Der Drahtzieher ist nicht der Kopf

  19 Juli 2016    Gelesen: 666
Der Drahtzieher ist nicht der Kopf
Als Chef der Putschisten in der Türkei gilt Ex-Luftwaffenchef Öztürk. Regierung und staatsnahe Medien stellen ihn als Rädelsführer des versuchten Staatsstreichs dar. Die Rolle des großen Feindbilds ist jedoch einem anderen vorbehalten.
Zwei Dinge waren ungewöhnlich am Putschversuch in der Türkei. Anders als die vier bisherigen Machtübernahmen des türkischen Militärs wurde dieser Staatsstreich ganz offensichtlich dilettantisch geplant und ausgeführt. Und die Putschisten scheuten sich, ihre Gesichter zu zeigen.

Die Erklärung des "Friedensrats", mit der die Putschisten an die Öffentlichkeit gingen, wurde am Freitagabend nicht von einem General verlesen, sondern von einer Moderatorin des Staatssenders TRT, die, wie sie später sagte, mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen wurde. Wenige Stunden später, um 2.30 Uhr am Samstagmorgen, erklärte der türkische Geheimdienst MIT, hinter dem Putsch stünden "Gülenisten", also Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, mit dem Präsident Recep Tayyip Erdogan einst verbündet war, den er jetzt jedoch als Staatsfeind Nummer eins ansieht. Am Abend schließlich wurde die Festnahme des früheren Luftwaffengenerals Akin Öztürk verkündet.

Bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Jahr war Öztürk der Chef der türkischen Luftwaffe. Als solcher war er Mitglied des Hohen Militärischen Rates (YAS). Bei der nächsten Sitzung des Gremiums im August hätte Öztürk vollständig in den Ruhestand gehen sollen.

Die staatsnahen Medien bezeichneten Öztürk zunächst als einen – nicht "den" – Drahtzieher des Putsches. Am Montag hieß es dann aus Regierungskreisen in Ankara, der 64-Jährige sei "der formale Anführer der Junta" gewesen. Bereits am Sonntag hatte die AKP-freundliche Zeitung "Sabah" in ihrer englischsprachigen Online-Ausgabe Öztürk als "mastermind", als Rädelsführer des Anschlags bezeichnet. Dazu veröffentlichte sie zwei Fotos von ihm. Eines zeigt den Vier-Sterne-General in Uniform mit Pilotenbrille, das andere ungekämmt im schmutzigen T-Shirt nach seiner Festnahme. Insgesamt wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu 103 Generäle und Admiräle inhaftiert.

Angeblich hatte Öztürk Kontakt zu "Gülenisten"

Trotz der vielen Festnahmen bemüht sich die türkische Regierung, die türkische Armee insgesamt als loyal darzustellen. Der Putsch sei nicht von den Streitkräften durchgeführt worden, sondern von einer "Terrorgruppe", sagte Ministerpräsident Binali Yildirim am Montag. Er bat die Türken, die Armee nicht mit den "Monstern" gleichzusetzen. Die "Verräter" repräsentierten nicht das Militär.

Ähnlich berichten auch die staatsnahen Medien in der Türkei. Am Freitag habe "eine kleine Militärjunta mit Verbindungen zur gülenistischen Terrororganisation" versucht, die Macht zu übernehmen, fasst etwa "Sabah" die Ereignisse zusammen. Nicht Öztürk, sondern Gülen wird als Kopf des Putsches dargestellt.

Ausführlich beschreibt "Sabah" an anderer Stelle, wie die Putschisten so gut wie alle Luftwaffengeneräle festsetzten. Am Abend des versuchten Staatsstreichs sei fast die gesamte Führung der Luftwaffe in Istanbul bei einer Hochzeitsfeier versammelt gewesen sei. Zu dieser Feier hätten die Putschisten mehrere Hubschrauber geschickt, um die Offiziere festzunehmen, darunter Öztürks Nachfolger als Luftwaffenchef, General Abidin Ünal. Wie Militärstabschef Hulusi Akar wurde er von den Putschisten als Geisel genommen.

Öztürk sei bei der Hochzeitsfeier "verdächtigerweise abwesend" gewesen, obwohl auch er eingeladen gewesen sei. Im selben Artikel wird darauf hingewiesen, dass mehrere Offiziere den Generalstab gewarnt hätten, dass Öztürk Verbindungen zu Gülenisten habe und möglicherweise einen Putsch plane. Ein früherer Offizier sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Verschwörer hätten ihren Plan umgesetzt, ohne vollständig vorbereitet zu sein, weil sie gemerkt hätten, dass sie überwacht wurden.

Nichts soll vom Feindbild ablenken

"Sabah" zufolge hatten die Putschisten geplant, dass Öztürk die Macht übernimmt. Daraus wurde bekanntlich nichts. Am Sonntagnachmittag wurde er zum Verhör in eine für Terrorbekämpfung zuständige Polizeistation in Ankara gebracht. Auf einem Video von Anadolu ist zu sehen, dass Öztürk einen Verband am Ohr und eine Schramme auf der Nase hat. In dem Film werden auch mehrere andere Offiziere vorgeführt, denen eine Beteiligung an dem Putschversuch vorgeworfen wird. Sie alle müssen ihren Namen und ihren militärischen Rang sagen. Allen sind die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gebunden.

Dem türkischen Innenministerium zufolge sind bislang 8777 Amtsträger von ihren Posten suspendiert worden, darunter 30 der insgesamt 81 Provinz-Gouverneure. Mehr als 6000 Personen, darunter auch Militärs und Richter, wurden festgenommen. In dem entsprechenden Bericht von Anadolu wird Öztürk gar nicht erwähnt. Hintergrund des Putsches ist lediglich der "Parallelstaat", der von Gülen und seinen Anhängern aufgebaut worden sei. Von diesem Feindbild soll offenbar so wenig wie möglich ablenken.

Quelle: n-tv.de

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