Jetzt hoffen Hunderttausende Polen auf den britischen Pass

  27 Juni 2016    Gelesen: 749
Jetzt hoffen Hunderttausende Polen auf den britischen Pass
Sie arbeiten als Handwerker, Kellner oder Erzieherin: In Großbritannien leben viele Arbeitsmigranten aus Polen.

Wegen des Brexit hoffen sie nun, einen britischen Pass zu bekommen. Dafür muss man jedoch mindestens fünf Jahre im Vereinigten Königreich leben.
Ein Viertel der Immigranten denkt über eine Rückkehr nach Polen nach. Doch darauf wäre das Land kaum vorbereitet.

Rafał und Dominik Makarevic müssen sich auch nach dem Brexit keine Sorgen machen. Der 40 Jahre alte Rafał und sein vier Jahre jüngerer Bruder sind bereits vor acht Jahren aus ihrer Heimat nahe der polnischen Kleinstadt Słupsk an der Ostsee nach England ausgewandert, wo sie als Handwerker arbeiten. Wer mindestens fünf Jahre in Land lebt, arbeitet und Steuern zahlt, kann den britischen Pass beantragen. Das kostet allerdings gut 1100 Pfund pro Person.

Das dürften Zehntausende Polen wohl tun: Sie waren der Statistikbehörde ONS zufolge im Sommer 2015 mit 853 000 Staatsbürgern die mit Abstand größte Gruppe unter den 2,1 Millionen EU-Bürgern im Vereinigten Königreich. Die Polen arbeiten als Handwerker und Kindermädchen, Kellner oder Krankenschwester. Seitdem sind weitere Polen nach Großbritannien ausgewandert. Mehr als die Hälfte der im Land lebenden Polen aber zog erst in den vergangenen fünf Jahren zu. Einer Umfrage des Warschauer Meinungsforschungsinstitutes IBRIS zufolge machen sich knapp drei Viertel der in Großbritannien lebenden Polen Sorgen, wie es für sie weitergeht.

Es sollen schon antipolnische Flugblätter kursieren
Knapp die Hälfte von ihnen wolle im Vereinigten Königreich bleiben. Internet-Gemeinschaften und Zeitungen von in Großbritannien lebenden Polen sind nach dem Brexit-Referendum voll von besorgten Stimmen, wie es weitergeht. Erst recht, nachdem Berichte über antipolnische Flugblätter ("Polnischer Pöbel - Geht nach Hause!") auftauchten, die nach dem Brexit-Referendum in von Polen bewohnten Vierteln im Städtchen Huntingdon verteilt wurden. "Ruhe bewahren!", fordert die Interessenvertretung British Poles. Sie habe von Dutzenden britischen Politikern und selbst von "Leave!"-Befürwortern Zusicherungen erhalten, dass im Land lebende Polen nichts zu befürchten hätten. "Es wird keinerlei Massendeportationen geben: Polen sind ein wichtiges Fundament der britischen Wirtschaft."

Das bestätigen die Zahlen britischer Statistiker: Danach zahlen die Polen und andere EU-Arbeiter jedes Jahr mehrere Milliarden Pfund mehr Steuern, als sie das Vereinigte Königreich kosten. Auch Studien der Bank von England oder der London School of Economics bestätigen den umfassenden Nutzen der Zuwanderer. Wer keinen Pass beantragen darf, kann immer noch ein Arbeitsvisum beantragen. Oder er hofft auf einen weiteren Zerfall des Vereinigten Königreiches: Schließlich, betonte Polens größte Tageszeitung Fakt, gebe es "in Schottland und Irland deutlich mehr EU-Anhänger. (. . .) Dort leben bereits rund 100 000 Polen." Würden Schotten und Nordiren für die Abspaltung von Großbritannien stimmen, "könnten die nächsten Polen aus England kommen". Oder sie könnten in andere EU-Länder umziehen.

Bei einer massenhaften Rückkehr hätte Polen ein Problem
Der Umfrage zufolge denkt ein Viertel der im Vereinigten Königreich lebenden Polen über die Rückkehr nach Polen nach. Offiziell freuen sich Vertreter der Regierung in Warschau über die Aussicht Hunderttausender in die Heimat zurückkehrender Polen. Würde es tatsächlich so kommen, hätte die Regierung aber ein Problem: Schließlich liegt die Arbeitslosigkeit in Polen bei mehr als neun Prozent, für junge Polen gar bei 25 Prozent, abseits der großen Städte oft noch höher.

Und diejenigen Polen, die nach Großbritannien ausgewandert sind, kommen nicht aus den wirtschaftlich gut dastehenden Großstädten Warschau, Danzig, Krakau oder Breslau, sondern überwiegend aus ärmeren Regionen. Im Falle einer massenhaften Rückkehr müsse die Regierung für die Heimkehrer Arbeitsplätze schaffen. "Wenn sie das nicht schafft, stürzt sie", orakelte bereits die regierungsnahe Zeitung Rzeczpospolita.

Quelle: sueddeutsche.de

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