"Der Eiertanz, den Sigmar Gabriel zwischen Parteivorsitz und Wirtschaftsminister vollführt, ist nur schwer erträglich. Man muss ihn daran erinnern, dass sein Amtseid als Wirtschaftsminister dem deutschen Volke gilt und nicht der SPD oder gar der Partei-Linken", legt Tauber los. Gabriels Haltung zum Freihandel, zu den Abkommen TTIP und Ceta sei grundfalsch.
In der Präsidiumssitzung hatten sich viele über Gabriels Aussagen aufgeregt. Der Vizekanzler hatte die Verhandlungen mit den USA in einem Interview für "de facto gescheitert" erklärt. Da bewege sich nichts, sagte er. Dass TTIP in der SPD nicht populär ist, ist ja bekannt. Der heftige Ausfall Taubers bedarf dagegen der Interpretation.
In der CDU, aber gerade auch in der CSU, sind die Abkommen ebenfalls nicht sehr beliebt. Da kommt etwa Druck von den Bauernverbänden, die einen Ausverkauf deutscher Standards fürchten. Noch folgt die Partei ihrer Führung, hält sich an die Beschlüsse.
Angela Merkel ist verärgert
Angela Merkel (CDU) betont die Notwendigkeit beider Vereinbarungen bei jeder Gelegenheit, dafür gibt es meist wenig Applaus. So richtig, das wird auch im Kanzleramt so gesehen, ist es der Regierungschefin und der Union nie gelungen, die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Freihandels zu überzeugen.
Merkels Verteidigungsreden kranken auch daran, dass nicht sie, sondern die Europäische Kommission mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) verhandelt. Um früher Verständnis bei den Bürgern zu wecken, hätte man wissen müssen, was rauskommt, heißt es im Kanzleramt entschuldigend. Doch solche Ausflüchte sind den Gegnern egal. Ihre Kritik richtet sich gegen die Pro-Haltung der Bundesregierung, nicht gegen die EU-Kommission.
Wenn also nun ein Mitglied dieser Regierung, nämlich ausgerechnet der verantwortliche Minister, ausschert, tut das Merkel besonders weh. Das schwächt ihre Position gegenüber den Kritikern – gerade auch an der Unionsbasis – weiter. Die Kanzlerin ist deshalb verärgert über Gabriel. Deshalb darf Peter Tauber gegen ihn austeilen.
Und nicht nur er. "Der Wirtschaftsminister des Exportweltmeisters ist gegen Freihandel. Zumindest montags. Ob das Dienstag immer noch so ist, weiß man bei Gabriel nie", sagt Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) der "Welt".
Union spricht von "bodenloser Unverschämtheit"
Doch der SPD-Chef hat, aus Sicht der Union, noch etwas Schlimmeres getan: Er hat die Flüchtlingskanzlerin kritisiert. Er warf ihr vor, die Herausforderungen unterschätzt zu haben. Es reiche nicht, ständig zu sagen: "Wir schaffen das." Die Kanzlerin und die Union "müssten die Voraussetzungen schaffen, dass wir es auch hinkriegen. Und das hat die CDU/CSU immer blockiert."
Die SPD hingegen habe immer betont, es sei "undenkbar, dass Deutschland jedes Jahr eine Million Menschen aufnimmt". Damit insinuiert Gabriel, dass es ein Votum für die Aufnahme einer weiteren Million Menschen, wie sie im Jahr 2015 erfolgte, gäbe. Dem ist nicht so. Die Kanzlerin hatte unlängst in einer Pressekonferenz betont: "Die Wiederholung auf diese Art, wie sie im letzten Jahr war, ist ausgeschlossen."
Aus Sicht der Union sind Gabriels Aussagen deshalb – mit Taubers Worten – "eine bodenlose Unverschämtheit". Selbst die CSU, die ihrerseits eine Obergrenze fordert, hat dafür kein Verständnis. "Sigmar Gabriel hat in den Sommerferien offensichtlich den Sinn für die Realität verloren. Es ist die SPD, die bremst und sich nicht an Absprachen hält wie zum Beispiel die monatelange Blockade beim Asylpaket II", sagte Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt.
Sollte es noch eines Beweises bedurft haben, dass an der Spitze der Koalition die Stimmung miserabel ist, ist er nun erbracht. Über den Chef der SPD wurde in den CDU-Gremien also viel, über die eigene Vorsitzende dagegen angeblich gar nicht gesprochen.
Das Schweigen der Kanzlerin wird instrumentalisiert
Dass Merkel sich noch nicht zu einer weiteren Kanzlerkandidatur erklärt hat, produziert täglich neue Meldungen. Am Freitag hieß es, sie werde sich auf Druck der CSU nicht vor dem Frühjahr dazu einlassen. Am Montag berichtete die "Bild"-Zeitung, sie werde sich beim Parteitag in Essen im Dezember als Vorsitzende und designierte Kanzlerkandidatin wiederwählen lassen.
Ebenfalls am Montag bekundeten führende CDU-Politiker, dass sie sich Merkel wieder als Kanzlerin wünschten. Letzteres ist sicher die am wenigsten bemerkenswerte Nachricht. Hätte jemand das Gegenteil erwartet? Was das Hinhalten bis zum Frühjahr betrifft, so hätte das für die CSU tatsächlich Charme. Die Partei hat Bammel davor, bald ein "Ja, ich kandidiere" zu hören.
Dann wären die CSU-Spitzen nämlich gezwungen, sich hinter Merkel zu stellen und damit die Anhänger, die sie in der Flüchtlingskrise gegen die Kanzlerin aufgebracht haben, zu verprellen. Würden Seehofer und Co. Merkel dagegen die Gefolgschaft verweigern, hätte das unabsehbare Folgen für das Verhältnis der Schwesterparteien.
Der Gedanke, die Wiederwahl als Vorsitzende mit der Kanzlerkandidatur zu verknüpfen, ist ebenfalls plausibel, diesmal aus Sicht der CDU. Denn das würde die eigenen Leute disziplinieren. Merkel schwieg dazu. Das ist nichts Neues.
Neu ist aber, wie das Schweigen der Kanzlerin von den Einflüsterern aus CDU und CSU offenbar instrumentalisiert wird. Daraus lässt sich politisches Kapital schlagen. Eine CSU, die Merkel bremsen kann, wirkt stark und mächtig. Und eine CDU, die sich schon jetzt drauf einstimmt, Chefin und Kanzlerin zur Wahl zu stellen, schließt beizeiten die Reihen. Es ist ein Spiel, das noch eine Weile so weitergehen dürfte. Es sei denn, Merkel erklärt sich.
Quelle : welt.de
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