Im „etat de grâce“, im Gnadenstand, wähnt die Tageszeitung „Libération“ am Freitag das Land. „Le Monde“ fordert kurz vor dem Finale „das Recht zu träumen“ („le droit de rêver“). „L’Equipe“ spricht auf der Titelseite gar von Ekstase. Tatsächlich haben die Medien lange nicht mehr so viel gejubelt. Von einer „blauen Welle“ sprechen die Nachrichtensender und meinen damit die überschwappende Begeisterung für die Männer im blauen Trikot, kurz „Les Bleus“.
Selbst der sonst so gefasste Präsident verlor beim zweiten Treffer des neuen Nationalhelden Antoine Griezmann (kurz: Grizou) die Contenance. Er freute sich so sehr, dass er dem Vorsitzenden des Französischen Fußballverbandes, Noël Le Graët, mit beiden Händen heftig auf die Schulter klatschte, was dieser mit sichtlichem Erstaunen über sich ergehen ließ. In die Freude Hollandes mischt sich auch Erleichterung darüber, dass die Europameisterschaft trotz Terrordrohungen, Hooliganismus und sozialer Unrast doch zu einem Fest des Fußballs geworden ist. Insgesamt 88000 Polizisten, Gendarmen und Soldaten hat die Regierung während der EM mobilisiert, eine Anstrengung, aus der Hollande inzwischen sogar ein Wahlkampfargument macht.
Während die Opposition kritisiert, dass die Zahl der Staatsbediensteten 2017 um 14000 Planstellen ansteigt, verteidigt Hollande diesen Personalzuwachs. Zur Sicherheit der Franzosen seien diese Stellen unverzichtbar, sagte der Präsident. Insgesamt sind seit 2012 etwa 30000 neue Stellen im Staatsdienst entstanden. Geplante Kürzungen bei den Streitkräften wurden nach den Terroranschlägen im Jahr 2015 zurückgenommen. Die Europameisterschaft dient aus Sicht der Regierung als Beweis dafür, dass sich die Ausgaben für die Sicherheit lohnen. Die Regierung stand vor Anpfiff der EM stark unter Druck, auf die Fanmeilen aus Sorge vor Attentaten zu verzichten.
Auch zur die Sicherheit der Stadien gab es pessimistische Prognosen. Dabei war es den Terroristen am 13. November 2015 – als Frankreich auch mit 2:0 gegen Deutschland gewann – nicht gelungen, in das Stade de France einzudringen. Aber die Terrorgefahr lastete auf dem Gastgeberland. „Wir wollen zeigen, dass wir weiterhin in der Lage sind, ein sportliches Großereignis auszurichten“, sagte Premierminister Valls. Es gehe auch ein wenig um die Ehre der von den Terroristen bedrohten Nation.
Mit ihrem Sieg gegen „La Mannschaft“, wie es auf Französisch heißt, haben die französischen Kicker alle Präsidentenanwärter auf ihrer Seite. Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei twitterte unter dem Foto einer säuerlich blickenden Angela Merkel: „Die Moral des Spiels: ein unbesiegbarer Gegner existiert nicht für diejenigen, die siegen wollen.“ So versteht er auch seine Rolle als unermüdlicher Querulant, der seine Landsleute gegen das vorgeblich unter deutscher Vorherrschaft stehende Europa aufmischt. Der frühere Präsident Nicolas Sarkozy, der von der Rückkehr in den Elysée-Palast träumt, sprach von seinem „Stolz“ auf die Nationalelf: „Bravo und merci!“.
Im Angesicht des Sieges ist die Debatte darüber verstummt, ob sich alle Franzosen mit der Nationalmannschaft identifizieren können. Angestoßen hatte die Diskussion der Torjäger Karim Benzema, der wegen einer Erpressungsaffäre nicht aufgestellt wurde. Er hatte Nationaltrainer Didier Deschamps vorgeworfen, „dem rassistischen Teil Frankreichs nachgegeben“ zu haben. Benzema, dessen Familie aus Algerien stammt, bemängelte, dass kein Spieler maghrebinischer Herkunft aufgestellt wurde. Jetzt schickte er seinen Mannschaftskameraden Glückwünsche und lobte auch den Trainer.
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