Jetzt bloß nicht panisch werden

  26 Juli 2016    Gelesen: 460
Jetzt bloß nicht panisch werden
Am Tag nach dem ersten islamistischen Selbstmordanschlag in Deutschland hält das Städtchen Ansbach an seiner Ruhe fest – und an seinen Integrationsprojekten.
Vorn an der Bühne bekommen sie nichts mit vom Knall. Der Liedermacher Gregor Meyle hat gerade seinen Auftritt beim "Ansbach Open"-Konzert am Sonntagabend, seine Stimme dröhnt laut aus den Boxen. Aber weiter hinten, Richtung Eingang, da hört Ute Schliecker den Knall laut und deutlich Sie hat sich hingesetzt in einem kleinen, abgetrennten Bereich, sie war viel unterwegs, der Tag war lang für die Kulturreferentin der mittelfränkischen Stadt Ansbach. Und er soll noch länger werden.

Eine Gasleitung könnte explodiert sein, funken Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes. Aber Schlieker schaut selber nach, schiebt sich an Besuchern vorbei zum Eingang. Dort liegt ein lebloser Körper, jemand hat eine Decke darauf ausgebreitet. Die Referentin ist eine der ersten Zeugen des Anschlags.

Am Tag danach dringen stückweise neue Informationen über das ans Licht, was am Sonntagabend gegen 22.15 Uhr in der Ansbacher Altstadt geschah. Ein 27-jähriger Syrer hatte sich mit einem Rucksack vor dem Einlass des Musikfestivals in die Luft gesprengt, die Bombe war mit scharfkantigen Splittern gespickt. Der Täter stirbt, 15 weitere Besucher werden verletzt, vier von ihnen schwer.

Am frühen Nachmittag gehen die Ermittler noch von einem Selbstmörder aus, dessen Asylantrag im vergangenen Jahr abgelehnt worden war und der Mitte des Monats mal wieder aufgefordert wurde, Deutschland zu verlassen. Neue Informationen berichten von einem Video mit einer Todesdrohung und einem Bekenntnis zum IS. Die Bombentat wäre damit der erste islamistische Selbstmordanschlag in Deutschland.

Walter Dommel hörte erst den Knall, dann das Klingeln an der Tür. Kurz darauf hatten Feuerwehrleute den 58-Jährigen auch schon aus seiner Wohnung am Schlossplatz bugsiert. Zum Schuhe anziehen war keine Zeit. Jetzt, am Dienstagmittag, sitzt Dommel in grauen Socken und Hausschuhen in einem nahegelegenen Café bei Weißbier und Schnupftabak. "So ein Aufgebot habe ich im Leben noch nie gesehen", sagt er.

|Spurensicherung am Tatort

Er sah zerstörte Sitzbänke und Scherben auf dem Platz vor seinem Haus. Ein Splitterstück hatte das Auge seines Mitbewohners getroffen. Dann bugsierte ihn die Feuerwehr raus aus der Gefahrenzone. Die Nacht hat Dommel wie die meisten Anwohner in einem Gebäude der Kirche verbracht, geschlafen hat er kaum. Jetzt will er nur noch zurück in seine Wohnung.

Aber die ist abgeriegelt, wie auch die Häuser daneben. Blickdichte Bauzäune stehen davor. Dahinter arbeiten Beamte der Spurensicherung. Das eigentliche Veranstaltungsareal an der Reitbahn, auf das nach aktuellen Informationen am Sonntagabend 2.000 Menschen gekommen waren, ist wieder geöffnet, Arbeiter bauen dort die Bühne ab.

Wäre der Attentäter in den Hof und in die Mitte der Menschenmenge gelangt, hätte der Anschlag noch mehr Opfer fordern können. Es ist ein enger, gedrungener Platz zwischen Häuserwänden, der an der Stirnseite eines pittoresken Stadtschlösschens mündet. Kein Ort, von dem man leicht entkommt. Aber einer, an dem leicht eine Panik ausbrechen kann.

Dass es keine Panik gab in Ansbach und dass es auch jetzt ruhig ist: Das ist das wichtigste hier. Oberbürgermeisterin Carda Seidel lobt auf einer Pressekonferenz im Rathaus das umsichtige Vorgehen aller Beteiligten. So sei das Konzert schnell aufgelöst worden. "Es lief alles sehr rasch und geordnet", sagt sie. Nach dem Amoklauf in München nur zwei Tage zuvor hatte die Stadt noch die Sicherheitsmaßnahmen ausgeweitet – jede Tasche sei kontrolliert worden. Der Täter allerdings kam gar nicht erst an diesen Kontrollpunkt, weil er keine Eintrittskarte hatte.


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