Wie sich die Rigaer Straße der Realität verweigert

  13 Juli 2016    Gelesen: 680
Wie sich die Rigaer Straße der Realität verweigert
Nach der Eskalation an dem Berliner Wohnprojekt melden sich Anwohner-Aktivisten zu Wort. Doch Gewalt gegen Polizisten ist für sie kein Thema. Auch die Bezirksbürgermeisterin will davon nichts wissen.
An den Spielregeln ihrer "Presseveranstaltung" ließen die Anwohner der Rigaer Straße von Anfang an keine Zweifel. "Wir werden jetzt eine vorformulierte Erklärung vorlesen. Fragen werden wir danach nicht beantworten", kündigte Andreas Döhler an, der mit zwei weiteren Anwohner-Aktivisten auf Limonadenkisten vor der Rigaer Straße 94 Platz genommen hatte.

Dann legte er los. Die polizeiliche Dauerpräsenz sei unverhältnismäßig, die Gesprächsverweigerung von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) fahrlässig. Als "Statisten im Sommerloch" sähen sich die Anwohner. "Wir wünschen uns Deeskalation", liest er gleich zu Beginn vor und fordert Henkel auf: "Reden Sie mit uns! Wir drängen auf einen gemeinsamen Dialog mit allen Beteiligten." Ohne Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen, Vorbedingungen.

So einfach kann man sich die Welt machen. Seit einer Teilräumung vor drei Wochen kocht der Streit über das alternative Wohnprojekt in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain. Vollends eskaliert war die Lage bei einer Demonstration von Sympathisanten des Wohnprojekts am vergangenen Samstag. Die Bilanz: 123 verletzte Polizisten, 86 Festnahmen, mehr als 100 Strafverfahren. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte sich daraufhin der Linie seines Innensenators an- und Gespräche zur Lösung der Situation ausgeschlossen.

"Wir lassen uns Gespräche nicht verbieten"

Doch von den verletzten Beamten fehlt in der zwei DIN-A4-Seiten starken Erklärung der Anwohner jedes Wort. Ebenso bleibt unerwähnt, dass in diesem Jahr immer wieder Polizisten von den Dächern der Straße mit Steinen oder Platten beworfen wurden und dass Nacht für Nacht Autos im Namen der Rigaer Straße angezündet werden.

Ganz zu schweigen davon, dass Sympathisanten von #R94 zehn Millionen Euro Schaden für jede weitere Polizeiaktion ankündigten und in einem Beitrag im linksautonomen Internetforum Indymedia Dinge schreiben wie: "Es soll angeblich 123 verletzte Schweine geben. Wir hoffen das stimmt, wenn wir das auch stark bezweifeln. Mögen es beim nächsten Mal 234 verletzte Schweine sein!"

Das muss doch zumindest Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) zu denken geben. "Ich kenne solche Leute nicht", sagt sie abwehrend. "Die Anwohner und ich haben das gleich Interesse – Ruhe. Wir lassen uns Gespräche nicht verbieten." Gespräche auch mit Leuten, die im selben Text auf Indymedia in Anspielung auf die Polizistenmorde in den USA Folgendes schreiben? "Wir haben uns wirklich Heckenschützen auf den Dächern gewünscht, welche uns vor dem Gewaltausbruch der Schweine hätten retten können." – "Es gibt nicht die Leute`", will Herrmann differenzieren. Man müsse "sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Bewohner hier eine homogene Gruppe sind. Es ist sogar eine sehr heterogene."

Weder Rückfragen und noch tendenziöse Berichterstattung

Von Michael Müller sei sie "irritiert" und fände sein Verhalten "unsouverän". Und Henkel betreibe ohnehin nur Wahlkampf. "Warum hat er vier Jahre gebraucht, um dieses Sonderkommando einzurichten?", fragt Herrmann. "Er spricht immer von harter Linie, aber hat keinen Plan. Wenn er den Rechtsstaat anwenden will, soll er mit Beweisen, Verhaftungen und der Staatsanwaltschaft kommen." Seine derzeitige Taktik führe aber nur zu einer Eskalationsspirale.

Auf die Frage, wie mit den gewaltbereiten Autonomen umzugehen ist, gibt es also auch von der Bezirksbürgermeisterin keine Antwort. Es hat den Anschein, als ob Anwohner wie Bezirkspolitik die Augen vor der Realität verschließen. Und so geht die Presseveranstaltung der Anwohner zu Ende, ohne dass einmal von dieser Gewalt gesprochen wird.

Aber da Döhler nicht nur mit der Politik, sondern auch mit der Berichterstattung über seinen Kiez unzufrieden ist, gab es am Schluss auch gleich noch eine Aufforderung an die Medienvertreter, "wo Sie doch schon mal da sind". Tendenziöse Berichterstattung sei in Zukunft doch bitte zu unterlassen. Stattdessen sollten die Journalisten doch lieber recherchieren und die Polizeipräsenz infrage stellen. Keine Rückfragen bitte.

Quelle : welt.de

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