Flüchtlingspolitik: Australien ist auch keine Lösung

  05 Auqust 2016    Gelesen: 414
Flüchtlingspolitik: Australien ist auch keine Lösung
Österreich drängt darauf, die australische Flüchtlingspolitik zu kopieren - doch die radikale Behandlung von Schutzbedürftigen kann kein Modell für Europa sein.
Auch wenn weniger Neuankömmlinge nach Europa gelangen, ist die Flüchtlingsfrage nicht gelöst. Die Zukunft des EU-Türkei-Abkommens ist offen, nachdem Ankara damit drohte, den Flüchtlingspakt platzen zu lassen. Und während die Balkanländer ihre Grenzen geschlossen halten, kommen weiter Zehntausende Migranten über die sogenannte Mittelmeerroute in die EU.

Alle Beteiligten wissen: Die Situation kann sich jederzeit wieder zuspitzen. Sei es durch neue Krisenherde im Ausland, ein Zerwürfnis mit der Türkei oder eine humanitäre Notlage in den riesigen Flüchtlingscamps um Syrien.

In diese sensible Gemengelage platzt ein Vorschlag aus Österreich, die EU müsse ihre Asylpolitik grundsätzlich neu überdenken - und sich dabei stärker an Australien orientieren. Dort ist die Zahl der Bootsflüchtlinge in den vergangenen Jahren praktisch auf null zurückgegangen.

Warum ist das so, wie geht der Kontinent mit Flüchtlingen um? Welche Probleme gibt es? Der Überblick.

Was schlägt Österreich vor?

Außenminister Sebastian Kurz drängt auf eine Alternative zum Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei. "Wir können uns nicht zurücklehnen und darauf hoffen, dass der Deal mit der Türkei hält", sagte Kurz SPIEGEL ONLINE. Die EU brauche dafür zunächst "eine wirkliche Grenz- und Küstenwache", ergänzte der Politiker der konservativen ÖVP.

Wer an den Außengrenzen aufgegriffen werde, müsse auf Inseln versorgt und in sein Herkunftsland oder ein sicheres Transitland gebracht werden, so wie Australien dies praktiziere. Gleichzeitig sollte nach Ansicht von Kurz durch Umsiedlungsprogramme ermöglicht werden, dass eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen legal in die EU einreisen darf.

Österreich ist eines der EU-Länder, das vehement eine härtere Flüchtlings- und Einwanderungspolitik fordert. Im Frühjahr kündigte Österreich eine strikte Obergrenze für Flüchtlinge an, die später für verfassungswidrig erklärt wurde.

Wie sieht das australische Modell aus?

Australien verweigert allen Menschen Asyl, die nicht bereits aus dem Ausland einen Antrag stellen. Das Land setzt auf drei Komponenten: Abschreckung, Abschottung, Auffanglager. Zwar hat Canberra die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, doch die Asylpolitik des Kontinents steht regelmäßig international in der Kritik.

Militärschiffe der australischen Marine patrouillieren in den Gewässern zwischen Indonesien, Papua-Neuguinea und Australien. Ihre Aufgabe: Sämtliche Boote mit Flüchtlingen zu stoppen und zurückzuschicken. Sollten die Schiffe nicht mehr seetauglich sein, werden die Insassen in Rettungsboote gesetzt und zurückgeschickt.

Die wenigen Flüchtlinge, die Australiens Marine nicht sofort zurückschickt, schaffen es ebenfalls nicht aufs Festland. Selbst wenn sie als Asylberechtigte anerkannt werden sollten, haben sie keine Chance, ein neues Leben in Australien zu beginnen.

Die Einwanderer werden stattdessen in Flüchtlingslagern auf dem Inselstaat Nauru und auf Manus untergebracht, einer Insel, die zu Papua-Neuguinea gehört. Insgesamt leben dort bis zu 2000 Einwanderer. Die Auffanglager betreibt und finanziert Australien außerhalb seines Territoriums.

Menschen, die als Flüchtlinge anerkannt werden, sollen theoretisch in Drittländer umgesiedelt werden können, mit denen Australien entsprechende Abkommen getroffen hat. Dazu gehört Kambodscha. Australien zahlte dem korrupten Regime dort umgerechnet 27 Millionen Euro, damit es Bootsflüchtlinge aufnimmt.

Menschenrechtler erheben schwere Vorwürfe gegen diese Asylpraxis. Die australische Regierung argumentiert hingegen, wegen ihrer harten Politik und der abschreckenden Wirkung ertränken weniger Flüchtlinge im Meer.

Funktioniert das Modell?

Rein zahlenmäßig betrachtet: ja. Doch der moralische Preis ist immens. Tatsächlich kommen nach offiziellen Angaben keine Bootsflüchtlinge mehr in Australien an. 2014 und 2015 hat es kein einziges Schiff mit illegalen Einwanderern nach Australien geschafft. 2013 waren noch 20.000 Flüchtlinge über das Meer illegal nach Down Under gelangt, die meisten stammten aus Afghanistan, Iran und Sri Lanka.

Die Regierung nimmt dafür offenbar menschenunwürdige Zustände in Kauf. Aktivisten beklagen eine "Epidemie von Selbstverletzungen" in den Insellagern vor der Küste. Regierungsunterlagen sollen zeigen, dass manche Bootsflüchtlinge Gift schlucken, sich selbst mit Messern schneiden oder versuchen, sich zu erhängen. Im Mai zündeten sich in Nauru aus Protest gegen die Asylpolitik zwei Flüchtlinge binnen weniger Tage selbst an, einer starb dabei.

In einem Nauru-Untersuchungsbericht im Auftrag der Regierung vom März 2015 ist die Rede von Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch von Kindern. Gerade erst warnten die Hilfsorganisationen erneut: Die 1200 Flüchtlinge auf Nauru würden vernachlässigt und attackiert, berichten Amnesty International und Human Rights Watch.

Den Menschen werde auch in Notlagen ärztliche Hilfe verwehrt, sie erhielten wenige Informationen und seien Angriffen von Einheimischen ausgesetzt. Viele seien der Verzweiflung nahe, Selbstmordversuche an der Tagesordnung. "Man kann das Ganze nur als absichtlichen und systematischen Missbrauch bezeichnen", sagte eine Amnesty-Mitarbeiterin dem Sender ABC.

Welche Probleme gibt es noch?

Die Folgen der Asylpolitik sind schwer durchschaubar. Nur selten meldet die Regierung, wie viele Schiffe vor der Küste gestoppt wurden und wie viele Personen sich an Bord befanden. Es ist völlig unklar, wie viele Flüchtlinge trotz Abschreckung versuchen, das Land zu erreichen.

Dass weiter Menschen sterben, darauf gibt es Hinweise. Ein ehemaliger Soldat der Royal Australian Navy berichtete Ende 2014 im australischen Fernsehen von kilometerlangen Leichenketten im Wasser. Ein in Seenot geratenes Schiff habe man einfach untergehen lassen, sagte eine Ex-Soldatin.

Auch funktioniert das Drittstaatenabkommen mit Kambodscha kaum. Die Flüchtlinge nehmen das Umsiedlungsprogramm nicht an, nur eine Handvoll wollte bislang übersiedeln. Die Verhandlungen Australiens mit anderen Ländern über die Aufnahme von Flüchtlingen kommen derweil nicht voran.

Immer wieder sind die Lager ein Fall für die Justiz. Im März wies das Oberste Gericht in Australien die Klage einer Frau aus Bangladesch gegen den Zwangsaufenthalt auf Nauru zurück, Dutzende Kinder sind von dem Urteil betroffen. Im April hatte ein Gericht in Papua-Neuguinea die dortige Internierung der Flüchtlinge für illegal erklärt. Geschlossen wurde es bislang nicht.

Grundsätzlich gibt es das Problem, dass die Lager als Übergangslösung gedacht waren - und nun ein Dauerzustand sind. Einige Flüchtlinge leben schon Jahre auf Nauru und Manus. Es gibt noch immer keinen Plan, was aus ihnen werden soll.

Könnte die EU irgendwann Australien folgen?

Die Debatte über eine EU-Asylpolitik wird weitergehen. Dennoch wäre das Modell Australien - ganz abgesehen vom menschenrechtlichen Aspekt - auch auf langfristige Sicht kaum praktizierbar. Im europäischen Raum gibt es keine Gebiete in völkerrechtlicher Grauzone, die für Auffanglager in Frage kämen.

Auch eine Drittstaatenregelung ist nur begrenzt verhandelbar. Schon der EU-Türkei-Pakt war und bleibt kompliziert. Nahezu ausgeschlossen wäre ein ähnlicher Deal etwa mit dem Krisenstaat Libyen, von wo aus viele nordafrikanische Flüchtlinge nach Europa übersetzen.

Mehrheitsfähig ist das Modell zu diesem Zeitpunkt nicht - die EU-Kommission hat sich bereits von Kurz distanziert.


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