Wendepunkt in Syrien? Lawrow und Kerry vereinbaren Waffenstillstandsplan
Nach den über 13-stündigen Gesprächen informierte US-Außenminister John Kerry, dass die involvierten Parteien sich auf eine umfassende Herangehensweise beim syrischen Friedensprozess geeinigt hätten. Er rief „alle Beteiligten auf, den Plan zu unterstützen, den die Vereinigten Staaten und Russland beschlossen haben, um diesen katastrophalen Konflikt durch einen politischen Prozess zum schnellstmöglichen Ende zu bringen“.
Laut Kerry sichert der Plan zu, dass syrische Regierungstruppen keine Kampfeinsätze mehr gegen die sogenannte moderate Opposition durchführen.
Die Vereinbarung gemeinsam gegen die ehemaligen Al-Nusra-Front, die sich nach ihrer Lossagung vom Al-Qaida-Netzwerk nunmehr Dschabhat Fatih el-Scham nennt, und sich in Folge als moderate Rebellenformation präsentierte, kommentierte Kerry mit den Worten:
„Es geht hier nicht um Zugeständnisse an irgendjemand. Das Vorgehen gegen die Gruppe ist im tiefen Interesse der USA.“
Kerry hob in diesem Zusammenhang zudem die Gründung einer russisch-US-amerikanischen Arbeitsgruppe hervor, die dem Zweck dienen wird, „die von der Al-Nusra-Front kontrollierten Gebiete von denen der Oppositionsgruppen im Bereich aktiver Feindseligkeiten abzugrenzen“.
Russlands Außenminister Sergei Lawrow bestätigte, dass sich Russland und die USA auf die Koordinierung von Luftangriffen in Syrien einigten, „vorausgesetzt es gibt eine nachhaltige Periode der reduzierten Gewalt“.
Der erste Schritt hin zur Umsetzung der Klausel wird die Einführung eines Waffenstillstands in Syrien, sagte Lawrow. Der Waffenstillstand werde ab den 12. September in Kraft treten:
„Nach einem sieben tägigen Waffenstillstand werden wir ein Implementierungszentrum gründen, in dem Militär- und Geheimdienstvertreter aus Russland sowie den USA praktische Fragen klären werden, also Terroristen von der Opposition trennen.“
Laut Lawrow besprachen die USA und Russland fünf verschiedene Abkommen:
„Trotz des Misstrauens und Versuche unsere Anstrengungen zu hintertreiben, ist es uns gelungen, ein Paket von Dokumenten zu vereinbaren. Von diesen gibt es fünf. Diese erlauben uns eine effektive Koordinierung im Kampf gegen den Terrorismus und die Etablierung von Zugängen für humanitäre Hilfen an die notleidende Bevölkerung in Aleppo.“
So werden unter anderem die syrische Regierung und Opposition aufgefordert, „sichere Passagen für humanitären, kommerziellen und zivilen Zugang zwischen Ost- und West-Aleppo“ zu zulassen.
Aufgrund der sensiblen Natur der Informationen, die in den Vereinbarungen enthalten sind, werden diese der allgemeinen Öffentlichkeit nicht im Detail zugänglich gemacht.
Lawrow betonte zudem, dass alle Oppositionsgruppen in die Verhandlungen für den Erfolg des Aussöhnungsprozess einbegriffen werden müssen:
„Es ist die Forderung des UN-Sicherheitsrates. Die Resolution 2254 erwartet, dass die Verhandlungen inklusiv mit der Beteiligung von allen syrischen Parteien sein müssen. Darunter Gruppen, die in Moskau, Kairo, Riad und anderswo gegründet wurden.“
Der russische Außenminister fügte hinzu, dass es auch zu Provokationen von Ländern gab, die er namentlich nicht nennen wollte. Diese versuchten laut seiner Darstellung, eine der oben genannten Gruppen als die legitime Vertretung der syrischen Opposition darzustellen.
Unterdessen hinterfragte der politische Analyst Ammar Wakkaf gegenüber RT die Aufrichtigkeit der Versicherungen Kerrys, dass die „Bekämpfung von al-Nusra“ nie zur Debatte stünde. Seiner Meinung nach ließen die USA al-Nusra fallen, um das Überleben der anderen Rebellen, die sie als moderat bezeichnen abzusichern. Im Gespräch mit RT sagte er, dass diese Vorgehensweise ein „Eckpfeiler“ der US-Politik bei den Verhandlungen gewesen wäre:
"Die Entscheidung, sich von der extremsten Gruppe zu trennen, dient dem Ziel der syrischen Regierung und Russland, die Hände zu binden. Damit bleiben in Folge ähnlich extreme Gruppen als Kämpfer gegen Damaskus erhalten.“
Im Gespräch mit RT Deutsch deutete der türkische Syrien-Experte der Universität Sakarya Ömer Özdemir das militärische Gleichgewicht in Nordost-Syrien etwas anders. Da gestern ein Luftschlag den Generalbefehlshaber des einflussreichen Rebellenbündnisses Dschaisch il-Fatah tötete, Aleppo von Regierungstruppen wieder eingekesselt werden konnte und Russland de-facto nunmehr die Oberhand in Aleppo besitzt, sieht er das Abkommen mit den USA zugunsten Moskaus.
Zudem werde das Rebellenbündnis ohne al-Nusra deutlich geschwächt. Außerdem ist noch unklar, ob andere islamisch-konservative bis dschihadistische Rebellen von der Nichtangriffsentscheidung aus- oder doch mit eingeschlossen werden. Jedenfalls dürfte Dschaisch il-Fatah in Süd-Aleppo und der Provinz Idlib signifikant geschwächt werden.
Ein anderer Gewinner des Abkommens scheint die Türkei zu sein. Laut dem Türkei-Analysten Aaron Stein vom Rafik Hariri Center werde die Türkei nicht beim ihren Kampfeinsätzen gegen den IS und die kurdische YPG beschränkt. Türkische Operationen gegen die ehemaligen Verbündeten der USA in Nordsyrien wurden ausgeklammert. Auch erhalten türkische Truppen und die beteiligte Freie Syrische Armee in Nordsyrien demnach eine Flugverbotszone, sagte Özdemir auf Nachfrage von RT Deutsch. Gegenwärtig dürfte sich die türkische Offensive auf den Raum Azez, Marea im Westen, el-Bab und Manbidsch im Süden und Jarablus im Osten fokussieren.
Quelle:rt