Die Gesten stimmen und Schulz findet auch die richtigen Worte, um den Türken klar zu machen, dass die Europäer den versuchten Putsch nicht auf die leichte Schulter nehmen. "Es ist beeindruckend, wie sich die Menschen in der Türkei dem Militär in den Weg gestellt haben", sagte er. "Es ist ein Moment, auf den das türkische Volk zurecht stolz ist und Anerkennung verdient."
Es sind Sätze, auf die Türken lange gewartet haben. Ihr Überbringer ist ausgerechnet Martin Schulz und damit der Parlamentspräsident, der in der Vergangenheit zu den schärfsten Kritikern des zunehmend autokratisch regierenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zählte.
Schulz ist der erste europäische Spitzenpolitiker, der seit dem gescheiterten Militärputsch die Türkei besucht. Geht es nach den Europäern, soll das erst der Beginn einer diplomatischen Offensive sein, die die EU und die Türkei wieder stärker zueinander führen soll.
Doch noch ist es längst nicht soweit, ausgerechnet beim heiklen Thema Visafreiheit wird das an diesem Tag schnell deutlich: aus der anstrebten Erleichterung für Türken wird - in nächster Zeit jedenfalls - nichts. Zwar hatte die EU als Teil des Flüchtlingsdeals zugesagt, über die visafreie Einreise von Türken schneller als verabredet zu entscheiden. Doch bislang hat das Land nicht alle Bedingungen dafür erfüllt, unterblieben ist vor allem die Änderung der schwammigen Anti-Terrorgesetze.
Dabei wird es auch erstmal auch bleiben, wie Premierminister Binali Yildirim bei seinem Treffen mit Schulz deutlich machte. "Wir haben zur Zeit keine Möglichkeiten, Verbesserungen beim Anti-Terror-Gesetz zu machen. Das ist eine todernste Sache." Die Folge, da machte es Schulz dann knapp: "Es gibt jetzt keine Visafreiheit."
Türkei lehnt Kompromissvorschläge ab
Zwar ventilierte Schulz noch Kompromissideen, zum Beispiel dass zunächst nur bestimmte Berufsgruppen wie Wissenschaftler in den Genuss einfacheren Reisens kämen. Das wiederum lehnten die Türken kategorisch ab. Die Frage ist längst eine Prestigesache.
Die Frage ist, was das für den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei bedeutet - und da kommt die deutsche Kanzlerin ins Spiel. Angela Merkel verfolgt die Visite von Schulz mit großer Aufmerksamkeit. Seit dem Putschversuch hat sie zwar mit Erdogan telefoniert, ihn zur Enttäuschung der Türken bislang aber nicht persönlich getroffen. In einem langen Telefonat am Samstag stimmte sich Schulz mit Merkel ab. Die Kanzlerin bat ihn, sie nach dem Treff mit Erdgan zu informieren.
Für die Kanzlerin hängt ebenso wie für die EU viel an guten Beziehungen zur Türkei: das Land hat bei der Beendigung des syrischen Bürgerkrieges genauso eine Schlüsselrolle wie in der Flüchtlingskrise. Das Flüchtlingsabkommen geht vor allem auf Merkels Engagement zurück, ein Scheitern wäre auch ihr Scheitern.
Schulz war in die Ausarbeitung des Deals eng mit eingebunden, dabei half ihm ein direkter Draht zu dem inzwischen zurückgetretenen Premierminister Ahmet Davutoglu. Jetzt versucht er, die alten Gesprächsfäden wieder aufleben zu lassen, zum Beispiel am frühen Abend bei einem fast zweistündigen Gespräch mit Erdogan. Der führt ihm erst mal ein Video vor, das dem Gast aus Brüssel die Dramatik der Putschnacht nahebringen soll.
Verhaftungen werfen Fragen auf
Die Türken lassen Schulz wissen, dass sie die lauwarme Reaktion der Europäer auf den Putschversuch von Teilen des Militärs genausowenig in Ordnung finden, wie die aus ihrer Sicht sehr zurückhaltende Anteilnahme der Europäer bei den Terroranschlägen in der Türkei.
"Ein Stück weit haben sie einen Punkt", sagte Schulz schon auf dem Flug nach Ankara. An deutlichen Worten, was die anschließende Säuberungswelle des türkischen Präsidenten angeht, ließ es Schulz dennoch nicht fehlen: "Wenn wenige Stunden nach einem Putsch zehntausende Menschen im ganzen Land verhaftet werden, wirft das Fragen auf", sagte er.
Die Beitrittsgespräche sollen dennoch weitergehen, da waren sich beide Seiten einig. "Ich würde mir wünschen, dass wir endlich mit den Verhandlungen über die Kapitel zum Rechtstaat und der Meinungsfreiheit beginnen", sagt Schulz. Er hofft, dass man in diesem Prozess Klartext mit den Türken reden kann, zum Beispiel zum Thema Meinungsfreiheit.
Wie viele unterstellt Schulz Erdogan, die Türkei zu einer Präsidialdemokratie umbauen zu wollen, in der alle Macht beim Präsidenten verankert ist.
Erdogan plädierte im Gespräch mit Schulz, dass man nun das Gemeinsame betonen solle. Für die Visaliberalisierung bedeutet das, dass die Türken gemeinsam mit dem Europarat, dem Straßburger Hüter der Menschenrechte, einen Weg finden könnten, ihre Terrorgesetze irgendwann schrittweise zu ändern, wie Schulz nach dem Treff mit Erdogan am Abend berichtete. Die Betonung liegt auf irgendwann.
Ein Anfang, immerhin.
Quelle : spiegel.de
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