung ins Leben rufen, die nicht nur für ein gerechteres Amerika, sondern auch für ein sichereres Amerika kämpft.
90 Prozent der Amerikaner unterstützen Background-Checks vor einem Waffenkauf. Und dass Menschen, die auf der Terror-Watchlist stehen, nicht mit dem Flugzeug fliegen dürfen, jedoch Waffen kaufen dürfen, auch automatische, wie der Killer von Orlando, leuchtet immer weniger Amerikanern ein. Wenn die Volksvertreter dem Volk also nicht geben, was es mehrheitlich will, dann muss das Volk seine Vertreter dazu zwingen. Und wer könnte das besser organisieren als Bernie Sanders?
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