Medien: Briten stimmen für den Brexit

  24 Juni 2016    Gelesen: 921
Medien: Briten stimmen für den Brexit
Die Prognose der britischen Medien ist eindeutig: Das Brexit-Lager gewinnt das Referendum in Großbritannien. Ukip-Chef Farage träumt bereits "von einem unabhängigen Vereinigten Königreich". Das britische Pfund stürzt auf ein Rekord-Tief.

Entsetzen in Europa: Die Briten haben in einem weltweit beachteten Referendum der Europäischen Union die Kalte Schulter gezeigt und mehrheitlich wohl für den Austritt aus dem Bündnis votiert. Nach Auszählung von mehr als 369 der 382 Wahlbezirke stimmten 51,7 Prozent der Wähler für das Verlassen der Gemeinschaft, 48,3 für den Verbleib. Die Fernsehsender BBC und Sky News sehen damit die Brexit-Kampagne um den früheren Londoner Bürgermeister Boris Johnson als Sieger. Zunächst war völlig unklar, was dieses Abstimmungsergebnis für die politische und wirtschaftliche Zukunft Großbritanniens und der Europäischen Union bedeuten würde. Befürchtet wird eine Regierungskrise in Großbritannien.

Das Brexit-Lager kommt damit auf deutlich mehr Stimmen, als zuletzt erwartet worden war. Besonders in weiten Teilen Englands lagen die Befürworter eines EU-Austritts klar vorn. Lediglich in London und Schottland stimmte ein Großteil für "Remain".

"Die Kampagne für ein Verlassen der EU könnte sich tiefer in die Schicht traditioneller Labour-Wähler vorgearbeitet haben, als wir bisher angenommen haben", sagte Pawel Swidlicki, Analyst beim Think Tank Open Europe. Sollte sich dieses Ergebnis in anderen traditionellen Labour-Bezirken bestätigen, wäre das eine sehr schlechte Nachricht für die Befürworter einen Verbleib Großbritanniens in der EU, fügte er hinzu.

Pfund und britische Aktien stürzen ab

Angesichts des drohenden Ausstiegs Großbritanniens aus der EU fiel das Pfund auf den tiefsten Stand seit drei Jahrzehnten. Die britische Währung brach um mehr als neun Prozent auf 1,3466 Dollar ein. Auch der Euro gab deutlich nach. Auch die Kurse der britischen Banken brechen ein. An der Börse in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong, wo einige der Finanzwerte gehandelt werden, ging es prozentual zweistellig abwärts. HSBC-Aktien verloren bis zu 11,3 Prozent - das ist der heftigste Verlust seit sieben Jahren und damit den Zeiten der Finanzkrise. Die Papiere des Versicherers Prudential knickten um bis zu 11,1 Prozent ein und die Aktien des Finanzkonzerns Standard Chartered sogar um bis zu 12,5 Prozent.

Großbritannien wäre das erste Land, das die EU verlässt, und die Folgen wären nach Einschätzung der meisten internationalen Finanzinstitutionen dramatisch. Zu den ökonomischen und politischen Turbulenzen auf der Insel und darüber hinaus käme auf die gesamte EU eine schwere Bewährungsprobe zu. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte zwar erklärt, die EU sei beim Brexit "nicht in Lebensgefahr". Aber die Sorge vor einem Erstarken von Nationalisten und Rechtspopulisten ist in vielen EU-Hauptstädten groß.

Farage: "Ohne eine einzige Kugel"

Der Vorsitzende der europafeindlichen Ukip-Partei, Nigel Farage, sagte: "Wir werden das geschafft haben, ohne kämpfen zu müssen - ohne dass auch nur eine einzige Kugel abgefeuert werden musste." Zuvor erklärte er via Twitter, er wage nun, "von einem unabhängigen Vereinigten Königreich" zu träumen. Er hatte sich vehement für einen EU-Austritt ausgesprochen. Falls sich der Trend verfestigen sollte, sei dies ein Sieg "für die normalen Leute, für die vernünftigen Leute". Bei einer Wahlparty hatte er zuvor bereits erklärt, dass die Europäische Union zum Scheitern verurteilt sei. "Der euroskeptische Geist ist aus der Flasche".

Premierminister David Cameron dürfte bei einem Brexit-Votum unter massiven Druck seiner konservativen Partei geraten. Selbst im Falle eines EU-Verbleibs könnte es für ihn eng werden, da die Tories in der Frage der EU-Mitgliedschaft tief gespalten sind und ihrem Vorsitzenden eine Mitschuld für diesen parteiinternen Zwist geben. Einer der Gründe dafür ist, dass Cameron lange selbst als euroskeptisch galt und vor dem Referendum den Pro-EU-Kurs eingeschlagen hat. Nach einem Bericht des "Telegraph" forderten jedoch 80 konservative Abgeordnete - darunter alle Minister - von Cameron, unabhängig von dem Wahlausgang im Amt zu bleiben.

Das Votum hat Europa-Gegner und -Befürworter gleichermaßen mobilisiert: Mit knapp 72 Prozent lag die Wahlbeteiligung höher als etwa zur Parlamentswahl im vergangenen Jahr. Dabei waren nur 66,1 Prozent der registrierten Wähler in die Wahllokale gegangen. Allerdings kommt das EU-Referendum nicht an die Volksabstimmung der Schotten über ihre Unabhängigkeit 2014 heran: Damals hatten sich 84,6 Prozent beteiligt und mehrheitlich gegen den Abschied aus dem Vereinten Königreich gestimmt.

Orban verlangt "tiefgreifenden Wandel"

Die Außenminister der sechs Gründungsmitglieder der EU kommen an diesem Samstag in Berlin zusammen, um über die Folgen des Brexit-Referendums zu beraten. An dem Treffen in der Villa Borsig, dem Gästehaus des Auswärtigen Amts, nehmen nach Angaben aus diplomatischen Kreisen Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten teil. Gastgeber ist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. In den vergangenen Monaten hatte es bereits zwei ähnliche Treffen gegeben.

Ungarns Regierungschef Viktor Orban verlangte indes von der EU und ihren Gremien einen "tiefgreifenden Wandel im Selbstverständnis". Unabhängig davon, wie das Referendum in Großbritannien ausgehe, müsse Europa "seine Lehren ziehen aus der Kritik von Millionen Bürgern, die von vielen Mitgliedstaaten geteilt wird", sagte Orban der "Bild"-Zeitung.

Quelle: n-tv.de

Tags:


Newsticker