Forscher finden legendäres Arktis-Wrack

  14 September 2016    Gelesen: 1292
Forscher finden legendäres Arktis-Wrack
Nach 168 Jahren haben Forscher das zweite verschollene Wrack der berühmten Franklin-Expedition gefunden. Aber was passierte 1848 genau mit den Schiffen in der Arktis? Es gibt neue Rätsel.
Es war eine eisige Katastrophe, die viele Menschenleben gefordert hat: Als der britische Polarforscher John Franklin 1845 mit der HMS "Terror" und der HMS "Erebus" aufbrach, um die damals legendäre Nordwestpassage zu finden, ahnte noch niemand, dass es Franklins letzte Reise werden sollte.

Keiner der 129 Männer, die zu der Expedition aufgebrochen waren, kehrte zurück. Welches Schicksal sie genau erlitten, ist bis heute ein Rätsel geblieben - ebenso der Standort der Schiffe. Dabei haben sich schon kurz nach dem mysteriösen Verschwinden etliche Arktisforscher in zahlreichen Expeditionen auf die Suche nach Franklin und seinen Leuten gemacht. Zudem fahndeten Generationen von Historikern und Archäologen nach Hinweisen.

Was damals genau passierte, könnte nun vielleicht geklärt werden. Denn Forscher aus Kanada haben das zweite noch verschollene Wrack der beiden Expeditionsschiffe gefunden - das erste konnte 2014 geortet werden. Laut den Mitgliedern der Arctic Research Foundation handelt es sich bei dem neuesten Fund um die HMS "Terror". Das Wrack liegt in außergewöhnlich gutem Zustand in etwa 24 Meter Tiefe auf dem Grund einer Bucht der King-William-Insel - gut 250 Kilometer nördlich des Polarkreises und fast hundert Kilometer südlich von der bisher vermuteten Unglücksstelle.

Die Forscher konnten bereits einen ferngesteuerten Tauchroboter in das Schiff schicken, der mit einer Kamera Bilder aufgezeichnet hat. "Wir haben die Schiffsmesse identifizieren können, einige Kabinen und den Vorratsraum. Dort sahen wir noch Teller - eine Konservendose stand sogar noch im Regal", teilte Expeditionsleiter Adrian Schimnowski dem "Guardian" per E-Mail mit. Auch zwei Weinflaschen und eine noch offen stehende Schublade mit einem Gegenstand darin sei entdeckt worden.

Die drei Masten des Schiffs seien gebrochen, die Stümpfe würden aber noch aufrecht stehen. Zudem fanden die Forscher das Schiff mit geschlossenen Luken vor. Sogar die Glasscheiben von drei der vier Fenster der Kabine von Kapitän Francis Crozier seien noch intakt. "Das Boot ist in einem so guten Zustand, dass es vermutlich schwimmen könnte, wenn man es heben und das Wasser abpumpen würde", so Schimnowski.

Seit 2008 hatte Kanada die Suche nach den beiden Schiffen verstärkt und war jährlich in die Arktis gefahren. In den vergangenen Jahren hatte der Klimawandel die Suche erleichtert: Der meist gefrorene Seeweg der Nordwestpassage war öfter eisfrei.

Laut den Forschern ist das Schiff nun aufgrund des Hinweises eines Inuit-stämmigen Mitglieds der Crew entdeckt worden. Auf einem Jagdausflug soll der Mann vor Jahren ein Stück Holz gesehen haben, das aus dem Wasser der vereisten Bucht ragte und wie ein Schiffsmast ausgesehen habe. Dem Bericht wollten die Forscher nachgehen, bevor sie in das offizielle Suchgebiet weiter nördlich fahren wollten.

Doch die Suche in der Bucht am Morgen des 3. September hatte zunächst kein Ergebnis gebracht. Erst als das Expeditionsschiff "Martin Bergmann" dann direkt über das Wrack gefahren sei, wären auf dem Display des Sonargeräts Umrisse erkennbar gewesen. Anschließend untersuchten die Forscher das Wrack mit dem Tauchroboter. Die Aufnahmen verglichen sie mit Bildern und den Bauplänen der "Terror", um sicherzugehen, dass es sich um das gesuchte Schiff handelt.

Ein typisches Merkmal der "Terror" sei ein auffälliges Abgasrohr der Dampfmaschine gewesen, die dem Segler zusätzlichen Antrieb im Eis geben sollte. Ein solches Rohr rage bei dem Wrack an genau derselben Stelle aus dem Deck. Laut Schimnowski müsse das etwa 31 Meter lange Schiff sehr sachte und langsam gesunken sein, das verrate die Lage auf dem Meeresboden. Nun sollen Unterwasserarchäologen das Schiff untersuchen und die Aufnahmen auswerten, um endgültige Klarheit über die Identität des Schiffs zu erlangen.

Die Arctic Research Foundation wurde von dem kanadischen Millionär Jim Balsillie gründet, der auch Initiator der Expedition war. Zum Ablauf der Katastrophe vor 168 Jahren hat er eine neue Theorie: Die Lage und der gute Zustand des Wracks ließen den Schluss zu, dass das Schiff von einigen Crewmitgliedern bewusst verlassen worden sei. Es seien dann aber Seeleute an Bord der HMS "Erebus" gegangen, um so weiter nach Süden zu gelangen.

Bisher gingen Historiker davon aus, dass beide Schiffe von allen Expeditionsteilnehmern am 22. April 1848 verlassen worden waren, um auf dem Landweg vor den Eismassen zu flüchten - ein Plan, der bekanntlich tragisch scheiterte. Aber eine später in einem Steinmahl gefundene Notiz, die von Francis Crozier, dem Kapitän der "Terror", unterzeichnet worden war, berichtete von dem Vorhaben. Doch nach den neuesten Erkenntnissen könnte ein Teil der Crew eine Rückkehr mit der "Erebus" versucht haben. Auch das Abdriften der Wracks im Treibeis wird vermutet - das hat die Suche besonders schwierig gemacht.

Die Überreste der "Erebus" wurden vor zwei Jahren weiter südlich gefunden. Das Wrack lag in elf Meter Tiefe, war aber in einem deutlich schlechteren Zustand. Archäologen konnten bisher neben einigen Gegenständen auch die Schiffsglocke von Franklins Flaggschiff bergen.

Kannibalen im Packeis

Am 19. Mai 1845 war der verdiente britische Admiral und erfahrene Polarforscher Sir John Franklin mit zwei Schiffen und 129 Mann Besatzung ausgelaufen, um die Nordwestpassage zu finden. Ausgerüstet mit Proviant für drei Jahre überwinterten sie zweimal erfolgreich. Auf den zweiten Winter aber folgte ein Sommer, der so kalt war, dass die eingefrorenen Schiffe nicht mehr freikamen. Franklin starb, und am Ende des dritten Winters wagten die verzweifelten Überlebenden den Marsch über das Packeis.

Die britische Marine unternahm für die aufwendig ausgerüstete Expedition diverse Rettungsversuche: Auf zunächst drei erfolglose Expeditionen folgte die größte Suchaktion des 19. Jahrhunderts: 1850 schwärmten 14 Schiffe aus, um Franklin und seine Crew zu finden. Es war der Beginn einer ganzen Folge von Suchexpeditionen, die sich bis 1855 hinzogen. Nicht wenige der Expeditionsteilnehmer gerieten selbst in Gefahr und mussten gerettet werden. Am Ende fanden bei den Suchaktionen mehr Menschen den Tod als durch die Franklin-Expedition.

Die Retter fanden zunächst einige wenige Zeugnisse und Nachrichten, die von Krankheiten und Todesfällen berichteten. 1854 schließlich stieß der Polarforscher John Rae auf Inuit, die Gegenstände besaßen, die offensichtlich Franklins Männern gehört hatten. Sie berichteten von verzweifelten Hungergestalten, die sterbend über das Eis zogen - und davon, dass sich die Männer am Ende gegenseitig gegessen hätten.

Die Bestätigung dieser Geschichte, die in England und Kanada auf Empörung stieß, lieferte 1859 der von Franklins Witwe direkt beauftragte Francis Leopold McClintock. Er fand Knochen und verstümmelte Leichen, die Spuren von Kannibalismus aufwiesen.

Die Suche nach Franklins Schiffen aber sollte für den Rest des 19. Jahrhunderts nie ganz aufgegeben werden. Noch 1913 finanzierte der kanadische Staat Expeditionen - sieben Jahre nachdem Roald Amundsen die Durchfahrt der Nordwestpassage erstmals gelang. 1992 erklärte Kanada den Ort, wo Franklins Schiffe sanken, zu einem Ort von nationaler Bedeutung.


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