Die subtilste Form der Kritik an Réthy und Co.

  27 Juni 2016    Gelesen: 608
Die subtilste Form der Kritik an Réthy und Co.
Bei jedem Fußballspiel rottet sich im Netz ein Mob zusammen. Dann wird der Mann oder die Frau am Mikrofon heftig kritisiert – selten niveauvoll. Dabei bieten ARD und ZDF einen charmanten Ausweg an.
Béla Réthy, Steffen Simon und Claudia Neumann haben keine Twitter-Accounts. Zumindest keine öffentlich zugänglichen. Auch auf Facebook sind sie nicht zu finden nicht – höchstens Gruppen wie "Béla Réthy gefällt mir nicht" (11.420 Likes).

Vielleicht ist es Zufall – wobei Twitter unter Journalisten zum guten Ton gehört. In jedem Fall ist es Selbstschutz.

Es vergeht kaum noch ein Fußballspiel im Fernsehen ohne Shitstorm in den sozialen Netzwerken. Auf genannter Réthy-Seite wurde nach dem Spiel der Deutschen gegen die Slowakei geschrieben: "Meine Nachbarn haben echt gedacht, ich besteige jeden Moment den Flieger, düse nach Lille und reiße diesem Schwachmaten die Kehle raus." Der Wutbürger hat die sozialen Medien längst für sich entdeckt – auch wenn er den Namen ad absurdum führt.

Dabei gibt es auch die Möglichkeit des stilleren Protests – den Ton ausschalten zum Beispiel, was die Anti-Réthy-Fraktion natürlich versichert, bereits nach wenigen Minuten getan zu haben. Was nicht jeder weiß: Umschalten kann auch helfen. Zum zweiten Mal bei einem großen Turnier bieten ARD und ZDF eine weitere Tonspur an, den Radiokommentar aus dem ARD-Hörfunk. Er ist bei den Spielen der Deutschen sowie vom EM-Viertelfinale an bei allen Partien verfügbar. Auch bei Italien gegen Spanien am Montagabend.

Viele Worte und hohes Tempo

Was Blinden und Sehbehinderten zugute kommen soll, ist bereits beim Public Viewing angekommen. In der ein oder anderen Kneipe war Réthy am Sonntag nicht zu hören. Stattdessen kommentierten Andre Siems (BR) und Guido Ringel (RBB) das Spiel der Deutschen. Mit vielen Worten und hohem Tempo jagten beide dem Geschehen auf dem Rasen nach, alle fünf Minuten wechselte das Mikrofon, um die Stimmen zu schonen und ein Glas Wasser zu trinken.

Wer eine blumige Reportage à la Günther Koch erwartet hatte, wurde jedoch enttäuscht. Siems und Ringel blieben auffällig nahe am Geschehen. Der "Teufelskerl" im Tor der Slowaken war beinahe das höchste der Gefühle.

Was keine Kritik sein soll. Doch was im Radio funktioniert, führt beim Fernsehzuschauer verständlicherweise zu Überfrachtung und Redundanz. Für den Wutfan birgt es allerdings jede Menge Vorteile: weniger Interpretation, weniger Meinung des Kommentators – stattdessen bleibt im Gedächtnis, wie risikoarm mancher DFB-Kicker spielt ("er passt nach hinten").

Festzuhalten bleibt: Wenn immer häufiger auf Radioton umgeschaltet wird, muss der Ärger auf die Fernsehkommentatoren groß sein – nicht nur bei den anonymen Krawallbürsten im Internet. Die können jedoch lernen, was subtile Kritik bedeutet. Und dass die in der Regel die bessere ist.

Quelle : welt.de

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