Wer von diesen vier kann Vizekanzler?

  11 September 2016    Gelesen: 723
Wer von diesen vier kann Vizekanzler?
Vier Grüne wollen 2017 Spitzenkandidat werden, zwei werden es schaffen. In Berlin startet die Partei ihre Urwahlkampagne - erstmals haben sich nun alle Bewerber vorgestellt.
Anton Hofreiter steht in einer Seitenstraße in Berlin-Mitte und wartet auf die Konkurrenz. Der Fraktionschef der Grünen im Bundestag wird nicht einfach in eine Parteitagshalle schlendern wie sonst immer. Stattdessen wird er das Gebäude im Viererpack betreten, gemeinsam mit drei anderen Grünen-Politikern, die die "Gesichter zur Bundestagswahl 2017" werden wollen: Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, Parteichef Cem Özdemir, Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck.

Vorher gibt es noch ein paar schmeichelnde Kameraaufnahmen in der Mittagssonne, das Haar sitzt, bei allen. Dabei geht es an diesem Samstag nicht um einen Berliner Beauty-Contest. Sondern um den Auftakt zur Wahl des Spitzenkandidaten-Duos, welches die Partei im kommenden Jahr - aus Sicht der Grünen: endlich! - wieder in eine Regierungsbeteiligung im Bund führen soll.

Seit 2005 sitzen die Grünen in der Opposition, davon haben sie genug. Insofern geht es für die Ökopartei im kommenden Jahr um alles oder nichts. Werden sie als Koalitionspartner auf Augenhöhe ernst genommen? Oder bleiben sie ein dauernörgelndes Anhängsel mit ein paar charmanten Ideen, aber ohne Macht?

"Basis ist Boss".

In einem Fabrikloft am Alexanderplatz traten die vier nun erstmals offiziell als Bewerber gemeinsam auf, im Rahmen eines kleinen Parteitags. Der Termin gilt als Auftakt zur Urwahl: Bis Januar 2017 können die rund 60.000 Mitglieder über ihre beiden Gesichter abstimmen, eine Frau, ein Mann. Wer gewinnt, darf am Ende mögliche Koalitionsverhandlungen mitführen, vielleicht sogar den oder die VizekanzlerIn stellen.

2013 wurde das Urwahl-Prinzip eingeführt, weil es zu viele Bewerber und Streit gab. Dieses Mal wird die Urwahl als Werbekampagne inszeniert ("Basis ist Boss"), im Internet, mit Flyern, Diskussionsrunden. All das soll Aufmerksamkeit und Mitglieder bringen. Beides braucht die Partei dringend. Die Grünen wollen sich gleichzeitig von SPD oder Union abgrenzen, die Mitgliedervoten weitgehend scheuen.

Politik und Personality, so würden Werber die Urwahl nennen. Die Realität sieht nicht ganz so glamourös aus, sie ähnelt eher einem Poetry-Slam. Zentral im Saal steht eine kleine Bühne, es gibt kein Pult, keinen Hocker, die Kandidaten sprechen frei. Mal hören die Besucher zu, mal holen sie Kuchen. Wir sind entspannt und selbstbewusst, ist die Botschaft.

Wer erste Anflüge von Kampfeslust erspüren wollte, wurde allerdings enttäuscht. Gegenseitig griffen sich die Kandidaten vorerst nicht an. Göring-Eckardt gilt als gesetzt. Die bisher einzige Gegenkandidatin auf dem Frauenplatz, die Brandenburgerin Sonja Karas, hat eine Bewerbung eingereicht, aber noch kein notwendiges Votum eines Kreisverbands erhalten. Eigentlich sollte Karas am Samstag ebenfalls auftreten, doch wegen eines Treppensturzes vor Ort sagte sie kurzfristig ab.

Göring-Eckardt hält eine Rede, die sie auch im Bundestag hätte halten können: unaufgeregt und pointiert. "Ravioli sind die Antwort der Bundesregierung auf die Unsicherheit der Bürger", sagt sie in Anspielung auf die Hamsterkäufe-Debatte vor einigen Wochen. Die Grünen stünden für Chancengleichheit für alle, unabhängig von Herkunft ("ob aus Dresden oder Damaskus") oder Geschlecht. "Wenn wir es nicht machen, macht es keiner", sagt sie in Bezug auf gesellschaftspolitische Verantwortung.

Echte Konkurrenz findet auf der Männerseite statt, drei Bewerber balgen sich um einen Platz. Özdemir spricht von seiner Liebe zu Berlin, "ein Sehnsuchtsort", und von Donald Trump. "Das Undenkbare wird denkbar", sagt er über dessen US-Präsidentschaftskandidatur. "Jedes Kind hat das Recht, in die Schule zu gehen, ohne Bomben um sich herum", sagt er über Krieg und Terror. Die Grünen ruft er auf, sich nicht in "irrsinnige Flügeldebatten" zu verstricken. "Bitte, keine Selbstgespräche", appellierte er an die Delegierten.

Hofreiter vertritt als einziger Kandidat die Parteilinke, er prangert den "Rückzug in die Nationalstaaten" an. Es sei Aufgabe der Grünen, offensiv die offene Gesellschaft zu verteidigen und für die Gleichberechtigung von Homosexuellen und Frauen zu kämpfen. Der 46-Jährige streichelt die grüne Identität: "Erinnert ihr euch noch an die aufgeschäumten Flüsse? An das Waldsterben? An unseren Protest gegen Atomkraftwerke?", ruft er. Die kleine Partei habe viel verändert, es gebe aber noch viel zu tun, gegen Massentierhaltung, Autokonzerne, Plastiktüten im Meer.

Habeck gibt den Emo-Pragmatiker: "Wir müssen wieder Bewegungspartei werden", sagt er seinen Leuten, aber nicht gegen Staat und Institutionen, sondern für sie. Die Grünen müssten "raus aus dem eigenen Milieu" und Mehrheiten organisieren. Er setzt, wie so oft, auf Authentizität - und demonstrative Ehrlichkeit: "Verdammte Hacke", klingt so ein typischer Habeck-Satz, "wer gibt uns eigentlich die Garantie, dass nicht in ein paar Jahren Frauke Petry in einem Bundesministerium sitzt?" Aufrütteln müsse man die Gesellschaft, "alles verändert sich, das spüren die Leute".

Nach den Auftritten bleibt der Eindruck zurück: Eine Person, die alle Stärken der vier Bewerber auf sich vereinen könnte, wäre ziemlich überzeugend.

Bei den Grünen allerdings gibt es so eine Person nur als Gruppe, aus der nach einem komplizierten Prozess zwei Sieger übrig bleiben. Es genügen einfache Mehrheiten - am Ende könnten also Zehntelprozentpunkte entscheiden.

Wollen sich die Kandidaten stärker voneinander unterscheiden, werden sie sich auch gegenseitig attackieren müssen

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