Streit um Großkonzerne: Warum die USA Europa mit Steuerkrieg drohen

  28 Auqust 2016    Gelesen: 555
Streit um Großkonzerne: Warum die USA Europa mit Steuerkrieg drohen
Ob Apple oder Starbucks: Viele amerikanische Konzerne sparen in Europa Steuern. Das soll eigentlich bald vorbei sein - doch Washington droht offen mit Konsequenzen, falls Brüssel die US-Firmen hart anfasst.
Konzernchefs sind es gewohnt, vieles zu bestimmen. Bei Apple-Boss Tim Cook geht dieser Gestaltungswille bis zur Steuerpolitik. Vor dem US-Senat kritisierte Cook 2013 die Unternehmenssteuern in Apples Heimat als zu hoch. Apples im Ausland geparkte Milliarden werde man nur bei einem "vernünftigen Steuersatz" zurückholen. Dem Republikaner Rand Paul war schon die Vorladung von Cook so unangenehm, dass er vom Kongress dafür eine Entschuldigung forderte.

Die bekam der Apple-Chef zwar nicht. Doch der Verdacht, dass die US-Politik die Steuertricks ihrer Großkonzerne insgeheim billigt, hat sich in dieser Woche deutlich erhärtet. US-Finanzminister Jack Lew ließ ein Papier veröffentlichen, das mögliche Steuernachforderungen der EU an amerikanischen Konzerne scharf kritisiert. Aus dem Dokument spreche "der immer noch dramatische Einfluss der US-Konzerne auf die Position des US-Finanzministeriums", sagt Markus Meinzer, Steuerexperte der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network.

Im Kern des jetzt eskalierten Streits steht die Frage, wo Großunternehmen Steuern zahlen sollen - und vor allem wie viele. Bislang war dies international kaum geregelt. Das nutzten Konzerne aus, indem sie ihre Gewinne so auf verschiedene Länder verteilten, dass am Ende nur minimale Steuerzahlungen fällig wurden.

Beim Katz-und Maus-Spiel mit dem Fiskus waren US-Unternehmen ganz vorn dabei. Exakte Zahlen zu den von ihnen eingesparten Summen gibt es nicht. Doch immerhin 27 Großkonzerne weisen den Steuersatz aus, den sie theoretisch auf Auslandsgewinne zahlen würden, auch Apple. Nach Berechnungen der Nichtregierungsorganisation Citizens for Tax Justice haben alleine diese Unternehmen im vergangenen Jahr rund 1,75 Billionen US-Dollar an Steuern eingespart.

Mit der großen Verschieberei soll nun eigentlich Schluss sein. Aufgeschreckt durch verschiedene Steuerskandale beschlossen die G20-Staaten Ende 2015 die sogenannte BEPS-Initiative, die Gewinnverlagerungen weitgehend verhindern soll. Die EU-Kommission untersucht zudem schon länger, ob massive Steuervorteile für Konzerne wie Apple, Starbucks und Amazon in einzelnen EU-Staaten unerlaubte Staatsbeihilfen darstellen. Sollte die Frage bejaht werden, könnte allein Apple eine Nachzahlung von bis zu 19 Milliarden Dollar drohen.

Auch die USA haben BEPS unterzeichnet und bekennen sich zum Kampf gegen Steuerflucht. Warum also jetzt der Aufschrei?

Das US-Finanzministerium kritisiert, mit ihrem Vorgehen untergrabe die EU-Kommission gerade den Versuch, über BEPS zu klaren Regeln zu kommen. Die Behörde argumentiert aber auch mit drohenden Mindereinnahmen: Demnach könnten US-Konzerne sich ihre Nachzahlungen in Europa unter Umständen auf Steuern in der Heimat anrechnen lassen. Aus Sicht der Amerikaner wäre das ein "zutiefst verstörendes Ergebnis, da es letztlich den Transfer von Einnahmen der US-Regierung und ihrer Steuerzahler zur EU bedeuten würde".

Generell dürfte die Argumentation für Nachzahlungen tatsächlich nicht ganz leicht sein. Immerhin hat die EU es lange geduldet, dass Länder wie Luxemburg, Irland oder die Niederlande mit äußerst großzügigen Steuerregeln um US-Konzerne warben. Und auch unter BEPS bleibt es grundsätzlich erlaubt, Einnahmen mithilfe sogenannter Verrechnungspreise auf verschiedene Länder zu verteilen.

Ziemlich seltsam ist jedoch die Argumentation der USA mit drohenden Einnahmeverlusten. Schließlich verzichtet das Land auf die Besteuerung von Auslandsgewinnen und hat es zugelassen, dass heimische Konzerne den Großteil ihrer Gewinne außer Landes schaffen. Und Nachlässe könnten Unternehmen nur auf Gewinne verlangen, die sie zurück in die USA holen.

Dort aber gilt bislang eine Unternehmenssteuer von 35 Prozent, von der im Ausland bereits gezahlte Steuern abgezogen werden dürfen. Das heißt: Wenn ein Konzern wie Levi Strauss angibt, auf seine Auslandsgewinne in den USA theoretisch noch 27 Prozent Steuern zahlen zu müssen (siehe Tabelle), legt die Differenz zum eigentlichen Steuersatz von 35 Prozent nahe: Heute zahlt der Jeanshersteller gerade einmal acht Prozent. Keine große Motivation zu einer schnellen Rückkehr.

Washington spielt eine Doppelrolle

Hinter dem Papier aus Washington dürfte denn auch eher der Versuch stehen, heimische Unternehmen vor zu viel Regulierung zu schützen. Steuerexperte Meinzer kritisiert sonst häufig Deutschland und andere EU-Staaten. Doch er sagt: "In den letzten zwei, drei Jahren war die EU im Vergleich zu den USA die treibende Kraft in der Steuerpolitik."

Die US-Regierung dagegen nimmt finanz- und wirtschaftspolitisch immer wieder eine Doppelrolle ein: Wenn es um eigene Einnahmen und Interessen geht, können US-Behörden beeindruckend effizient vorgehen. So brachten sie auf der Jagd nach Steuersündern de facto das Schweizer Bankgeheimnis zu Fall und deckten den Abgasbetrug bei Volkswagen auf.

Doch so wie die Bundesregierung bei den Tricks der deutschen Autoindustrie nicht so genau hinschaute, so zeigten amerikanische Politiker viel Langmut mit Konzernen wie Apple, Google oder Amazon. Die Motivation dürfte in beiden Fällen dieselbe sein: Die Vorzeigeunternehmen der heimischen Wirtschaft will man auf keinen Fall verschrecken.

Im BEPS-Prozess bremsten US-Vertreter an verschiedenen Stellen. Noch größer ist der Widerstand gegen den automatisierten Austausch von Bankkonten und Firmeneigentümern. Dass auch dabei wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, haben Reporter von Reuters gerade eindrucksvoll am Beispiel der US-Steueroase Delaware nachgezeichnet: Deren Regierung verhinderte über Jahre erfolgreich ein neues Gesetz zur Offenlegung von Firmenbesitzern - obwohl auch US-Präsident Barack Obama es lange unterstützte.

Während solcher Lobbyismus allerdings meist hinter den Kulissen stattfindet, ist das jüngste Papier eine ungewohnt offene Warnung. Falls die EU-Kommission an ihrem Kurs festhalte, behalte man sich "eventuelle Antworten" vor - etwa die Aufkündigung von Doppelbesteuerungsabkommen.

Weiter heißt es: "Ein stark bevorzugtes und für beide Seiten vorteilhaftes Ergebnis wäre eine Rückkehr zum System und der Praxis internationaler Steuerkooperation, die lange grenzüberschreitende Investitionen zwischen den USA und EU-Mitgliedsländern gefördert haben." Spätestens hier klingt es so, als solle sich am Steuersystem am liebsten gar nichts ändern.

Quelle : spiegel.de

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