Die Briten hatten Ende Juni in einer Volksabstimmung für den Austritt aus der EU gestimmt. Am Freitag beraten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 Länder in der slowakischen Hauptstadt Bratislava über Weichenstellungen für die Zukunft der EU. Es ist erst das zweite Treffen ohne Großbritannien.
Tusk beschreibt in neun Punkten sehr ausführlich die schwierige Lage. „Business as usual ist keine Option“, betonte er. Es wäre „ein fataler Fehler anzunehmen, dass das negative Ergebnis des Referendums im Vereinigten Königreich ein spezifisch britisches Problem darstellt“, schrieb Tusk in dem ungewöhnlich langen, fünfseitigen Einlandungsbrief zu dem Gipfel. Das Brexit-Votum sei „auch ein verzweifelter Versuch, die Fragen zu beantworten, die sich Millionen Europäer täglich selbst stellen.“
Vertrauen in die Regierungen bröckelt
Bei den Zweifeln gegenüber Europa sei die Migrationskrise „der Wendepunkt“ gewesen, stellte Tusk fest. „Das Chaos im vergangenen Jahr an unseren Grenzen“ und Hunderttausende Flüchtlinge auf dem Weg durch Europa hätten „ein Gefühl der Bedrohung bei vielen Europäern“ erzeugt. Sie hätten zu lange warten müssen, bis versucht worden sei, die Lage etwa über die Schließung der Westbalkanroute und das EU-Türkei-Abkommen unter Kontrolle zu bekommen.
„Statt dessen hörten sie zu oft politisch korrekte Erklärungen, dass Europa keine Festung werden dürfe, dass es offen bleiben muss“, schrieb Tusk. „Das Fehlen schneller Handlung und einer einheitlichen europäischen Strategie haben das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen geschwächt.“
Nun sei keine Zeit mehr zu verlieren, warnte der EU-Ratspräsident. „Bratislava muss der Wendepunkt mit Blick auf den Schutz der Außengrenzen der Union sein.“
Keine gegenseitige Schuldzuweisungen
Gleich wichtig sei der Kampf gegen den Terrorismus, schrieb Tusk. Allerdings lägen die Hauptinstrumente dabei auf nationaler und nicht auf europäischer Ebene. Erreicht werden könne dies deshalb nur über mehr Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sicherheitsdiensten, etwa beim Informationsaustausch. So solle jeder bei der Einreise mit Hilfe von Datenbanken überprüft werden, um potenzielle Terroristen abzuhalten. Dazu sei aber der Wille der Mitgliedstaaten nötig.
Die Bürger erwarteten zudem, dass ihre sozialen und wirtschaftlichen Interessen besser geschützt würden, fuhr Tusk fort. Freihandel und globaler Wettbewerb lägen dabei im Interesse Europas, stellten es aber gleichzeitig vor „beispiellose Herausforderungen“.
Tusk, der im Vorfeld des Gipfels durch die EU-Hauptstädte gereist war, forderte von den Staats- und Regierungschefs in Bratislava eine „kritische Diagnose“. Dabei müsse „ein Schwarzer-Peter-Spiel“ vermieden werden.
Es gehe bei den anstehenden Gesprächen dann nicht um neue Verträge oder den Ausbau der EU zu einem Einheitsstaat. „Meine Gespräche haben klar gezeigt, dass neue Befugnisse für die europäischen Institutionen nicht das gewünschte Rezept sind“, schrieb Tusk. Ziel müsse es vielmehr sein, „eine Reihe von Dingen zu korrigieren, um das zu erhalten, was am besten ist.“
Quelle : welt.de
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