“Wir laufen Gefahr, in eine Eskalationsspirale zu geraten“

  11 Juli 2016    Gelesen: 874
“Wir laufen Gefahr, in eine Eskalationsspirale zu geraten“
Gerade hat Russland Gesetze zur Massenüberwachung verschärft. Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla hofft dennoch, dass der von ihm geführte Petersburger Dialog etwas bewirken kann.

Der Nato-Gipfel hat gerade eine Truppenaufstockung in Osteuropa beschlossen. Die Bundesregierung schreibt in ihrem neuen Weißbuch, Russland stelle "auf absehbare Zeit eine Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent dar". Belastet das Ihre Gespräche?

Ronald Pofalla: Die Situation ist nicht einfach, keine Frage. Die Nato reagiert auf Russland. Hierauf wird Putin wieder reagieren. Wir laufen also Gefahr, in eine Eskalationsspirale zu geraten. Ich bin mit der Bundesregierung einig, dass der Petersburger Dialog zwischen den Zivilgesellschaften gerade in dieser Lage ein wichtiger Gesprächskanal ist, der derzeit der einzige offizielle Dialogkanal ist.

Wohin soll der Dialog führen? Oder führen Sie ihn um des Dialogs willen?

Pofalla: Er soll nach meiner Intention bewirken, dass die russische Seite auf unsere Kritikpunkte tatsächlich eingeht. Ein praktisches Beispiel: Die Lage der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Russland ist noch immer nicht akzeptabel, Bürgerrechtler werden als feindliche Agenten gebrandmarkt. Deshalb haben wir mit der russischen Seite darüber gesprochen, wie die russische Zivilgesellschaft stärker in die Gespräche integriert werden kann.

Jetzt hat die russische Seite zum ersten Mal einem prominenten Bürgerrechtler mit ökologischer Ausrichtung einen zentralen Platz im Dialog zugestanden. Außerdem werden wir mit der russischen Seite das Haus der NGOs in St. Petersburg gemeinsam besuchen und mit den Bürgerrechtlern offen über ihre Lage reden. Das hat es noch nie gegeben.

Nach Putins Methode werden NGOs einerseits eingebunden, dann wieder Repressalien ausgesetzt, manchmal beides gleichzeitig. Wird Ihnen da nicht Fortschritt nur vorgegaukelt?

Pofalla: Ich halte das für ein ernst zu nehmendes Signal. Wir haben ja auch weitere Erfahrungen gemacht. So haben wir mit der russischen Seite des Petersburger Dialogs Ende April in München getagt und Übergriffe auf eine russische NGO gemeinsam öffentlich verurteilt. Auch das hat es noch nie gegeben in der Geschichte des PD.

Hoffen Sie, dass die Anti-NGO-Gesetzgebung zurückgenommen wird?

Pofalla: Ich sehe zumindest erste Zeichen der Öffnung. Wir befinden uns da sicher noch auf einem langen Weg. Nach wie vor gibt es Repressalien gegen NGOs. Die müssen wir ausdauernd benennen, und wenn mir konkrete Vorkommnisse geschildert werden, dann spreche ich die auch gegenüber Ministern offen an.

Wie viel Konfrontation muten Sie den Russen zu?

Pofalla: Ich lege mir keine Grenzen auf. Aber Konfrontation um ihrer selbst willen bringt niemanden weiter. Das lehne ich auch ab. Klares Ansprechen von Positionen aber, das Benennen von Gefahren sind Hauptbestandteile eines konstruktiven Dialogs. Russland ist durchaus überrascht, wie entschieden der Westen auf die Krim-Annexion und den Krieg in der Ostukraine reagiert hat.

Sie bringen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und Russlands hybride Kriegsführung in der Ostukraine in St. Petersburg zur Sprache?

Pofalla: Ganz klar: ja. Mir geht es aber nicht um Anklagen, sondern um Lösungen. Meine Intention ist, deutlich zu machen, dass wir ja eigentlich gar nicht viel erwarten. Wir erwarten von Russland, dass das Schießen in der Ostukraine endlich aufhört. Dass die prorussischen Separatisten an die Leine genommen werden. Wenn die Waffen in der Ostukraine für einige Monate schwiegen, wären wir im Minsk-II-Prozess schon substanziell weiter. In der Ostukraine wird fast täglich geschossen, es sterben Menschen. Die Menschen wollen, dass die Waffen schweigen. Was immer strategisch dahinterstecken mag: Russland hat den Einfluss, eine Waffenruhe herbeizuführen. Wir hoffen, dass Russland diesen Einfluss ausübt.

Sind Ihre Bewertungen der russischen Politik Konsens unter den deutschen Teilnehmern des PD?

Pofalla: Wir haben unter meiner Führung mehrere Reformschritte in einem Jahr gemacht. Wir haben die Zahl der Mitglieder von 25 auf 61 erhöht, vor allem durch Aufnahme von weiteren NGOs. Die Pluralität hat also extrem zugenommen. Meine Aufgabe ist es nicht, diese Meinungen zu vereinheitlichen. Ich will ja der russischen Seite gerade deutlich machen, dass in der Meinungspluralität Vorteile liegen. Die deutsche Seite möchte ich davor schützen, immerzu zwischen Russland-Verstehern und -Kritikern zu unterscheiden und die jeweils andere Seite zu verdächtigen. Richtig wäre, offen darüber zu diskutieren, welcher Weg des Umgangs mit Russland der richtige ist.

Sie haben den Einfluss des Putin-freundlichen Deutsch-Russischen Forums (DRF) auf den PD durch Aufnahme kritischerer Köpfe in den Vorstand eingedämmt. Ursprünglich aber sollte die Verbindung mit dem DRF doch ganz gekappt werden?

Pofalla: Mir geht es wirklich um ein breites Meinungsspektrum im Verhältnis zu Russland. Das DRF vertritt mit Matthias Platzeck (SPD) an der Spitze eine Russlandposition, die nicht von allen im PD geteilt wird. Umgekehrt wird die vom PD unter meinem Vorsitz vertretene Russland-Position im DRF nicht von allen dort geteilt. Platzeck hat aber von sieben Stimmen im Vorstand des PD nur eine – wie ich übrigens auch. Die Reformen beim PD sind umfassend, da stehen aus meiner Sicht derzeit keine weiteren Schritte an. Nach dem Treffen in St. Petersburg kann man in Ruhe überlegen, was noch verbessert werden kann.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat abgelehnt, in St. Petersburg zur Eröffnung neben Duma-Präsident Sergej Naryschkin zu reden. Nun treten Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und ein Gouverneur auf …

Pofalla: Es kommt dem jeweiligen Gastgeber des Dialogs zu, den Hauptredner zu benennen. Die russische Seite des PD hatte zunächst den Duma-Präsidenten vorgeschlagen. Also haben wir den Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, angefragt. Der wollte auch kommen, musste aber aus Termingründen absagen. Daraufhin ging ich auf Norbert Lammert zu. Er stand aber nicht zur Verfügung. Ich bin sehr dankbar, dass nun der Erste Bürgermeister aus Hamburg, Olaf Scholz, kommt. Hamburg hat seit fast 60 Jahren eine Städtepartnerschaft mit St. Petersburg.

Naryschkin steht auf der EU-Sanktionsliste. Trotzdem sind Sie in Verbindung mit ihm?

Pofalla: Sicher. Ich bin kein Politiker mehr, ich muss weniger Rücksichten nehmen und lege Wert darauf, mich möglichst breit mit der russischen Seite auszutauschen.

Müsste man den PD nicht durch osteuropäische Teilnehmer erweitern? Ein deutsch-russischer Sonderdialog nährt doch den Argwohn, es bilde sich eine Achse an Osteuropa vorbei.

Pofalla: Ich gebe Ihnen recht, aber nur grundsätzlich. Wenn sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland normalisiert haben, erscheint mir eine europäische Öffnung erstrebenswert. Jetzt ist es aber zu früh, hierüber nachzudenken, dazu gibt es momentan zu viele Schwierigkeiten, die Deutschland und Russland lösen müssen.



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