Inmitten der Brexit-Krise hat Martin Schulz ein wenig Zeit mitgebracht für die SPD in Nordrhein-Westfalen. Freitagnachmittag vergangener Woche, der Präsident des Europäischen Parlaments ist zu Gast in Duisburg, seine Partei hat zur Ruhrgebietskonferenz geladen.
Schulz umgarnt die eigenen Leute ("Duisburg ist eine schöne Stadt"), er lobt die Bildungslandschaft an Rhein und Ruhr ("kann unser Land stolz drauf sein"). Er spricht über den Brexit und wettert gegen die Marktideologen. Lang ist der Applaus. Die Genossen sind begeistert.
Schulz ist ein mitreißender Redner. Er kann Europa erklären, plastisch, konkret, historisch, humorvoll und nebenbei noch biografisch. Der gelernte Buchhändler aus dem deutsch-niederländischen Grenzgebiet beherrscht diverse Sprachen.
Europa war immer sein Ding. Die langen Linien, das große Format. Berliner Feste waren dagegen lange nicht Schulz` Sache. Landesvertretungen? Gern spottete der EU-Parlamentspräsident über die Belanglosigkeit landespolitischer Zuständigkeiten. Vor zwei Wochen indes zeigte sich Schulz beim Sommerfest Niedersachsens in Berlin.
Schulz gibt beim Brexit den Takt vor
Innerhalb der SPD wird aufmerksam – und teilweise skeptisch – beobachtet, wie ausgiebig sich Schulz inzwischen auf der nationalen Bühne tummelt. In der Union hingegen beäugt man sein Agieren auf europäischer Ebene – und zwar zusehends kritisch. Vor allem seit dem Brexit-Votum ist Schulz für die Union beinahe zu einer Persona non grata geworden.
Schon am Tag nach dem Referendum veröffentlichte Schulz gemeinsam mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel ein Zehn-Punkte-Papier zur Zukunft Europas; nichts Geringeres als "Europa neu gründen" wollte der überzeugte Europäer. Das empfand man in der Union als ungehörig, übereilt, ja unverschämt.
Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Briten und Europa zunächst Zeit geben wollte, drückten die SPD und Schulz aufs Tempo. Über die zukünftige Gestalt Europas sind Union und SPD seither in offenen Streit geraten. Dabei verschärft sich täglich die Tonalität. Der Wahlkampf wirft hier seine Schatten voraus.
Union wirft Schulz Populismus vor
Allerdings brechen auch alte Grundkonflikte auf, die innerhalb der großen Koalition nicht geklärt werden mussten und konnten. Die Frage etwa, ob Europa sparen oder investieren soll, ob Verschuldung oder Schuldenabbau der richtige Weg zur Konsolidierung ist. "Die SPD verfällt in das typisch sozialistische Muster: Wo Probleme auftreten, muss es mit dem Geld anderer Leute gelöst werden. Und es muss mehr Zentralisierung und mehr Staat geben", sagt Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
In der Union sprechen sich selbst stramme Europäer wie Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mittlerweile für eine Rückübertragung von Kompetenzen an die Nationalstaaten aus. Die Debatte hangelt sich aber längst nicht mehr nur an Themen entlang, sondern auch an Personen. Martin Schulz rückt dabei ins Zentrum. Mit ihm setzte sich nach Informationen der "Welt" am Montag auch das CDU-Präsidium auseinander.
Man warf Schulz Populismus vor, weil er, anders als Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, das Freihandelsabkommen Ceta nicht in der alleinigen Verantwortung der EU-Institutionen sieht. Tatsächlich wäre das nach einem juristischen Gutachten der Fall, worauf sogar die Kanzlerin hinwies. Schulz jedoch betonte, dass die nationalen Parlamente abstimmen müssten. So kommt es nun auch auf Beschluss der Kommission.
Der Wechsel nach seiner Amtszeit ist vereinbart
Nach seiner Einlassung zu Ceta forderte Schulz aber sogleich eine echte europäische Regierung. Kopfschütteln bei der Union. "Das passt alles nicht zusammen. Schulz dreht sich im Wind, wie es ihm gerade in den Kram passt, und offenbart damit nur, dass die SPD keine Position hat", sagt ein Mitglied des CDU-Präsidiums.
"Die SPD fordert all das, was die Leute an Europa ärgert", sagt Generalsekretär Peter Tauber. Im Präsidium war so schnell klar, dass Schulz weder von dieser Seite noch von der CDU-Vorsitzenden eine Unterstützung seines Anliegens erwarten könne, noch einmal Präsident des EU-Parlaments werden zu können.
"Es gibt eine Absprache, dass es zum Wechsel nach seiner Amtszeit kommt. Und da Herr Schulz ja ein Ehrenmann ist, gehe ich davon aus, dass er sich an seine selbst getätigten Zusagen hält", sagte CDU-Vize Julia Klöckner der "Welt". Das sieht auch die CSU so, die ab Januar ein Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) gewählt sehen will.
"Die Fraktionen von EVP und Sozialisten haben zu Beginn der Wahlperiode eine unmissverständliche Vereinbarung getroffen. Diese Vereinbarung gilt", sagt Hasselfeldt. Die zweite Hälfte der Wahlperiode müsse ein Vertreter der EVP an der Spitze des Europaparlaments stehen. "Zu glaubwürdiger Politik gehört, dass man sich an das hält, was vereinbart ist."
Aber der Präsident wird in Brüssel gewählt
Die Wahl des Präsidenten liegt freilich nicht in der Verantwortung der nationalen Ebene, sondern nur des EU-Parlaments. Doch Rückendeckung der deutschen Regierung ist nicht unbedeutend; der Liebesentzug lässt Schulz` Chancen schwinden.
Die EVP könne Schulz keine zweite Amtszeit organisieren, heißt es unter konservativen Abgeordneten in Berlin wie in Brüssel. In Wahrheit würde es sich damit um eine dritte Amtszeit handeln, "siebeneinhalb Jahre wären dann doch etwas viel".
Traditionell teilen sich Christ- und Sozialdemokraten die Präsidentschaft auf. Schulz bekleidet die erste Amtszeit der derzeitigen Legislaturperiode und hatte in der vorherigen den zweiten Part, ist deshalb seit Januar 2012 im Amt. Auf einen französischen oder italienischen Christdemokraten als Nachfolger wird in der EVP getippt. Ein Deutscher dürfte es kaum werden, da mit Manfred Weber (CSU) der Fraktionschef der EVP Deutscher ist.
Spekuliert Schulz auf die Kanzler-Kandidatur?
Schulz seinerseits will das Amt gerne behalten und tut viel dafür, andere davon zu überzeugen, wie unabkömmlich er ist. Im Umfeld von Schulz wird argumentiert, der 60-Jährige halte die große Koalition im Europaparlament zusammen und er sichere somit die Mehrheiten für den konservativen Kommissionspräsidenten – und Freund – Jean-Claude Juncker.
Gerade jetzt nach dem Brexit könne es doch nicht sein, dass alle drei Spitzen der EU "schwarz" besetzt seien, heißt es mit Blick auf Juncker, den Ratspräsidenten Donald Tusk und einen möglichen Nachfolger von Schulz. Eine solche Konstellation spiegle nicht die politischen Gewichte in der EU wider.
Glaubt Schulz selbst schon nicht mehr an eine weitere Amtszeit? Taucht er deshalb plötzlich immer häufiger in Berlin auf? Da sich niemand den selbst- und machtbewussten Sozialdemokraten als Hinterbänkler im EU-Parlament vorstellen kann, wird längst über dessen Wechsel nach Berlin spekuliert.
Schulz gilt als möglicher SPD-Kanzlerkandidat; auf diese Funktion aber hat Parteichef Gabriel den ersten Zugriff. In dessen Umfeld sind neuerdings spitze Bemerkungen über Schulz zu vernehmen.
Quelle: n24.de
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