Der Angreifer, der bislang eine starke Europameisterschaft gespielt hatte, erlitt einen Muskelfaserriss, für ihn ist das Turnier vorbei. Für die deutsche Mannschaft ergibt sich damit nach dem im Elfmeterschießen gewonnen Spiel eine schwerwiegende Verlustbilanz – deren volles Ausmaß noch nicht abzusehen ist. Schließlich waren auch Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger untersucht worden – und auch bei ihnen ist noch nicht klar, ob und wann es für sie in diesem Turnier weitergeht.
Schweinsteiger erlitt eine Außenbandzerrung im rechten Knie, Khedira eine Adduktorenverletzung im linken Oberschenkels. Damit muss sich Löw gleich um beide Anwärter auf den Platz neben Toni Kroos in der Mittelfeldzentrale Sorgen machen. Gegen Italien musste Schweinsteiger schon nach einer knappen Viertelstunde für Khedira eingewechselt werden.
Die medizinische Abteilung, so hieß es von Seiten des Deutschen Fußball-Bundes, arbeite natürlich „unter Hochdruck an der Genesung“. Allerdings sei der Heilungsverlauf bei beiden „nicht exakt zu definieren“. Die Situation muss also von Tag zu Tag neu bewertet werden. Sicher ist: Viel Zeit bleibt nicht bis zum Halbfinale am Donnerstag in Marseille.
Und weil ja in jedem Fall auch noch Mats Hummels wegen seiner zweiten Gelben Karte fehlt, ist nicht auszuschließen, dass die Deutschen in personell zerrupfter Verfassung zu diesem Spiel antreten werden. „Es ist sehr bitter, wenn in der entscheidenden Phase des Turniers wichtige Spieler ausfallen“, sagte Löw. „Für uns heißt das, dass wir die neue Situation annehmen und Lösungen finden müssen. Und das werden wir. Die Qualität des Kaders ist hoch, ich habe volles Vertrauen in alle Spieler – wir werden am Donnerstag bereit sein und freuen uns auf das Halbfinale in Marseille.“
Das waren Worte, wie sie bei so einem Anlass nun einmal verbreitet werden. Tatsächlich hat der Bundestrainer es in solchen Fällen schon oft genug geschafft, aus der Not eine Tugend zu machen. Aber das ist doch eine Lage, die aller Voraussicht nach auch diese Mannschaft nicht ohne Qualitätsverlust meistern dürfte. Für Khedira und Schweinsteiger wären Emre Can oder Julian Weigl als Ersatz möglich, beide haben jedoch bei der EM bisher keine Rolle gespielt.
Dringender ist aber zunächst einmal die Frage, wie die Lücke gefüllt werden soll, die Gomez hinterlässt. Für ihn fand Löw auch ein paar persönliche Worte: „Besonders für ihn tut es mir leid“, so der Bundestrainer. „Er hat bei der EM starke Leistungen gezeigt und der Mannschaft nicht nur mit seinen Toren geholfen.“
Tatsächlich war Gomez so etwas wie die (Wieder-) Entdeckung dieser EM. Im Alter von 30 Jahren präsentierte er sich in jeder Hinsicht gereift und schien nach einer längeren Pause im Nationalteam wieder auf bestem Weg, zu einer unumstrittenen Kapazität im deutschen Angriff zu werden – vor allem, weil sein Körper, der ihm in vergangenen Jahren erheblichen Kummer bereitete hatte, endlich wieder voll und ganz mitzuspielen schien.
In Frankreich hat er neben den zwei Toren durch physische Präsenz und starken Einsatz überzeugt – aber auch, was viele ihm nicht unbedingt zugetraut hatten, mit spielerischem Feingefühl. Sein Zuspiel auf Hector ebnete am Samstagabend in Bordeaux den Weg zum 1:0 gegen Italien durch Mesut Özil. Wenig später fehlte nicht viel, und Gomez hätte selbst das 2:0 besorgt.
Statt der Rolle als Matchwinner, die ihm einen Platz in den Fußball-Geschichtsbüchern gesichert hätte bei diesem ersten Turnier-Sieg gegen Italien im neunten Versuch, wurde es eine bittere und schmerzliche für ihn. Der 10. Juli, an dem im Stade de France das EM-Finale gespielt wird, ist auch sein Geburtstag. Und bis zum Sonntag hatte es so ausgesehen, als würde Gomez im Fall der Fälle zu den sicheren Startern im deutschen Team gehören. Einen solchen Stürmertyp hat Löw nicht mehr in seinem Kader, so dass das bisher so erfolgreiche Revirement des Modells „echte Neun“ vor der finalen Turnierphase beendet ist.
Dass die Alternativen nun Mario Götze und Thomas Müller heißen, wirft nach den bisherigen Vorstellungen der beiden eher Fragen auf. Götze hatte sich in vorderster Linie zu oft als wirkungslos erwiesen, Müller ist noch ohne Treffer und auch sonst nicht in der Verfassung, in der man ihn in der Vergangenheit schon gesehen hat. Der Sieg gegen Italien – er war in jeder Hinsicht aufreibend. Die Hoffnung aber, dass es vor allem die Nerven gewesen sind, die gelitten haben, hat sich nicht erfüllt.
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